Zum Tod von Jon Lord: Ein historisches Interview aus dem Jahr 1976

Jon Lord, legendärer Organist von Deep Purple ist am 16. Juli 2012 in London verstorben. In unserem "DAS ARCHIV - Rewind" gibt es zahlreiche historische Interviews mit der Hammond-Legende. Lesen Sie hier ein Interview aus dem September 1976.

In unserem „DAS ARCHIV – Rewind“ finden Sie bekanntlich nicht nur alle Heft des deutschen ROLLING STONE, sondern auch die gesammelten Bestände des weitaus älteren Musikexpress und des Metal Hammer (alle Infos dazu finden Sie hier). Über den gestern verstorbenen Jon Lord gibt es zahlreiche Artikel und Interviews aus allen Phassen seiner Karriere – wie Sie hier sehen können. Dieses Interview ist eines der frühesten aus unserem Archiv: Es war in der September-Ausgabe 1976 des Musikexpress zu finden.

Immer wieder kam es in den letzten Jahren auf der Rock-Szene zu wilden Gerüchten und Spekulationen: Deep Purple ist am Ende. Als sich dann nach vielen Umbesetzungen und internen Reibereien Star-Gitarrist und Gründungsmitglied Ritchie Blackmore selbständig machte, schien das Schicksal von Deep Purple endgültig besiegelt. Doch die Gruppe raufte sich noch einmal zusammen und unternahm mit US-Gitarrist Tommy Bolin einen neuen Anlauf. Diesmal aber ging es schief. Nach dem vielversprechenden Neubeginn mit dem Album ,Come Taste The Band‘ kam die große Enttäuschung das Zusammenspiel auf der Bühne schien überhaupt nicht mehr zu klappen. Tommy Bolin konnte sich musikalisch immer schwerer auf Jon Lord einstimmen, David Coverdale und Glenn Hughes hatten große Meinungsverschiedenheiten, und nach einigen schwerwiegenden Zwischenfällen auf ihren Konzertreisen endete die letzte England-Tournee von Deep Purple mit einem totalen Desaster. Da gaben Jon Lord und lan Paice ihrer Gruppe den Gnadenstoß.

„Acht Jahre Deep Purple sind genug!“ eröffnet Jon Lord das Gespräch mit ME. „Wir haben viel erreicht, und wenn ich zurückblicke, bereue ich eigentlieh nichts. Aber irgendwann kommt der Tag, wo man einfach Schluß machen muß. Deep Purple war mit der Zeit eine Rock-Institution geworden — ein viel zu altes und schwerfälliges Ungeheuer wie der prähistorische Dinosaurier. Und ich konnte mir wirklich kaum vorstellen, mit 85 immer noch ein Mitglied von Deep Purple zu sein. Also sagten wir uns: Besser wir hören jetzt auf — bevor es zu spät ist!“

Jon Lord: „Nach Ritchies Abgang wollte ich schon alles hinschmeissen!“

„Damals, als uns Ritchie Blackmore mit seinem Ausstieg überraschte, war ich schon nahe daran, es aufzugeben. Ich sagte: ,Jetzt habe ich die Nase voll nichts geht mehr.‘ Dann kamen unser ganzes Management und meine Kollegen zusammen und versuchten, mich noch einmal zu überreden: ,Wir haben da einen fantastischen Gitarristen. Versuch es doch wenigstens noch einmal und hör dir diesen Mann an!“ Also bin ich nach Amerika geflogen und habe mich mit ihm getroffen: Tommy Bolin entpuppte sich wirklich als ein sehr guter Gitarrist — und das hat mich dann auch noch einmal von der Sache überzeugt. Leider ist Tommy aber auch viel zu jung und — er wird mir vergeben, daß ich das sage — viel zu draufgängerisch. Wir haben später einfach musikalisch nicht mehr gut miteinander harmoniert. Unsere letzten Konzerte in England waren miserabel.“

Schließlich ging diesen Auftritten ein Vorfall voraus, der nachdenklich stimmte. Im Anshluß an ein Konzert Ende vergangenen Jahres in der indonesischen Hauptstadt Djakarta kam es im Hotel der Gruppe zu einem heftigen Streit zwischen dem von Deep Purple hochgeschätzten Roadie Patsy Collins und zwei weiteren Leuten der Purple-Roadcrew. Wenige Minuten später kam Patsy bei einem Sturz in den Fahrstuhlschacht ums Leben. Er fiel rund fünfzehn Meter tief…

Freunde unter Mordverdacht

Nach den Ermittlungen der Polizei ging Patsy auf dem Weg in sein Zimmer über die Feuertreppe. Im sechsten Stock nahm er eine unmarkierte, unverschlossene Tür und trat in die Dunkelheit. Doch nicht alle wollen an einen Unfall glauben. „Patsy war kein Dummkopf‘, sagt Jon, „der hat sehr gut auf sich aufgepaßt! Für mich ist es völlig unvorstellbar, daß dieser Mann einfach so in einen Liftschacht hineinspaziert. Nein, liebe Freunde: Er wurde hineingestoßen!!!“

Jon Lord weiß nicht, warum Patsy sterben mußte und wer ihn auf dem Gewissen hat. Das ist eine Frage, die er seitdem mit sich herumschleppt. Und auch einigen anderen in der Purple-Mannschaft ließ der Gedanke keine Ruhe mehr, einen Mörder unter sich zu haben. Kein Wunder, daß es zu immer neuen Auseinandersetzungen kam.

