Rock And Roll Circus – Die letzte Party der Rolling Stones

Während die Beatles sich verabschiedeten, feierten die Stones im "Rock And Roll Circus" eine letzte Party. Nach 28 Jahren wurde das Dokument nun veröffentlicht.

Pete Townshend trifft ins Schwarze, wenn er klagt, daß das Geld alles kaputtgemacht hat. Geld und der vermaledeite Professionalismus, auf dessen Altar jede Art künstlerischen Anspruchs geopfert wird, und auf den die Musikwelt erst stolz ist, seit sie von Anwälten regiert und von 100-Seiten-Verträgen reglementiert wird. Townshends Seufzer klingen verbittert, seine Diagnose zynisch, doch ist Zynismus nichts weiter als schmählich enttäuschter Optimismus, und leicht nachvollziehbar, wenn man The Who beobachtet, wie sie kurz vor dieser fatalen Wende, am 11. Dezember 1968 als Gäste des „Rolling Stones Rock And Roll Circus“ mit Verve und Wonne und quirligem Enthusiasmus ihre Mini-Oper „A Quick One While He Is Away“ zelebrieren, noch ohne jedwede Prätention, ein Lichtjahr vor „Tommy“.

Als Stone-Fan der ersten Stunde, der sogar sein Markenzeichen, die Windmühlenflügel-Bewegungen beim Saitenklatschen, von Keith Richards abgeguckt hat, war Townshend sofort mit Feuer und Flamme dabei. The Who waren ohnehin gerade auf Tour und daher in absoluter Höchstform. Auch sonst rannte Mick Jagger nur offene Türen ein.

Nachdem die Idee erst einmal geboren war, brauchte es nur ein bißchen Brainstorming, ein paar Anrufe, eine Woche Planung und zwei Tage Proben, und schon stand die Circus-Show samt Tigern, Teller-Jongleuren, Feuerschluckern und boxenden Känguruhs. Jethro Tüll, damals noch reichlich obskur, wählte Jagger aus einem Stapel Demo-Cassetten aus. Taj Mahal hatte er in den Staaten kennen- und schätzengelernt. Claptons Terminkalender war nach der Auflösung von Cream nicht gerade randvoll mit Terminen,John & Yoko mußten ebenfalls nicht lange bekniet werden, und um Marianne Faithfull zu engagieren, brauchte Mick nicht einmal das Bett zu verlassen.

So informell und improvisiert das Programm und der Rahmen sein mochten, so familiär und freundschaftlich der Umgang war im Rock-London des Jahres 1968, so unfertig, lebendig und lustvoll gerieten die Auftritte, von Tülls archaischem Rumpelstilzchen-Boogie bis zum „Yer Blues“ der Beatles, dargeboten von The Dirty Mac: John Lennon, Eric Clapton, Keith Richards am Baß (Bill was not amused) und Mitch Mitchell am Schlagzeug.

Lennon folgte seinem Original weitgehend, legte aber mehr Herz in den Vortrag, vielleicht weil er dabei Händchen halten konnte mit Yoko, etwas, das verpönt war in den Abbey Road Studios.

Davor war Marianne so schön anzusehen wie anzuhören, danach gab es Yokos frenetisches Kampfgeheul zu bewundern in „Whole Lotta Yoko“,John verliebt und längst verloren, Mick mit mokiertem Blick, meist in der Rolle des Dompteurs oder als Master of Ceremonies.

Faszinierend ist der Rapport zwischen Jagger und Lennon, zu gleichen Teilen Respekt und Argwohn, Rivalität, und das Gefühl, daß die Luft dünner wird, je höher man sich tragen läßt im Überschwang so neuer und aufregender Erkenntnisse wie: anything goes.

Nach gut fünf Jahren machte die alte Dichotomie plötzlich keinen Sinn mehr, die altbewährte Arbeitsteilung zwischen den vermeintlich so putzigen Pilzköpfen und den gesellschaftlich geächteten Rock’n‘ Roll-Rabauken hatte sich überlebt. Beatles und Stones herrschten jetzt, ohne teilen zu müssen, da der Markt expandierte, gleichzeitig aber transparenter wurde, durchschaubarer. Jetzt ließen sich auch die feinen und mühsam kaschierten Risse wahrnehmen, die intern verliefen und die Beatles in Lager teilten, das Stones-Camp durchzogen.

Nur wenige Monate später ging diese Ära dann zuende. Brian Jones starb und die Beatles trennten sich. Lennon und Jagger trafen sich in New York, wo sie eine gemeinsame Single aufnahmen, die jedoch nie veröffentlicht wurde, weil immer etwas dazwischen kam. Ein Schicksal, das auch den „Circus“ 28 Jahre lang unter Verschluß hielt und bislang zum Mythos machte.

Als offiziöser Grund sickerte mal durch, die Stones seien nicht besonders zufrieden gewesen mit ihrer Vorstellung. Aus heutiger Sicht unbegreiflich. Sicher, sie waren nach fast zwei Jahren Bühnenabstinenz etwas rostig geworden, die Scharniere quietschten vernehmlich, und hier und da haut einer völlig daneben. Doch das wird mehr als wettgemacht durch den bravourösen Einsatz und die simple, pure Spielfreude. „Jumping Jack Flash“ ist im Rohzustand brachial-funky und benötigt keine Verzierungen, „Parachute Woman“ wirkt ohne kunstvolle Verhallung wesentlich aggressiver, „No Expectations“ hat noch mehr Resignation, und die acht fiebrig-intensiven Minuten von „Sympathy For The Devil“ sind wilder, böser Exhibitionismus, ungeachtet der allgegenwärtigen, einschüchternden Kameras.

„Salt Of The Earth“ beendet die „Circus“-Show, Richards und Jagger wechseln sich beim Singen ab, und dann setzt schließlich der Chor ein, beinahe delirisch vor Übermüdung: „Let’s drink to the hard working people…“ Those were the days, my friend, we thought they’d never end.

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