Unfrieds Urteil: Mit Thom Yorke und David Bowie gegen die Klimakatastrophe – kein Grund zum Lachen

Die Politik wird den Klimawandel nicht in Paris stoppen. Es braucht einen kulturellen Paradigmenwechsel, wie ihn eine „kreative Gemeinschaft“ um Thom Yorke, David Bowie, Chrissie Hynde und Yoko Ono initiiert. Für eine CO2-freie Gesellschaft, nicht für Xavier Naidoo.

Wenn Thom Yorke von Radiohead einen Song über den Klimawandel schriebe, dann würde dieses Lied ein Scheißdreck sein. No offense, das hat er selbst gesagt. Yorke gehört zu den 300 Musikern und Schauspielern einer „kreativen Gemeinschaft“, die sich in einem offenen Brief an die gerade in Paris tagende UN-Klimakonferenz verpflichten, ihre Kunst und ihre Popularität in den Dienst dessen zu stellen, was sie fordern: Die globale Temperaturerhöhung durch CO2-Emissionen auf 2 Grad Celsius zu begrenzen. Aber in einem Gespräch im französischen Magazin „Télérama“ benennt Yorke auch die Schwierigkeiten, als Künstler politisch wirken zu können.
In den 60ern habe man Songs schreiben können, die zumindest Teile einer Generation mobilisierten. Gegen den Krieg in Vietnam, für eine andere Gesellschaft. Wenn er sich heute eine Woche ins Bett legte, sagt Yorke, wie seinerzeit John und Yoko in Amsterdam, würde das keinen kratzen. Man könne auch mit einem Kunstwerk nicht das Bewusstsein eines Menschen verändern. Und seine persönlichen Anstrengungen, wie die möglichst CO2-armen Konzerte, die Radiohead seit einigen Jahren macht, seien angesichts einer fehlenden gesellschaftlichen Infrastruktur wie „in den Wind pissen“.
Das ist eine realistische Beschreibung des Status Quo. Yorke repräsentiert damit die Zerrissenheit der meisten Menschen, die sich ernsthaft mit den Folgen des Klimawandels beschäftigen – nicht für die „Umwelt“, wie gerne gesagt wird. Sondern für die Zukunft der menschlichen Gesellschaften. Er ist hin- und hergerissen zwischen Engagement, um die Sache zu wenden. Und der desillusionierenden Erkenntnis, dass alles viel zu langsam geht und viel zu wenig ist, um auch nur das Schlimmste verhindern zu können.
Politisch idyllisch war es in den 70ern und 80er auch nicht. Ästhetisch ansprechend schon gar nicht. Aber übersichtlich halt. Hier wir, dort die anderen. Das waren außenpolitisch mehrheitlich die Russen, für eine Minderheit die US-Amerikaner (man musste „US-Amerikaner“ sagen.) Gesellschaftlich waren es die Elterngenerationen, die Konservativen, die Altnazis, die Schlagerfuzzis. Die Eagles schon auch.
Heute ist es in einer atomisierten Gesellschaft fast unmöglich, ein „Wir“ zu definieren.
Das ist ein Teil des Fortschrittes, aber nun schlägt es eben auch ins Problematische um.
„Wir“ funktioniert im Moment national allenfalls noch über Abgrenzung von Nazis und dem Pegida-Häufchen. Europäisch wird die EU in der EU nicht positiv identitär besetzt, sondern häufig populistisch als Feindbild genutzt, gegen das sich der Nationalstaat definiert. Wenn man sich die Einzelinteressen der fast 200 Länder ansieht, die eine gemeinsame und entschlossene Aktion gegen Klimawandel und die damit verbundenen globalen Flüchtlingsbewegungen und anderen fortschreitenden Krisen ergreifen sollen, dann könnte man gleich verzweifeln. Selbst bei westpazifischen Inseln, die demnächst untergehen, dominiert das kurzfristige ökonomische Interesse. Und das ist leider auch nachvollziehbar. Ohne Arbeit und Geld sind die Leute sofort erledigt und nicht erst später.

