WHERE THE STREETS HAVE NO NAME

Der medienwirksame Auftritt in der zerbombten Stadt war auch ein Statement für das politische Engagement der Rockmusik. Ob U2 IN SARAJEVO aber mehr war als eine Geste, wagen selbst Optimisten nicht zu prophezeien.

Der Mann mit der Schweißerbrille hängt wie eine leblose Marionette auf dem Stage-Case – die Beine baumeln, der Blick geht ins Leere. „Meint ihr wirklich, daß es gut war?“, fragt er krächzend. Sein Freund mit dem Stetson legt ihm die Hand auf die Schulter und versichert, daß es nicht nur gut, sondern außergewöhnlich gewesen sei.

Die Seelenmassage ist bitter notwendig: Der von Heiserkeit geplagte Bono hatte zuvor auf der Bühne des Kosevo-Stadions zeitweise keinen Ton mehr herausgebracht. Jetzt ist er fix und fertig, hockt aber trotzdem bis weit nach Mitternacht in den Katakomben des Stadions und diskutiert mit SFOR-Soldaten, UN-Sprechern, OSZE-Vertretern und Musikern aus Sarajevo über ein Konzert, das mehr war als eine weitere Station ihrer „PopMart“-Tournee. Nach Kriegsende war es das erste internationale Rockkonzert, zu dem Moslems, Serben und Kroaten aus allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens angereist waren: aus Zenica, Mostar, Belgrad, Zagreb und auch aus Banja Luka. 50 000 Zuschauer, darunter 7000 uniformierte SFOR-Soldaten, hatten die Boten der Normalisierung euphorisch, vor allem aber niedlich gefeiert. Und immer, wenn sich Bonos malade Stimme verabschiedete, hatten sie so lautstark ausgeholfen, daß sich der Mann auf der Bühne die Tränen nicht verkneifen konnte. „Noch nie“, sagt er später, „hat mich die Reaktion eines Publikums derart bewegt.“

Selbst Politprofis wie Alex Ivanko kommen backstage ins Schwärmen. Das Konzert, so der UN-Sprecher, habe bewiesen, „daß auch Menschen aus verfeindeten ethnischen Gruppen wieder zusammenfinden können.“ Bono nickt beifällig.

Die Besucher aus dem serbischen Banja Luka scheinen allerdings zunächst nicht davon überzeugt, daß sie im bosnischen Sarajevo wirklich willkommen sind. Es ist eine Annäherung in zögerlichen Schritten: Als die jungen Leute die alten Mercedes-Busse verlassen (von der EU und der OSZE kostenlos bereitgestellt), blicken sie ängstlich über ihre Schultern – als müßten sie sich erst vergewissern, daß von hinten keine Gefahr droht. In kleinen Gruppen stehen sie am zerschossenen Brunnen vorm Bahnhof – unsicher, was sie in dieser einst von Serben belagerten Stadt erwartet. Einige von ihnen waren vor dem Bürgerkrieg einmal hier, für die Jüngeren aber ist Bosniens Hauptstadt ein fremdes Land.

Der Wunsch, U2 zu sehen, war stärker als die Angst. „Dies ist ein besonderer Tag für alle in diesem Land. Für mich und meine Freunde ist dieses Konzert das wirkliche Ende des Krieges“, sagt Predrag.

Sein Freund Dragan nickt und meint, das müsse man schon jetzt feiern. Er zieht eine Fanta-Flasche aus dem Rucksack, die – wie er versichert – nicht mit Fanta, sondern mit Selbstgebranntem Sljivovica gefüllt sei. »Auf U2, auf die Freiheit!“, sagt Dragan – aber der Trinkspruch fällt leise und vorsichtig aus: Man will schließlich nicht auffallen.

