Wörtersee – Der Bachmann-Blog II

Maik Brüggemeyer berichtet aus Klagenfurt, wo dieser Tage der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen wird. Bei den ersten Lesungen des wohl renommiertesten deutschsprachigen Literaturwettbewerbs fand er irrwitzig Apokalyptisches ebenso wie ärgerlich Naives.

Zwei Nachbemerkungen zu Sibylle Lewitscharoffs Eröffnungsrede vs. Deutschland vs. Ghana:

1. Die Autorin selbst hatte alles versucht, ihre Rede vorzuverlegen, um das Spiel noch zu schauen. Doch die Organisation – sich anscheinend der Verbindungen von Fußball und – (besonders österreichischer) Literatur nicht bewusst, hatte abgelehnt. Franzobel und Peter Handke saßen sicher vor dem TV. Einer von ihnen dürfte Serbien die Daumen gedrückt haben.

2. Die absurd-groteske Lewitscharoffsche Wende, die ich aufgrund des Spiels nicht mitbekam, die sich aber als Schlüsselstelle hinsichtlich des ersten Lesetages entpuppte: “ Ganz nach dem Klagenfurter Modell werden die Erwählten gebeten, eine halbe Stunde aus ihrem Werk vorzutragen. Es wird diskutiert, der Sieger wird gekürt. Die neun Verlierer werden erwürgt.“

Neujuror Hubert Winkels schien die Worte Lewitscharoffs noch im Ohr zu haben und setzte gleich mit seinem ersten Kommentar zu Sabrina Janeschs pittoresker Schilderung eines ukrainischen Bauerns, der nach dem Zweiten Weltkrieg nach Schlesien umsiedeln muss, zum Würgegriff an: ein heikles Thema, umgesetzt mit „den Mitteln der Augsburger Puppenkiste“. Damit gab er den Ton für die erste Diskussionsrunde vor. Nur der noch ein bisschen unausgeschlafen wirkende Alain Claude Sulzer verteidigte den Text halbherzig

Volker H. Altwassers Geschichte um eine von Piraten attackierte schwimmende Fischkonservenfabrik führte dann schon zu grundsätzlichen Diskussionen. Meike Feßmann erklärte Sulzer den auktorialen Erzähler, Burkhard Spinnen bat darum, vor der Juryarbeit nicht zu viele dicke Bücher zu lesen und behauptete, die deutsche Literatur habe die See nie erobern können (er sollte mal die dicken Bücher von Hans Henny Jahnn lesen), Paul Jandl sinnierte über die ewige Schicksalsfrage des Mannes – Fahr ich zur See oder bleib ich bei meinem Weibe? Alle fragten sich, ob es den in Altwassers Text beschriebenen Fisch, die Kurznasenseefledermaus, tatsächlich gebe (yep und zwar hier) und der Text ging unter. Winkels brachte es wieder auf den Punkt: im Grunde Jugendliteratur.

Bei Christopher Kloebeles ärgerlich naivem Beitrag „Ein versteckter Mensch“, in dem er das Verhältnis eines Demenzkranken oder sonst wie regressiven Mannes zu seinem Sohn zu putziger Mädchenliteratur verarbeitete, war der Jury leider kurz vor der Mittagspause die Puste ausgegangen. Der Nachmittag begann dann etwas schwungvoller. Daniel Mezgers um sich selbst kreisender Monolog „Bleib am Leben“ war kein guter Text, doch dem schauspielgeschulten Autor gelang eine eindringliche Performance. Und die Juroren fielen drauf herein. Erfreulich aber: Sie hatten nun endlich ihre Rollen in diesem Schauspiel gefundenen. Winkels und Jandl streuten Bonmots, Feßmann glich die Texte mit ihrem Leben ab und fand keine Übereinstimmungen, Karin Fleischanderl gab sich miesmutig schnoddrig, Hildegard Elisabeth Keller kenntnisreich, der Autor Sulzer dachte sich selbst Geschichten aus, die den vorgetragenen Texten meist nicht einmal artverwandt waren und deutete ganz einfach die und Spinnen verzweifelte in onkelhaften Kommentaren an Literatur, Leben und Liebe. Die Texte waren mittlerweile egal. Und so will man’s ja eigentlich auch haben in Klagenfurt. Ein bisschen Radau, ein bisschen Haha – lesen kann man ja später noch, wenn man am Wörthersee liegt. Das Publikum reagiert mit Raunen und Getuschel. Spinnen ermahnt in der Pause alle, von Unmutsbekundungen Abstand zu nehmen. Die Kritik der Kritik ist nicht erwünscht.

Aaaaaber dann: die junge Dorothee Elminger aus Wetzikon in der Schweiz liest aus ihrem bald erscheinenden Roman „Einladung an die Waghalsigen“. Ein irrwitziges, apokalyptisches Stück, montiert aus allerlei obskurer Literatur, in dem schon die bloße Aufzählung von Ortsnamen, Büchertiteln, Brücken usw. zu großer Lyrik gerät. Erinnerte ein bisschen an die Texte von Andreas Neumeister. Die Jury war begeistert, fand aber keine passenden Worte, für diesen klischeefreien, unangepassten Text.

Aber lesen Sie selbst – und zwar hier.

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