Es fehlt ein „Wir“-Gefühl – dabei liegt es an uns

Saudi-Arabien ohne Öl-Einnahmen? Russland ohne Öl- und Gas? Nordrhein-Westfalen ohne Kohlekraftwerke? Baden-Württemberg ohne Benzin-Autos? Die Frage ist ja nicht nur, was aus den dadurch entlohnten Menschen wird, sondern: Was wird dann aus den Scheichs, aus Putin, der NRW-SPD und dem grünen Ministerpräsidenten Kretschmann? Generell kann man sagen: Die Leute, die den Status Quo zu verteidigen haben, sind deutlich engagierter als die Leute, die die Zukunft der Gesellschaften verteidigen.
Das liegt eben auch daran, dass es zu einem großen Teil dieselben Leute sind. Wir. Und da passt dieses „Wir“ tatsächlich. Es meint die wohlhabenden Gesellschaften, deren Leitmotiv der „Errungenschaftskonservatismus“ ist, wie Peter Sloterdijk das nennt. Die Bewahrung des Fortschritts der vergangenen fünfzig Jahre, ökonomisch, aber auch was die Sozialstandards angeht, etwa bei Gesundheit und Bildung. Das ist faktisch nur zu bewahren durch Veränderung, aber selbst wenn das rational begriffen wird, so bleibt es emotional blockiert.
Fortschritt und Wohlstand sind bis heute verknüpft mit CO2-Wachstum. Je mehr CO2 eine Gesellschaft raus haut, desto wohlhabender ist sie. Und desto mächtiger. Der Aufstieg Chinas (und der Abstieg der USA und der EU) verläuft parallel zum Aufstieg der chinesischen CO2-Emissionen und ihrem zunehmenden Anteil am Gesamtausstoß. Dass dieses Carbonisierungs-Paradigma nicht mehr gelten darf und kann, wissen alle.
Aber was tun? Die gern gepflegte Vorstellung einer moralischen Wende ist absurd.
Mal abgesehen davon, dass im Westen kaum einer sein Auto abmelden wird: Man muss die Welt wie der Grünen-Intellektuelle Ralf Fücks aus der Sicht jener sehen, die sie in den kommenden Jahrzehnten dominieren werden. Das sind die Milliarden, die den europäischen Industrialisierung mit über 100 Jahren Verspätung nachvollziehen. Die werden auf ihren Aufstieg in die globale Mittelschicht und ein längeres und besseres Leben nicht aus moralischen Gründen verzichten. Zurecht.
Insofern bleibt keine andere Chance, als die Entkopplung von Wachstum und CO2-Ausstoß entschlossen voranzutreiben. Politisch und gesellschaftlich. 100 Prozent Erneuerbare Energie, Ressourceneffizienz, Elektroautos – alles so schnell wie möglich. Und Deutschland nicht als moralischer oder Green-Washing-Weltmeister, sondern als globalisierbarer Prototyp einer grünen Wirtschaft und Gesellschaft unter dem Sinatra-Motto: „If I can make it there, I’m gonna make it anywhere.“

Vielleicht kann Rock’n’Roll mehr bewegen als die Politik

Die Politik wird es nicht richten. Sich darauf zu fixieren, wäre der menschlichen Intelligenz nicht würdig. Die Konferenz von Paris kann im besten Fall einen klimadiplomatischen Schub geben für die nächsten zwanzig entscheidenden Jahre. Aber gespielt wird auf dem Platz. Nicht mehr nur von den NGO und den üblichen Verdächtigen. Das reicht nicht. Nach der Konferenz ist Konfrontation angesagt, in vielen Bereichen.
Und wie kann Rock’n’Roll dabei helfen?
Ein Song mit dem Refrain „Come on, let’s fight C-O-two/make a better world come true“ wird die Sache nicht drehen können, da hat Thom Yorke Recht. Dekarbonisierung ist kein natürlicher Gefühlskracher. Komplexität ist der Feind des Rock’n’Roll. Eine komplexe Gefühlslage erst recht. Aber es gibt eine kulturelle Macht und in diesem Moment ist sie noch eindeutig eine hegemoniale und restaurative CO2-Kultur. Dagegen hilft keine moralische Bewegung, dagegen hilft nur eine neue Kultur, gefördert durch eine kulturelle Bewegung politischer Menschen, wie sie die 300 Künstler um Yorke, Bowie, Hynde und Yoko Ono initiieren.
Das wird schwierig, ist aber zumindest erfolgsversprechender als die derzeit im Dutzend billiger gehaltenen Sonntagsreden, bei denen man einsichtsvoll nickt. Und danach weiter macht wie immer. Wissen allein bringt auch keine Bewegung. Es braucht eine Dynamik durch Emotion, durch eigene Erlebnisse – wie derzeit beim zivilgesellschaftlichen Flüchtlingsengagement – durch Wut und durch das Gefühl, zu einer Bewegung zu gehören und sich dadurch neu und angemessener zu erleben.
Bei allem Respekt vor ihrem Engagement für Xavier Naidoo: Es wäre angemessen, wenn 121 deutsche Musiker und Schauspieler es nicht bei einer Solidarisierungs-Zeitungsanzeige für den kurzfristigen Eurovisions-Kandidaten belassen würden.

Peter Unfried ist Chefreporter der „taz“ und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de

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