Daß sie überhaupt hier sind, war ohnehin eher ein Zufall: Predrag und Dragan gewannen die begehrten Tickets bei einer Verlosung in Banja Luka. Wie die meisten ihrer arbeitslosen Freunde hätten sie gar nicht genug Kleingeld gehabt – auch wenn die Karten für umgerechnet 20 Mark fast überall zu haben waren. Mit Ausnahme der Karadzic-Hochburg Pale allerdings, wo nach Informationen der UN-Radiostation „EFM“ die serbischen Hardliner den Verkauf untersagten, da das Konzert „nicht sicher genug“ sei.

Nein, richtig Angst hätten sie eigentlich nicht, sagt Dragan, als er sich vom Bahnhof auf den Weg zum Stadion macht, vorbei am – inzwischen renovierten-Holidaylnn, das die Kriegsberichterstatter aus aller Welt zum Hauptquartier umfunktionierten. Vorbei an der „Sniper Alley“, auf der mehr als 200 Passanten von serbischen Scharfschützen erwischt wurden.

Vom Krieg sprechen Dragan und seine Freunde trotzdem nicht; da beschäftigt sie eher die Frage, welche U2-Songs wohl heute zu hören seien. Und fotografieren die neonfarbenen U2-Poster, die im Grau der Stadt wie Fremdkörper wirken. Plakate, die für bosnische Kommunalwahlen werben, lassen sie kalt. „Nur die Politik hat uns doch gehindert, hierher zu kommen“, sagt Dragan. Die meisten Polit-Plakate sind eh von U2-Postern überklebt. Selbst an Hauswänden, Geschäften und Straßenlaternen leuchtet das Logo der Band – Sarajevos neue Tapete. „Für die Kids hieß der Wahlsieger ohnehin U2“, sagt OSZE-Vertreter Johan Verheyden – wobei die wilde Plakatierung selbst an öffentlichen Gebäuden eigentlich gegen die rigorosen OSZE-Vorgaben verstoße. „Was sollten wir machen?“, grinst er. „Die Wahlplakate wurden überklebt.“

Selbst Bosniens greiser Präsident wollte den U2-Zug nicht verpassen. Schon im Vorfeld hatte Izetbegovic Bono in Sarajevo getroffen – was in Teilen der Bevölkerung herbe Kritik provozierte: Izetbegovic spiele den Mäzen westlicher Rockmusik, wo er doch in Wahrheit die fundamentalistischen Werte des Islams propagiere, schimpft etwa ein 33jähriger Kroate, der namentlich nicht genannt werden wilL Von U2 hält er noch weniger. Die würden nur herkommen, um auf der PR-Klaviatur zu spielen; und die Tickets seien mit 20 Mark immer noch hottend teuer. „Das Konzert wird rein gar nichts verändern! Beim Papst war’s nicht anders: Er kam, sprach und verschwand wieder. Fließend Wasser haben wir dadurch immer noch nicht.“

Muhamed Vojnikovic, den in Sarajevo alle nur „Muha“ (die Fliege) nennen, sieht das völlig anders. Für den bosnischen Musiker ist es ein lebenswichtiges Signal, daß „Bands wie eben U2 kommen und zeigen, daß man in Sarajevo wieder auftreten kann. Die Kids sind doch geradezu ausgehungert.“

Muha, der Bono schon von seinem ersten Sarajevo-Besuch kennt, war während des Krieges singender Hoffnungsträger: Im Winter ’94 etwa hatte er in einer Feuerpause sein Keyboard auf eine Karre geladen und war im Zickzack durch die verschneiten Straßen gehetzt, um nicht Zielscheibe der Scharfschützen zu werden. Er mußte einfach: Im Keller des „Studio 99“ wartete seine Band.

