Underdog auf Samtsofa

Heute hat sie sich zweifellos an den Wohlstand gewöhnt. Aber das Gefühl des Missverhältnisses ist geblieben. „Ich fühle mich als Underdog“, meint sie. „Es kommt mir immer noch vor, als stünde ich ganz am Anfang. Immer. Ich habe immer den Eindruck, fehl am Platz zu sein. Das hat damit zu tun, dass ich aus Puerto Rico bin, aus der Bronx, und eine Frau. Alles zusammen. Dass ich aus einer Familie ohne Geld stamme. Dass ich keine Kontakte im Business hatte. Ich bin einfach losgezogen und habe mir gesagt: ‚Scheiß drauf. Versuch‘ es einfach. Versuch‘ einfach, es zu schaffen.‘“

Lopez ist bekannt dafür, Interviews in einem ihrer perfekt gestylten Häuser zu geben, aber diesmal wollte sie sich in ihrem Büro treffen, das vorab – ohne erkennbare Ironie – zu ihrem eigentlichen, natürlichen Lebensraum erklärt wurde, als der Ort, an dem Der Ganze Amazing Shit entsteht. Der funktionale Hausflur wirkt zwar ernüchternd, aber sobald man durch die massive Holzpforte kommt, fühlt man sich weniger wie in einem Büro; man betritt eine immersive Installation aus extremem Luxus. Es gibt ein Film- und Musikzimmer, in dem ein Steinhovenklavier aus Acryl und ein kreisförmiges, grünes Samtsofa stehen, und die grüne Flamme des gasbetriebenen Kaminofens sieht aus, als würde hier echtes Geld verbrannt. Es gibt eine glänzend polierte Küche, in deren High-End-Kühlschrank Gesundheitsdrinks fast militärisch stramm stehen. Es gibt einen verspiegelten Schminksalon mit einem hellen Fischgrätparkett und Messingakzenten. Auf der Marmorplatte des leeren Schreibtischs im Empfangsbereich steht beiläufig ein Geschenk von Tom Ford, darüber leuchtet ein BRX-Schriftzug – der natürlich für Bronx steht – und gegenüber ragt eine Luftaufnahme New Yorks vom Boden zur Decke. Die Glaswände, die den erlesenen Raum teilen, sind so blank geputzt, dass Lynda früher am Tag mit einem dumpfen Schlag dagegen gelaufen war. „Sei bitte vorsichtig“, sagte Lopez‘ langjähriger Manager Benny Medina in einem nur vielleicht scherzhaften Tonfall. Er war gerade dabei zu erklären, dass dieses Büro nach Lopez‘ Vision eingerichtet sei, weil sie alles mit Vision und Geschmack und der Art von Kontrolle angeht, die zwar Anregungen zulässt – aber halt nur bis zu einem gewissen Punkt. „Ich durfte mir meinen Schreibtisch selbst aussuchen“, sagt Medina zum Klang von Popmusik, die aus keiner identifizierbaren Richtung oder Quelle im Raum läuft. Überall schwebt der Duft von Le Labo Santal 26 und überall hat man eine überwältigende Aussicht.

Lopez hat sich in einer Art Listening Room im hinteren Bereich des Büros niedergelassen, damit sie mir den Soundtrack von „Marry Me“ vorspielen kann, und bald schließt sie die Augen und wiegt die Schultern, während sie die wohltemperierten Songs mitsingt, die von Liebe, gebrochenen Herzen und Kontrollverlust erzählen. Eine knappe Woche zuvor hatte Affleck bei Howard Stern erklärt, dass er „vermutlich immer noch trinken würde“, wenn er noch mit Jennifer Garner verheiratet wäre. Beim Gedanken, dass ihn die Ehe mit einer der wenigen amerikanischen Darlings offenbar dazu gebracht hatte, „routinemäßig eine Flasche Scotch zu trinken und auf der Couch einzuschlafen“, geriet die gesamte Öffentlichkeit völlig außer sich. Plötzlich wurde der Kontakt zu Lopez offizieller. Die ganze Szenerie unseres Treffens wirkt, als solle die eisenharte Kontrolle über ihren Markenkern und ihr Image demonstriert werden. Die Songs sind eingängig, aber die Texte verraten wenig.

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