Unfrieds Urteil: Jan Böhmermann in 20 Fragen und Antworten

Was bleibt vom Fall Erdogan vs. Merkel vs. Böhmermann? Die 20 wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick

1. Was sagt die enorme Erdogan-Merkel-Böhmermann Aufregung über die gesellschaftliche Stimmung?

Sie zeigt die Erleichterung, endlich nicht mehr über die harte Realität der globalen Flüchtlingsdynamik diskutieren zu müssen, über die Komplexität einer Lösung – und die eigene Verstrickung als Profiteur von globaler Ungerechtigkeit. Endlich hat man wieder die übliche Diskurs-Ebene: Freiheit der Kunst, das ist wichtig, aber auch angenehm universal. Ob man sich nun mehr über Erdogan, Merkel oder gar Böhmermann empört, es ist jedenfalls wieder weiter weg von einem selbst.

2. Wurde der Diskurs befördert, was Satire ist, soll, kann und darf?

Sehr witzig. Die Sache zeigt vielmehr, dass Ironie Schulfach werden müsste. Für viele endet die Medienkompetenz weiterhin, wenn es über das Gesagte hinaus einen Bedeutungshorizont gibt.

3. Aber ist es nicht wichtig, dass Satire die Mächtigen entlarvt?

Satire kann sich über Mächtige lustig machen, sodass beim Zuschauer oder Leser ein kurzer Moment der Erleichterung entsteht. Vergleichbar einem Rülpser, der kurz gut tut. Viel mehr ist nicht drin. Genau dafür werden Böhmermanns Sendung, die „heute show“ und facebook-Empörungen geliebt.

4. Muss die Unabhängigkeit der Fernsehsatire nicht unbedingt bewahrt werden?

Wenn, dann müsste sie überhaupt erst mal errungen werden. Das private Fernsehen in Deutschland ist wirtschaftlich abhängig vom Geld der Werbung. Das öffentlich-rechtliche Fernsehen ist wirtschaftlich abhängig vom Geld der Politik. Das muss man nicht verdammen, aber wissen.

5.  Wenn man die Nachkriegsentwicklung von Humor und politischer Satire in Deutschland sieht, wofür stand Heinz Erhardt, dieser brave, leicht trottelige 50er Jahre-Komiker?

Deutsche können keiner Fliege was zu leide tun. Und: Don’t mention the war.

6. Wofür stand Dieter Hildebrandt („Scheibenwischer“)?

Deutschland schlimm, alles schlimm. Außer der SPD von Willy Brandt.

7. Wofür stand Rudi Carrell (ARD-„Tagesshow“)?

Professionelle Unterhaltung. Carrell machte den Bundesminister Norbert Blüm (CDU) populär, indem er ihn als netten Trottel darstellte. Auch wer es zum Running Gag der „heute show“ bringt, profitiert letztlich davon. Das muss man verstehen, wenn man fragt, was Satire kann. Oder wenn man erfolgreich Politik machen will.

8. Wofür stand Friedrich Küppersbusch (ARD-„Zak“)?

Für das Maximum.

9. Wofür stand Harald Schmidt?

Distanz als ultimative Haltung, Distanz zu allem, den ästhetischen Zumutungen der Rechten wie der Linken. Unmöglichkeit von Engagement. Totaler Individualismus.

10. Wofür stand Stefan Raab?

Keine Welt jenseits des Fernsehens und der Beschäftigung des Fernsehens mit dem Fernsehen. Und Popmusik.

 11. Wofür steht Comedy?

Comedy ist wichtig für Menschen mit gutem Geschmack. Damit sie sagen können: Comedy ist von Menschen mit schlechtem Geschmack für Menschen mit schlechtem Geschmack.

 12. Wofür steht Oliver Welke („heute show“)?

1. Unterhaltung. 2. Unterhaltung. 3. politisches Okaysein mit Bildungsanspruch für Menschen mit Leitartikelphobie und Mediennutzungskultur des 21. Jahrhunderts.

13. Wofür steht Dieter Nuhr („Nuhr im Ersten“)?

14. Wofür steht Frank-Markus Barwasser („Pelzig“?)

Fragen. Die Classic-Kabarettisten haben die Illusion von besserwisserischer Omnikompetenz in die Gegenwart verlängert. Barwasser hat erkannt, dass Fortschritt die Fragen sind, die es zu stellen gilt.

 15. Wofür steht Jan Böhmermann?

Manche sehen ihn als Dadaisten, andere als existentiellen Ironiker. Er repräsentiert hauptsächlich die zeitgenössische Idealvorstellung seiner Altersgenossen (Generation Y) von Karriere, Nonkonformismus und politischem Okaysein. Hat mit seiner Ironie Gut und Böse als moralische Pole zurückgeholt, nachdem Schmidt sie zu ästhetischen Kategorien entwickelt hatte.

16. Politisiert Böhmermann seine Anhänger und Zuseher nicht doch?

Meine Unterstellung lautet: Vermutlich ist es bei der Mehrheit Substitution für eine unpolitische Lebenshaltung.

17.  War es nicht dringend nötig und die richtige Haltung, den aus westlicher Sicht unerträglichen Staatspräsidenten Erdogan satirisch zu kritisieren?

Nein. Das Problem ist so offensichtlich, dass die Kritik keinerlei aufklärerisches Potenzial hat.

18. Zeigt der zwölfminütige Clip aus der bisher letzten „Neo Magazin Royale“-Sendung, dass Böhmermann ein singuläres Avantgarde-Genie ist?

Er zeigt, dass Böhmermann unter den Macht-, Kreativitäts- und Produktionsbedingungen des Mediums Fernsehen und des Senders ZDF singulär ist. Aber, jetzt haltet mal den Ball flach: Seit wann ist die Avantgarde im Fernsehen oder gar im ZDF?

19. Hat Böhmermann nicht wenigstens entlarvt, dass Kanzlerin Angela Merkel entgegen des zeitweiligen Eindrucks in linksliberalen und grünen Milieus nur eine opportunistische und machtfixierte CDU-Politikerin ist?

„Entlarvt“ sind allenfalls die ‚What goes up, must come down’-Kolumnisten, die Merkels realitätsorientierte Flüchtlingspolitik zunächst in den Olymp des Humanismus fabuliert hatten, um nun Krokodilstränen zu weinen, dass sie den Humanismus wieder allein bewahren müssen. Wie Peter Sloterdijk sagt, hat ein Politiker heute meist nur die Wahl zwischen verschiedenen Übeln. Merkel versucht demnach stets, das kleinste Übel zu identifizieren. Manchmal gelingt es ihr. Manchmal nicht. Gute Politik muss auch mal moralisch bedenklich lavieren, damit am Ende was Gutes rauskommt. Siehe Cicero. Im Handling der Erdogan-Böhmermann-Causa hat sie sich jedenfalls in eine politisch ungünstige Lage gebracht. Die moralische Frage ist und bleibt aber: Was bringt es, dem türkischen Staatspräsidenten mal so richtig Bescheid zu stoßen? Was bringt es den Geflüchteten, den Kurden, den inhaftierten türkischen Journalisten, der EU, der Freiheit, der Kunst, der Satire? Die realpolitische Frage ist: Kriegt Merkel im Angesicht der sich verweigernden EU eine europäische Flüchtlingspolitik mit einem Typen wie Erdogan hin? Sicher ist nur eins: Lustig wird das auf keinen Fall.

20. Is Irony over?

Ironie ist niemals over. Das zu verstehen, würde nicht nur Erdogan bereichern.

Peter Unfried ist Chefreporter der „taz“ und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de

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