„Unter uns Musikern haben ethnische Unterschiede nie eine Rolle gespielt“, sagt Muha – obwohl viele seiner Musiker-Freunde im Krieg ihr Leben ließen. Daß er selbst in der bosnischen Armee kämpfte und schwer verwundet wurde, erwähnt er nur am Rande. Nur einmal habe er ein Lied über den Krieg geschrieben: „Wir haben keine Waffen, wir haben nur Lieder“, sang er in einem weltweit ausgestrahlten Protest-Video. Serben-Führer Karadzic forderte er darin auf: „You can kiss my ass.“

Aber eigendich mag er von der Vergangenheit nicht mehr reden; lieber erzählt er da von seinen Plänen, von Projekten mit internationalen Künstlern. Kult-Autor Paul Auster bat ihn, die Musik für die Bühnen-Fassung einer seiner Romane zu schreiben; Ex-Iggy Pop-Produzent Malcolm Burns will mit ihm ein Album aufnehmen – und zwar gleich hier an Ort und Stelle. „Schließlich war Sarajevo vor dem Krieg der musikalische Nabel des gesamten Balkans“, sagt Muha. „Und das sollte diese Stadt wieder werden.“

In den Schlangen am Eingang des Kosevo-Stadions ist ebenfalls viel davon zu hören, daß dies die Atmosphäre sei, die das Vorkriegs-Sarajevo so auszeichnete: vom Miteinander der Rassen, von der blühenden Musik- und Kultur-Szene. Doch als um 19 Uhr der Ansager auch die einstigen Kriegsgegner grüßt, merken Dragan und seine Freunde, daß die Aussöhnung ein steiniger Weg ist: Als die U2-Fans aus Banja Luka willkommen geheißen werden, gellen Pfiffe durchs Stadion – nur kurz, aber lang genug, um die jungen Serben zusammenzucken zu lassen. „Es braucht eben Zeit. Es ist das erste Mal, daß nach dem Krieg so etwas überhaupt möglich ist Es ist immerhin ein Anfang“, sagt er – und wird vom Applaus übertönt.

Es ist 21 Uhr – der Moment, auf den sie alle so lange gewartet haben: Die so lange und so schmerzlich vermißten Gäste aus dem Westen marschieren durch die Zuschauerreihen auf die Bühne. Juck the past, kiss the future“, schreit Bono ins Mikrophon. Und als ihm im Verlauf des Konzertes immer wieder die Stimme wegbricht, wird die Menge im Dunkeln eins und singt Strophe für Strophe aus voller Kehle und ganzem Herzen mit.

Die stürmischsten Ovationen erntet aber nicht etwa die Live-Premiere von „Miss Sarajevo“ (mit Brian Eno als Gastsänger), sondern jenes Lied über den blutigen Bürgerkrieg in Nordirland, das die Iren schon so lange nicht mehr gespielt haben. Als The Edge, ganz allein und mit der Gitarre vorm Bauch, „Sunday Bloody Sunday“ anstimmt, scheint ein kollektives Stöhnen durchs Stadion zu gehen. „There’s many lost but teil me who has won… tonight we can be as one“ – Worte einer vagen Hoffnung, die an diesem Abend aber wie Balsam wirken. Ein sprachund oft stimmloser Bono kann diesem Wunsch auch nicht mehr hinzufugen, außer: „Wewishyoupeace, Sarajevo. God bless you.“

Selbst am Tag danach ist die Euphorie geradezu greifbar. Auf der täglichen UN-Pressekonferenz im Holiday Inn, die normalerweise nur Krieg und neue Krisen vermeldet, ist die Erleichterung über den friedlichen Vferlauf des Experiments deutlich spürbat OSZE-Sprecher Verheyden, ansonsten diplomatische Nüchternheit in Person, schwebt noch immer auf einer Wolke, und Muhamed Sacirbey gesteht in nicht minder undiplomatischer Indiskretion, daß er wegen des U2-Konzerts drei Tage UN-Vollversammlung geschwänzt habe.

Nicht nur er ist auf den Geschmack gekommen: So soll Tina Turner Interesse an einem Sarajevo-Auftritt bekundet haben, und da die Stones den gleichen Tour-Promoter wie U2 haben, ist es nicht mal ausgeschlossen, daß auch die „Bridges Tb Babylon „-Architekten als musikalische Brückenbauer aktiv werden.

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