Unfrieds Urteil: Nicht mal seine Frau findet Sigmar Gabriel wirklich geil

Wer heutzutage einen Lacher landen will, muss nur zwei Worte sagen. Erstens: Sigmar. Zweitens: Gabriel. Hat sich der SPD-Vorsitzende das redlich verdient?

Ich war mal bei einer Aufzeichnung der ZDF-„heute show“ in Köln. Vor der Sendung gab der Gastgeber Oliver Welke dem Publikum Anweisungen. Eine lautete: „Wenn ich FDP sage, dann lachen Sie!“

Gab sofort einen Lacher.

Daran musste ich denken, als ich unlängst bei einer Podiumsdiskussion im Intellektuellenmilieu zuhörte. Kam nicht so recht Stimmung auf. Und was macht da ein nachdenklicher Intellektueller? Er spricht die goldenen zwei Worte: Sigmar. Gabriel.

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Sofort Glucksen im Raum. Worauf der andere Intellektuelle sagt: „Der Satz, Sigmar Gabriel ist das Geilste, was es gibt, wird nicht mal seiner Frau über die Lippen gehen.“ Das war der Großlacher des Abends. Ich feixte auch. Aber davon mal abgesehen: Booaah.

Der SPD-Vorsitzende Gabriel, weniger der SPD-Wirtschaftsminister Gabriel, ist der Whipping Boy der Gegenwart. Der SPD-Unterbezirk Odenwald (was immer das ist) fordert seine Abwahl. „Bild“ schrieb am Montag, dass „üble Gerüchte“ über Gabriels Demission im Umlauf seien. Die durch Dementi bekanntlich nur verstärkt werden. Jedenfalls: Was immer Gabriel macht, mit mehr als einer schäbigen Distinktion-Pointe kann er als Reaktion nicht mehr rechnen. Nun wäre die klassische Replik, zu sagen, dass er sich das ja aber auch redlich verdient hätte.

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Nein, hat er nicht. Das eine ist, dass Gabriels Rückzug nach Goslar das Problem der SPD nicht lösen wird. Das andere ist die zunehmende Schäbigkeit eines politischen, gesellschaftspolitischen und medienpolitischen Diskurses, der auf nichts hinaus will außer auf kurzfristige Triebabfuhr (um mit Freud zu sprechen).

Die Sozialdemokraten schrumpfen überall

Gerade ist der SPÖ-Vorsitzende und österreichische Bundeskanzler Werner Faymann zurückgetreten. Ist das nicht ein Vorbild für Gabriel? Auch Faymann hatte den Rückhalt seiner sozialdemokratischen Partei verloren und nach dem 11-Prozent-Desaster des SPÖ-Bundespräsidentenkandidaten vollends den Glauben, mit ihm Wahlen gewinnen zu können.

Wendet man die übliche Argumentationsfolie an, dass die Sozialdemokratie halt leider nicht mehr der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet sei und generell zu mittig, dann wird Faymanns Schwenk in der Geflüchtetenpolitik hin zu Grenzen und Obergrenzen als moralischer und politischer Grund für sein Scheitern ausgemacht.

Leider ist das Problem der Gegenwart, dass sie nicht mehr so einfach zu analysieren ist. Die Polarisierung der Gesellschaft ist sichtbar geworden, seit die globale Flüchtlingsdynamik Europa konkret betrifft und die EU sich als ein unsolidarischer oder zumindest schwer zusammenzubindender Haufen herausgestellt hat. Die Polarisierung verläuft aber auch national nicht mehr zwischen Parteien und ihren Milieus wie früher (hier emanzipatorisch und weltoffen, dort nicht), sondern sie geht durch die langjährigen Volksparteien hindurch.

Das hat die Union in Deutschland gerade in der Geflüchtetenpolitik erfahren müssen, und das betrifft auch die SPD und die SPÖ. In Österreich halten die einen Sozialdemokraten Koalitionen mit der rechten FPÖ für das endgültige Verderben – und die anderen Sozialdemokraten sehen das als Rettungschance. Welcher Flügel sich auch immer durchsetzt: Es wird die Partei tendenziell weiter schrumpfen.

