Wer sind wieder wir?

Als Uwe-Karsten Heye, einst Pressesprecher für Kanzler Schröder und heute Vorsitzender des Vereins „Aktion weltoffenes Deutschland“, Menschen mit schwarzer Hautfarbe vom Besuch einiger Regionen in Brandenburg abriet, hatte er Ungeheuerliches ausgesprochen, für das er sich noch im Laufe desselben Abends irgendwie entschuldigte. Aus dem Zusammenhang gerissen, falsch formuliert, missverständlich. Wie aber war es wohl vor den Olympischen Spielen 1936 in Berlin, als das Ausland ein aufgeräumtes, gastfreundliches, weltoffenes und zivilisiertes Deutschland registrierte, ordentlich herausgeputzt und von Uniformträgern mit sauberen Scheiteln repräsentiert? Nur komisch, dass der Arm immer nach vorn zuckte, keine Juden bei den fröhlichen Spielen mitmachten und Negern aus anderen Staaten nicht zu Olympasiegen gratuliert wurde. Sie hatten schon ihre Marotten, diese Deutschen!

Und nun entdeckte man, so knapp vor der größten Fußballweltmeisterschaft aller Zeiten, die „No-go-areas“, die es, so Professor Hellmuth Karasek (ein Filmkritiker), in Städten wie Los Angeles und New York, eigentlich aber in der ganzen Welt außer Indonesien (das Kaugummi!) gebe, was ja ihre Notwendigkeit beweist. Der Neger, so Randy Newman in „Rednecks“, „is free to be put in a cage in East St. Louis/ And he’s free to be put in a cage in Hough in Cleveland“. Und in Käfige in Neukölln, in Wismar und Greifswald.

Es sind sinnlose Taten von fehlgeleiteten Jugendlichen, Arbeitslosen, Modernisierungsverlierern und Neo-Nazis, die nichts zu tun haben im Leben. Stets kanalisiert sich im Ausländerhass ein fatales Gemisch aus Frustration, Dummheit, Egoismus, Unsicherheit und Wut. Es trifft ja auch Kinder und Alte und Obdachlose, frisch geborene Babys werden erstickt und in Blumenkübel umgetopft, und das alles geschieht nicht immer und nicht nur im Osten Deutschlands. Natürlich verhindert dergleichen nicht ein putziges Heimatgefühl, wie es Til Schweiger („Der Wald!“) und Alice Schwarzer („Das Schwarzbrot!“) empfinden. Oder Florian Langenscheidt, der einen Folianten mit „250 Gründen, unser Land heute zu lieben“ volldrucken ließ.

Die Wiederentdeckung der Nation will auch Matthias „Humboldt“ Matussek herbeischreiben, ein im Dienst des „Spiegel“ weitgereister Journalist, der wie ein alter Bengel aus Bullerbü in jeder Talkshow schwadroniert, seit er das Kultur-Ressort übernommen hat. Matussek hat viel Zeit, schreibt viele Bücher und sitzt sogar in einer Schwatzbude auf „Phoenix“, wenn sein Lieblingsthema erörtert wird: die Versklavung und Ausbeutung des deutschen Mannes durch die deutsche Frau, die ihm das Recht am eigenen Kind entzieht und ihn verarmen lässt. Neuerdings, aus Engelland heimgekehrt, hat Matussek festgestellt, dass Deutschland viel liberaler, bunter und freundlicher sei als vor seiner Abreise, und weil Matussek sich auch als eine Reinkarnation von Heinrich Heine versteht, hat er über Deutschland gleich ein ganzes Buch verfasst „Weshalb die anderen uns gern haben können“, wie es zweideutig witzelnd im Untertitel heißt.

Der „Bild“-Angestellte Hauke Brost hebt dagegen das Eindeutige. Brost fuhr früher dienstlich durch Hamburg, weil er jeden Tag in einer Kolumne zu ergründen versuchte, wer einen Klopümpel auf das Dach einer Telefonzelle gestellt hatte. Nebenbei griff er dankbar Hinweise aus der Bevölkerung zu entlaufenen Kötern, übergelaufenen Gullys und seltenen Blümchen am Wegesrand auf. Kürzlich schrieb auch er ein Buch über die ungerechte Behandlung des Mannes, den Brost in seiner unappetitlichen Ursprünglichkeit erhalten will – ein kalkulierter Grobianismus, der für einige Krawall-Fernsehsendungen reichte. Nachdem der Heimatdichter Norbert Körzdörfer („Ja zu Deutschland! Ja zu uns!“) bereits vorgelegt hatte, machte Brost ein ganz neues Gefühl aus: „Plötzlich weht es schwarz-rot-gold an jedem zweiten Auto.“ Deshalb vermutete er: „Im Fahrtwind verweht endlich unser verkrampftes Verhältnis zur eigenen Nationalität.“ Oder zur eigenen Nation? „Ich würde die Fahne auch nach der WM gern am Auto dranlassen.“

Wissen Sie, Hauke, Sie können Ihre Fahne dort lassen, wo sie ist. Sie können sie in den Wind hängen oder einen fahren lassen. Der Soziologe Erwin Chargaff hat es ungefähr so formuliert: Jede Nation ist auf ihren eigenen Misthaufen stolz. Und in ein paar Tagen ist wieder Gesundheitsreform, Hartz IV, Große Koalition, Larmoyanz, Klopümpel und Wetter und Bier und Schweinebraten und Größenwahn und Goethe, Bach und Einstein.

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