Wie jung sind die Alterswerke von Bowie und McCartney?

Das Pop-Jahr begann in der Vergangenheitsform. Anfang Januar, an seinem 66. Geburtstag, erhob David Bowie nach zehn Jahren Schweigen seine arg entrückte Stimme und erinnerte sich an die alten Zeiten in Berlin. „Sitting in the Dschungel/ On Nürnberger Straße/A man lost in time near KaDeWe/Just walking the dead.“ Man war berührt und zugleich erstaunt, dass der seine ganze Karriere über am Puls der Zeit saugende Verwandlungskünstler sich ausgerechnet zum „Werther’s Echte“-Opa gemorpht hatte. Das wenige Wochen später erschienene Album, „The Next Day“, war schließlich ein Nachlass zu Lebzeiten. Bowie sang wie einst von Apokalypse und Tod, Entfremdung und Weltall, Tony Visconti produzierte und die Musiker klangen, als hätten sie sich an alte Bowie-Platten erinnert, während sie die neuen Lieder spielten (so ein bisschen wie Paddy McAloons antiker Atari-Computer, der auf „Crimson/Red“ noch mal die schönsten Sounds seiner alten Band Prefab Sprout reproduzierte). Sogar die Verpackung von „The Next Day“ war irgendwie alt. Das Albumcover zeigte das ikonische Bild von „Heroes“, verdeckt von einem weißen Blatt. Keine Frage, da wollte jemand unsere Erinnerung anzapfen. Interviews gab Bowie keine, fotografieren ließ er sich auch nicht, sodass man ihn auf den Magazincovern der folgenden Monate in allen möglichen Inkarnationen aus der Vergangenheit sah. Zugleich eröffnete in London eine Ausstellung mit alten Bühnenkostümen und Artefakten unter dem Titel „David Bowie Is“ (man beachte die Gegenwartsform). Das mediale Tamtam war enorm. Die Auferstehung Christi war nichts gegen diese Rückkehr.

Dass man als Künstler am eigenen Mythos arbeiten kann, hat Johnny Cash ja schon in den Neunzigern gezeigt, als er mit Hilfe von Rick Rubin das öffentliche Bild des alternden konservativen Countrysängers, der als eine Art amerikanischer Freddy Quinn im Vorabendprogramm des WDR auftreten musste, gegen das des unerbittlichen Man In Black austauschte. Auch Paul McCartney arbeitet bereits seit Jahrzehnten an der Korrektur seines eigenen Images. „Now everybody seems to have their own opinion/Who did this and who did that/But as for me I don’t see how they can remember/When they weren’t where it was at“, sang er 2013 mit brüchiger Stimme und inszenierte sich wieder mal als der einzige glaubwürdige Zeuge der Beatles-Geschichte. Doch nicht nur die Vergangenheit wollte der Perfektionist in diesem Jahr hüten, auch seine Gegenwart gab er nicht aus der Hand. Von den vier (zumindest zur Hälfte) hippen jungen Produzenten, die er für sein neues Album „New“ engagiert hatte, ließ er sich jedenfalls nicht an der Nase herumführen. Sparringspartner höchstens, setzte er sie je nach Laune ein wie teure Instrumente. Das Ergebnis gab ihm recht. Ein so verspieltes, frisches, gegenwartsbejahendes Album hat zuvor noch kein Künstler jenseits der 60, geschweige denn 70 aufgenommen. Auch David Bowie nicht. Wird Zeit für eine große Ausstellung mit dem Titel „Paul McCartney Is“.

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