Unfrieds Urteil: Die SPD – verloren wie die Sowjet-Hündin Laika im All

In den aktuellen Landtagswahlkämpfen und speziell in Baden-Württemberg zeigen sich die drei Probleme der SPD: Die AfD. Die Grünen. Und natürlich die SPD.

Es gibt eine „rote Linie“, an der Menschen sich in der derzeitigen politischen Hysterie orientieren sollen. Sagt Baden-Württembergs SPD-Finanzminister Nils Schmid. Nämlich: „Anständige Leute wählen keine Rassisten.“ So rief er es bei einer Diskussion der Spitzenkandidaten zur anstehenden Landtagswahl in einen rappelvollen Saal in Stuttgart. Und setzte noch ein knackiges „Ende der Durchsage“ drauf.

Wenn es denn so einfach wäre.

Schmid ist als stellvertretender Ministerpräsident der SPD Protagonist der ersten und recht erfolgreichen grün-roten Koalition in Deutschland. Das Problem seiner SPD besteht darin, dass in der Regel das Positive dem alles überstrahlenden Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zugeschrieben wird. Der Juniorpartner steht in den Umfragen bei nur noch 16 Prozent, dabei schienen die 23 Prozent von 2011 schon wenig und den speziellen Umständen der Wahl geschuldet.

Es sind drei Probleme der SPD, die sich hier addieren. Schauen wir zunächst auf das aktuelle Problem, die neue Konkurrenz durch die AfD. Die SPD-Wählerschaft ist in der Frage des Umgangs mit Geflüchteten breit aufgestellt. Ein größerer Teil gehört zur deutschen Bürgergesellschaft, die sich für die offene Gesellschaft engagiert und Kanzlerin Merkels bisherige Politik unterstützt. (Was auch Vizekanzler Gabriel und Außenminister Steinmeier tun).

Aber wie bei der CDU und der Linkspartei gibt es auch Kundschaft, die das Gefühl hat, sie sei zu kurz gekommen oder könnte zu kurz kommen angesichts der neuen Hilfebedürftigen, die sie als Konkurrenz empfindet. Um die Ablehnung der Fremden moralisch begründen zu können, wird mit dem Gerechtigkeitsargument operiert. Wenn denen geholfen wird (und unterstellt: mir nicht), dann ist das ungerecht, denn ich verdiene es (und die nicht). Diese SPD-Klientel könnte laut Umfragen zur AfD überlaufen, was die Sozialdemokraten im Südwesten marginalisieren und in Sachsen-Anhalt sogar auf Platz 4 zurückwerfen könnte.

Gabriels „erbarmungswürdiges Gerede“ bringt nichts

Was tun? Spitzenkandidat Schmidt führt eine moralische Kategorie ein. Wer AfD wählt, ist nicht anständig. Es geht nicht darum, ob oder dass das stimmt. Es geht darum, welche Kraft das hat. Es ist keine politische Antwort. Es ignoriert, was die Leute umtreibt und dass es der AfD teilweise schon gelungen ist, „Anstand“ als Widerstand gegen die Demokratie umzudefinieren. Es ist nicht auszuschließen, dass so ein Anstands-Dogma manche Menschen erst recht zur AfD treibt.

Der SPD-Bundesvorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel hat am vergangenen Wochenende einen anderen Befreiungsschlag versucht. Er fordert als Antwort auf die globale Bewegung der Menschen, die vor Bomben, Tod und Elend flüchten, ein „neues Solidaritätsprojekt für die eigene Bevölkerung“. Man will den Wählern, die Angst um sich haben, sagen, dass sie nicht „wegen“ Flüchtlingen zu kurz zu kommen. Gleichzeitig schiebt man diese Position der CDU unter und erklärt gleich noch den Versuch eines nachhaltigen Haushaltes – also die Berücksichtigung der Rechte nachfolgender Generationen – für „mitschuldig an der Radikalisierung“ (Gabriel). Tenor: Der CDU und ihrem Schäuble ist eine „schwarze Null“ wichtiger als ein anständiges Leben für Menschen, die „fleißig arbeiten“ (das ist bei der SPD Bedingung für Gerechtigkeitsanspruch).

Ich stimme selten mit dem Bundesfinanzminister überein, aber dass Gabriels neueste Aktion ein „erbarmungswürdiges Gerede“ ist, das bringt es auf den Punkt. Ja, es gibt Arme, es gibt Arbeitsplatzverluste, sinkende Reallöhne, Alleinerziehende, die ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können, immer mehr prekäre Jobs – und die SPD könnte sich um all die kümmern, die vom Markt nicht profitieren, sondern unter ihm leiden. Tut sie aber nicht. Sie redet nur wohlfeil davon.

Im Grunde aber gehört die überwiegende Mehrheit in Deutschland im globalen Vergleich zur High Society dieses Planeten und den glücklichen fünf Prozent. Bei einem schweren Unfall bekommen die schwer Verletzten zuerst Hilfe. Ein „Solidaritätsprojekt“ für die Deutschen hat in dieser Logik wirklich die geringste Priorität.

Die Demokratie ist nicht so gefestigt, wie wir immer dachten

Was ich sagen will: Man muss um die kämpfen, die wegzubrechen drohen, weil die Mitte zusammengehalten werden muss in einer Situation, in der sich andeutet, dass die Demokratie in Deutschland nicht so gefestigt ist, wie wir immer dachten. Aber gerade in einer hyperventilierenden Lage muss man mit seinen Worten selbst im Zustand galoppierender Wahlkampfverzweiflung maßvoll umgehen und darf nicht die Ressentiments noch bedienen.

Ich gebe zu, das ist kompliziert, aber das ist die Lage. Zu ihr gehört auch, dass der baden-württembergische SPD-Kandidat Schmid als Finanzminister ja selbst damit wirbt, dass er die „schwarze Null“ viermal in Folge geschafft hat.

Womit wir zu dem grundsätzlichen SPD-Problem kommen, das zum Aufstieg anderer Parteien führte, von den Grünen über die Linkspartei bis nun zur AfD. Die SPD hat wenig Antworten auf die Herausforderungen der Gegenwart. In einigen Bundesländern geht es noch, wo man fest verwurzelt ist, wo die Zeit angehalten zu sein scheint oder wo die SPD sie anhält, etwa in der Ökohölle Nordrhein-Westfalen. Aber nicht nur im Osten, vor allem in den – jeweils auf ihre eigene Art – modernen Bundesländern (Bayern, Baden-Württemberg, Hessen) dünnt sie personell und in der Gesellschaft aus.

Das und eine spezielle Konstellation hat zum dritten SPD-Problem geführt: Man hat es gemerkt.

Im wichtigen Bundesland Baden-Württemberg sind die Grünen nun die Volkspartei, die etwas schafft, was die SPD niemals geschafft hat. Sie konkurriert ernsthaft mit der CDU. Um die Vorherrschaft, um den Ministerpräsidenten und darum, wie die Gesellschaft sich sehen möchte.

Dennoch hat die SPD immer noch eine erstrebenswerte Perspektive: Mitregieren dürfen. So wie sie das seit 2005 – mit einer Ausnahme – im Bund tut. Das ist eine ganze Menge, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Partei handelt, die im 21. Jahrhundert manchmal verlorener wirkt als seinerzeit die sowjetrussische Hündin Laika im All.

Peter Unfried ist Chefreporter der „taz“ und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de

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