Deswegen ist auch die Kritik an Gabriels angeblich ständigen Positionswechseln einerseits richtig, aber andererseits wäre das Gegenteil nicht automatisch besser.

Der gern als Nachfolger genannte Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz ist mit zwei Wahlsiegen in Folge ein wirklich erfolgreicher Sozialdemokrat. Aber mitnichten, weil er grundsätzlich „linker“ wäre als Gabriel.

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Es ist nicht zu übersehen, dass vor allem SPD-Mitglieder und Stammkundschaft die permanenten Kompromisse beim Regieren als Schwäche und Verrat spüren. Als emotionale Ermüdung im „Hamsterrad notwendiger Sozialreparaturen“, wie Gabriel an diesem Montag sagte. Aber wer in neun Bundesländern regiert und sich – abgesehen von vier Jahren – seit 1998 in jede Bundesregierung rein gedrückt hat, der sollte gefälligst auch zu seiner (berechtigten) Machtfixierung stehen. Außerdem ist ein guter Kompromiss nun mal das Beste, was die politische Gegenwart hergibt.

Das Problem der SPD heißt nicht Gabriel

Das Problem der SPD ist nicht Gabriel. Das Problem ist, dass das Industriezeitalter zu Ende geht. Und die SPD das zwar weiß, aber nicht, was sie damit im Hinblick auf ihren Markenkern (Gerechtigkeit durch ordentlich bezahlte Festanstellung und Aufstieg durch Bildung) anfangen soll. Deshalb ist die Partei emotional getrieben von der Sehnsucht nach der Zeit, als sie noch Zukunft hatte und Menschen Zukunft geben konnte. Also der Vergangenheit.

Der Wunsch, dass Gabriel weg soll, damit die SPD wieder gerecht werden kann und alles gut wird, ist die Chiffre für Hilflosigkeit. Nicht nur alte Wähler sind weg, die alte Welt ist es auch. Um im Gerechtigkeitspartei zu sein, müsste die SPD sich wirklich neu erfinden – in der Realität von globalisierten Wertschöpfungs- und auch Wertzerstörungsketten und Problemen, die alle nicht vor Grenzen Halt machen und nicht mit anderer Verteilung von Steuern zu regeln sind. Aber schon das Abschalten der Kohlekraftwerke in NRW könnte die Partei vollends zerreißen.

Es geht allerdings ja für die SPD längst nicht mehr darum, den Kanzler zu stellen. Es geht darum, das Schlimmste zu verhindern. Genau das ist auch die Argumentation, mit der die SPD in den vergangenen Jahren noch am ehesten ihre Wähler mobilisiert hat. Manchmal allerdings auch gegen den eigenen Kandidaten (wie etwa Peer Steinbrück).

Theoretisch wäre es also ideal, wenn die SPD einfach nur versprechen muss, dass sie die AfD verhindert. Doch wie die letzten Wahlen zeigen, wählen viele klassische SPD-Wähler AfD, um die SPD zu verhindern.

Und dann ist der respektierteste Politiker jenseits der Union auch noch Baden-Württembergs Grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann, dessen moderat-pragmatische Form von emanzipatorischer, sozialökologischer, wohlstanderhaltender Politik mit klarem Ja zu EU und Einwanderung zumindest derzeit höchste Glaubwürdigkeit genießt. Kretschmann hat grüne Politik mit dem globalen Kontext und vor allem auch mit dem kurzgeschlossen, was viele Leute derzeit wirklich umtreibt. Und er hat eine Sprache gefunden, mit der er sie erreicht. Damit hat er die SPD auf 12,7 Prozent geschrumpft und die CDU zum Juniorpartner degradiert.

Es geht. Das Problem ist, dass die SPD es nicht hinkriegt. Sigmar Gabriel ist nicht der Kern des Problems, sondern die Folge des Problems. Er personifiziert die Gegenwart der SPD. Und genau deshalb mag ihn die Partei nicht mehr sehen.

Peter Unfried ist Chefreporter der „taz“ und schreibt jeden Dienstag exklusiv auf rollingstone.de.

 

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