U2 und der Apple-Deal: Der Leistungskurs Mathe hat gesiegt!

Mit ihrem fulminanten Apple-Deal schießen sich U2 in eine neue Dimension der Vermarktung. Einfach nur ein Album zu veröffentlichen und ne fette Party zu schmeißen, reicht längst nicht mehr. Die Ära des Digital-Dinosaurierrock ist angebrochen!

Früher einmal, also ganz früher, stellte sich eine Band aus Liverpool auf das Dach ihres Londoner Labelbüros Apple. Eine Kamera filmte das luftige Spektakel und ein paar Eingeweihte drückten sich an wackligen Schornstein-Konstruktionen herum. Auf der Straße stockte bald der Verkehr; später kam die Polizei und machte dem musikalischen Spuk ein Ende. So ungefähr lief das legendäre Ende der Beatles, um das sich bis heute dutzende Legenden ranken.

Rund 45 Jahre später spielt eine andere, ebenfalls nicht unbekannte Band bei Apple. Hier im kalifornischen Cupertino stellt der gleichnamige Technologie-Riese die Weiterentwicklung seines Mobiltelefons und dazu eine spacig-intelligente Uhr vor. Produkt-begleitend führen die Dubliner Heilsbringer von U2 Auszüge ihrer neuen Platte „Songs Of Innocence“ vor. Ob der Albumtitel vor diesem Hintergrund eine spezielle Ironie (von wegen „verlorene Unschuld“!?) sein sollte, soll mal dahin gestellt bleiben. Jedenfalls war das ein fulminantes Marketing-Spektakel ganz nach Geschmack der digitalen Westcoast-Hippies. Mathe- und Physik-Nerds kaufen sich Künstlertypen zur Bespaßung. Und die paar hundert Millionen angemeldeten Nutzer der Download-Plattform iTunes konnten, wenn sie wollten, quasi umsonst dabei sein. Jedenfalls bekamen User ungefragt besagtes U2-Album als iTunes-file frei Haus. Eine weltweit ins Netz explodierte Produktshow.

Seit einigen Stunden ploppen nun in Feuilletons und Blogs die Debatten auf, ob diese U2-Aktion nun unendlich clever und modern ist. Oder nur einfach der endgültige Kniefall der Popmusik vor der Allmacht der „Telcos“. Also Rock’n’Roll vs. Unterhaltungselektronik 0:4! Die Beatles auf dem Apple-Dach genügten sich damals für ihre (Veröffentlichungs-)Aktion noch selbst, um daraus einen Pop-Event zu machen. Die sendungsbewussten Pathos-Rocker dagegen wohnen in der Westentasche von Cupertino-Apple-Boss Tim Cook. Natürlich hat es in den letzten Jahren ähnliche Aktionen von Alben-Veröffentlichungen im Web jenseits der angestammten Plattenfirma gegeben, siehe Kanye West oder Jay Z. Doch mit U2 ist seit gestern eine neue Dimension eröffnet.

Ein Song von „Songs of Innocence“ wird die Signatur-Musik der anstehenden, weltweiten Mega-Kampagne für die Apple Watch. Bono und Co wohnen jetzt nicht mehr bei den Rockern und Rollern, sondern in der WG ihrer steinreich gewordenen Neu-Kumpels von der Tekkie-Fraktion. Vor diesem Hintergrund scheint jegliche Musikologen-Debatte, ob Adam Claytons Basslinien noch kräftig wummern oder ob sich das massive Neo-Produzententeam Danger Mouse, Paul Epworth und Ryan Tyler von One Republic im Hinblick auf das Endprodukt eher befruchtet oder eher gegenseitig zugekleistert haben, obsolet. Zumal die alte Eno-Garde, wie den Credits zu entnehmen ist, anfangs auch noch mitgemischt hat.

Der Begriff „Dinosaurier-Rock“, der mit Punk und New Wave zwischen 1976 bis 1979 als abgeschlossene Phase der Popmusik-Geschichte galt, feiert in der U2/Apple-Marketing-Freundschaft seine Wiederauferstehung: Als Digitale Dinos fahren die Fabulösen Vier noch einmal eine fette Ernte ein.

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