Wald statt Blumen

Zur Hochzeit der Flower Power verkroch sich Dylan in zu Studios umfunktionierten Kellern in den Catskill Mountains.

Der Aussteiger

Legende und Wirklichkeit fallen selten zusammen in der Geschichte des Pop. Aber in einem sind sie sich einig: 1967 herrschte der Summer Of Love, Gitarrensoli wurden länger und lauter, Songtexte gingen mit ihrer surrealen Poesie hausieren und alles, was man brauchte, war love, love, love.

Bob Dylan, die wohl wichtigste und einflussreichste Einzelfigur im Pop seit Elvis Presley, war zwischen Frühjahr und Herbst 1967 nicht mal in der Nähe von San Francisco, dem Epizentrum der Hippie-Bewegung, er hatte keine Blumen im (erstaunlich kurzen) Haar, interessierte sich nicht für Texte, die sich um Drogenkonsum oder Lewis-Carroll-Charaktere drehten, nicht für Kritik am Establishment und schon gar nicht dafür, Barrikaden einzureißen. Er interessierte sich für Country & Western.

Dylan änderte zum zweiten Mal in seiner Karriere die Richtung. Nach seinem Motorradunfall im Juli 1966 war er mit einem Mal verschwunden. Gerüchte besagten, Dylan sei einen James-Dean-mäßigen Tod gestorben, als er bei Woodstock, New York die Bremse zu stark trat und mit seiner Harley von der Straße rutschte.

Die Rekonvaleszenz soll mehrere Monate gedauert haben – wir wissen nun, es waren nicht mal zwei. Dylan nutzte den Unfall, um „all die Parasiten um mich herum loszuwerden“, Engagements abzusagen und einen Schritt zurückzutreten, um zu sehen, wer er war und wer er sein wollte. Und er sah, dass er sein eigener Herr sein wollte, nicht das Spielzeug seines Managers, nicht der öffentliche Held.

Dylans Manager Albert Grossmann machte sich gegen Ende 1966 Sorgen um ausbleibende Einnahmen. Dylans Begleitband, die Hawks, verkroch sich im Gramercy Park Hotel in Manhattan, belastete das Spesenkonto und machte ein paar eigene Demos. Im Februar 1967 bat Dylan zwei der Hawks, nach Woodstock zu kommen, doch als sie dort ankamen, fanden sie sich als Schauspieler in Dylans nächstem Filmprojekt wieder (das bis heute niemand gesehen hat). Im März war die ganze Band, bis auf Levon Helm, der auf einer Ölplattform im Golf von Mexiko arbeitete, in Woodstock eingetroffen und die Proben konnten beginnen. Zunächst in Dylans Haus. In der Mittagszeit von zwölf bis drei (dann musste Dylan seine Stieftochter von der Schule abholen). Die neuen Songs hatten ziemlich seltsame, teilweise unsinnige Texte, die Akkordfolgen erinnerten eher an Folk und Country als an Rock und Pop. Psychedelisch war das jedenfalls nicht. Die Beat-Poetry von „Highway 61 Revisited“ und „Blonde On Blonde“ war ebenso verschwunden wie die rasenden Tempi. Und Dylans Stimme wurde lieblicher, entwickelte sich zu einem sanften croon. Er zeigte den Hawks alte Folk-Songs, Country- und Western-Klassiker, obskuren Blues und Gott weiß, was noch alles. Der ehemalige Hipster schien mehr daran interessiert, eine gute Zeit mit Freunden zu verbringen, als Tourneen zu planen und die Musik zu revolutionieren. Doch als die Popwelt durch die Acetat-Pressungen neuer Songs, die Albert Grossman an andere Musiker schickte, um in dieser geschäftlich unfruchtbaren Zeit ein paar Tantiemen durch Coverversionen einzunehmen, von Dylans Wandlung erfuhr, folgte sie ihm. Die Stones ließen Flower Power links liegen und machten „Beggars Banquet“, die Beatles lös-ten sich vom perfekten Popentwurf, Fairport Convention, Manfred Mann, die Byrds und viele andere nahmen Basement-Songs auf und hängten ihre bunten Klamotten in den Schrank.

Sid Griffin ist Musiker, Forscher und Autor mehrerer Bücher – unter anderem „Million Dollar Bash: Bob Dylan, the Band, and the Basement Tapes“.

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