David Coverdale und Glenn Hughes gerieten beinahe täglich aneinander

„Glenn ist noch sehr jung und etwas impulsiv“, sagt Jon, „aber eigentlich mag ich ihn. Er muß nur endlich einsehen, daß niemandem der Erfolg so einfach in den Schoß fällt und daß selbst die besten Musiker und die größte Gruppe irgendwie schwer zu arbeiten haben — woran sich übrigens auch Tommy Bolin einmal erinnern sollte. Wenn die beiden diese Ratschläge beherzigen würden, könnten sie noch sehr viel Erfolg haben.“ Das wünscht Jon Lord nicht nur Tommy Bolin mit seinen Solo-Projekten und Glenn Hughes, der inzwischen mit Gitarrist Mel Galley und Schlagzeuger Dave Holland wieder in der letzten Besetzung von seiner alten Formation Trapeze weiterspielt. „Ich hoffe für alle meine früheren Purple-Kollegen, daß sie auf ihrem weiteren Weg viel Glück haben“, betont Jon, „denn alle, die je bei Deep Purple gespielt haben, sind trotz der vielen Spannungen bis zum heutigen Tag immer Freunde geblieben — bis auf einen!“

Gemeint ist damit nicht etwa Ritchie Blackmore, mit dem Jon Lord & Co. noch immer guten Kontakt haben, sondern —David Coverdale.

David spielt sich auf

Das Benehmen von David Coverdale hat Jon Lord ernsthaft verärgert: „Er legte sich mit jedem von uns an und warf uns unsere Fehler vor —ohne darüber nachzudenken was er mit etwas Energie vielleicht selbst daraus machen könnte. David hat bei Deep Purple einen Start gehabt, wie man es sich für eine Karriere nicht besser wünschen kann. Aber statt darauf aufzubauen, schlug er nur ständig mit der Faust auf den Tisch und machte uns immer neue Vorwürfe „

Seitdem ist bei Deep Purple der Dampf ‚raus. Mit der guten Stimmung innerhalb der Gruppe ging schließlich auch das Feeling für die gemeinsame Musik verloren.

„Wir hatten keinen echten Spaß mehr daran, es blieb keine Spur von Lebendigkeit mehr!“ Jon Lord zuckt die Achseln. „Das war das Ende von Deep Purple!“

Der neue Anfang

Nun schaut Jon Lord erwartungsvoll in die Zukunft. Schon während der Jahre mit Deep Purple hat er sich mit seinen Solo-Produktionen im Spannungsfeld von Rock und Klassik einen eigenen Wirkungskreis geschaffen und veröffentlichte nun vor wenigen Wochen sein neues Album im Alleingang —- ‚Sarabande‘. Mit dem Orchester Philharmonia Hungarica unter der Leitung von Jons Freund Eberhard Schoener und unterstützt von Pete York (Schlagzeug), Andy Sommers (Gitarre), Paul; Karass (Baß) und Mark Nauseef. (Perkussion) entstand auf deri Grundlage einer barocken Tanz-Suite eine unglaublich dichte Fusion klassischer Elemente und ausdrucksvoller Piano- und Orgelpassagen. Das heißt: „Klassik“ hört Jon nicht gern. „Es ist einfach Musik“, sagt er. Jon Lord möchte in Zukunft, nicht nur Solo-Alben produzieren, er will auch wieder ,on the road‘ gehen und ist gerade dabei, eine neue Gruppe zu formieren:

Jon Lord, Ian Paice & Tony Ashton – die neuen Deep Purple?

„Ian Paice und ich sind alte Kumpels“, sagt Jon, „Wir verstehen uns nach wie vor musikalisch sehr gut, und so bleiben wir natürlich auch weiter zusammen. Dazu kommt noch ein anderer guter Freund — Tony Ashton. Er ist ein ganz fantastischer Pianist, er hat noch das gewisse Etwas, diese Lebendigkeit. Für mich ist er der englische Leon Russel.“

Man kann es sich schon denken — wie Deep Purple klingt die neue Gruppe bestimmt nicht mehr. Schließlich wollen Jon Lord, Ian Paice und Tony Ashton keinen ‚Dinosaurier‘ zu neuem Leben erwecken. Und außerdem hat Jon die Nase voll von dem höllischen Lärm, durch den sich sämtliche Deep Purple-Konzerte auszeichneten. Stattdessen suchen sie jetzt neben einem Gitarristen und Bassisten auch noch eine kleine Bläsergruppe und zwei(weibliche) Backing-Stimmen.

Jon Lord: „Das wird eine 10-Mann-Gruppe, die es in sich hat!“

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