Willander schaut fern: Eurovision Song Contest 2011

Lena schaffte mit "Taken By A Stranger" beim Eurovision Song Contest immerhin einen "respektablen" zehnten Platz. Arne Willander warf einen kritischen wie begeisterten Blick gen Düsseldorf.

Am Ende war es nur noch ein Rückzugsgefecht. Mit der sogenannten Titelverteidigung rechneten bloß die paar Mädchen auf dem Rathausplatz in Hannover, die von Laith al-Deen bräsig gefragt wurden, ob denn ein anderer Gewinner als die überkandidelte Lokalmatadorin möglich sei. Die Buchhalter, zumal die „englischen“, wussten es schon besser: Die Iren, der Franzose, die Dänen, sogar der junge Finne – Lena Meyer-Landrut wurde zwischen die Plätze fünf und acht gewettet, und auch das war zu optimistisch.

Plötzlich sollte Stefan Raabs Kommandounternehmen nicht mehr als „ein Spaß“ sein, Lena wollte ihren Auftritt ordentlich über die Bühne bringen. „Taken By A Stranger“, das Lena-Lied, wurde oft für das „Mystische“ gelobt – gemeint war das „Mysteriöse“. Der Song sei so „anders“. Allerdings fehlt ihm vollkommen die Aura eines Sieger-Stücks, es fehlt der Herzschmerz, das Weltumarmende, das Pathos der großen Melodie. Noch einmal wurde die Strahkraft von „Satellite“, dem perfekten Popsong juveniler Liebe, erkennbar. Und auch die respektable Platzierung von Max Mutzke vor einigen Jahren, dessen achter Rang damals eine Enttäuschung war.

Längst gilt beim Song Contest: Alle können es – Zwergstaaten wie Litauen und Estland, Exoten wie Mazedonien und Moldawien und schlafende Riesen wie Aserbaidschan, die nicht zu Europa gehören. Der Liedermarkt erlaubt es Malta, Georgien und Russland, die Kompositionen bei Profis einzukaufen, die für Britney Spears, Lady Gaga oder Robbie Williams schreiben.

Ursprünglich war der Song Contest ein Wettbewerb der Komponisten und Autoren, ein Orchester fiedelte im Graben, und Ralph Siegel konnte neben seinem Geschöpf Nicole den Preis entgegennehmen. Heute ist das Spektakel eine Materialschlacht aus dem richtigen Lied, Persönlichkeit, gutem Gespür, Psychologie, Kostüm und Darbietungsform. Hinzu kommen das Volatile des Stimmvolks und die 50 Prozent Stimmenanteil der nationalen Jurys.

In Deutschland präsidierte die Krawallschachtel Ina Müller der Jury und gab gern zu, dass sie die zur Auswahl stehenden Songs lange vor den Halbfinals mehrfach gehört und schließlich alle ins Herz geschlossen hatte. Dem dumpfen Disco-Knaller „Popular“ aus Schweden kann man am Ende so wenig widerstehen wie dem irren Folkore-cum-HipHop-Konglomerat der Griechen – die, das nebenbei, mit dem Auffangschirm immerhin den achten Platz erreichten, wahrscheinlich dank Stimmen aus dem Osten. Der Italiener Raphael Gualazzi und der Bosniake Dino Merlin (guter Name!) belegten vordere Ränge, obwohl ihre Stücke kunstvoll und nicht anbiedernd sind. Der knödelnde Operntenor aus Frankreich scheiterte womöglich am allzu Bombastischen seines Vortrags und den schmierigen Haaren. Und die Schweizerin Anna Rossinelli wurde mit einem eingängigen, einfachen Song sehr zu Unrecht auf den letzten Platz verwiesen.

Die deutschen Präsentatoren wurden von den Jury-Sprechern ohne große Begeisterung gelobt – das Naturtalent Anke Engelke zuvörderst und korrekt. Gelassen nahm sie die Elogen entgegen und zählte die Punkte – da war Stefan Raab mit seinem notorischen Schul-Englisch und dem Feixen eines Sizenbleibers, der das Abitur doch noch geschafft hat, bereits verschwunden. Judith Rakers sah wie stets unglaublich gut aus und konnte sich bei den Interviews nicht ein bisschen in die Künstler einfühlen; sie musste darauf achten, dass ihr spektakuläres Kleid nicht hängen blieb und lächelte auch geziert in die Kamera, wenn die Kollegen ihre auswendig gelernten Stanzen aufsagten. Zu Beginn spurtete Raab zur Bühne, um eine Rockabilly-Swing-Version von „Satellite“ aufzuführen, in die am Ende auch Lena einfiel. So hatte Raab seinen ersehnten großen Auftritt. Die – ohnehin schüttere -Moderation hätte er seinem Adlatus Matthias Opdenhövel überlassen sollen, der am Spielbudenplatz in Hamburg lässig ein unterhaltsames Rahmenprogramm mit Frida Gold, Ina Müller, den Söhnen Mannheims, Natasha Bedingfield, Zaz und Selig moderierte.

Die lange Vorfreude war die die schönste Freude. Aserbaidschan, sagt Xavier Naidoo, hat Geld, weil es Öl fördert. Und die Hauptstadt heißt Baku.

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