Sich selbst In die Schlaflosigkeit fahren: der Pop-Kosmos von Soul Coughing

Wenn da draußen der Wahnsinn tobt, hört Soul Coughing-Chef M. Doughty gerne zu. Er raucht Zigaretten und genießt die seltsame Ruhe, die der Sturm vor der Tür ihm gibt. Er spricht so sonor und abgeklärt, wie er singt, und liebt Dinge, die 24 Stunden am Tag in Bewegung sind. Ruht die Welt im abstrakten Umfeld seines Garbadineüberzogenen Hotelzimmers, hält er sich selber bei Laune, nibbelt mit den Füßen oder zerpflückt Zigarettenschachteln. Manchmal macht er Pausen, immer gibt er klare Antworten.

Was ist der Antrieb von Soul Coughings Musik – Paranoia und Psychose? „Yeah“, grinst er langgezogen. „Absolut.“ Das kann (oder muß) natürlich jeder sagen, der in den Neunzigern sein Dasein künstlerisch reflektiert. Wer heute nicht vom Wahnsinn spricht, muß wahnsinnig sein. Der kleine Unterschied bei Soul Coughing: M. Doughty will kein Mitleid, Bassist Sebastian Steinberg gehört zu den besten Instrumentalisten New Yorks, Schlagzeuger Yuval Gabay lächelt immer freundlich, und der Sample-Künstler Mark De Gli Antoni freut sich über jede Art von Geräuschen wie ein kleines Kind.

Zur Geschichte von Soul Coughing gehören ein paar Schlagworte: Knitting Factory, East Village, Hip-Hop, Indie-Rock und Poesie. Und zwar in der richtigen Reihenfolge: Anfang der 80er Jahre kam M. Doughty nach New York und hörte Hüsker Dü und die Replacements. Das ging ein paar Jahre gut, dann gab ihm „der weiße Rock gar nichts mehr“. Ende der 80er Jahre entdeckte er den HipHop, schrieb Gedichte und spielte Akustik-Gitarre dazu. Abends hielt er seinen heutigen Band-Kollegen im Avantgarde-Jazz-Rock-Club „Knitting Factory“ die Tür auf. Die musizierten dort mit Stammgästen wie John Zorn. M. Doughty aber hatte „dieses Ding im Kopf“, eine Zusammenfassung seiner musikalischen Lebensgeschichte: „Keine Rock-Klischees, keine Hip-Hop-Mechanismen, sondern Musik, die mich kulturell repräsentiert.“ Er vereinbarte einen Auftritt und suchte dann nach Musikern, keiner hatte Zeit. Wer übrigblieb auf seiner langen Telefonliste: Steinberg, Gabay und Antoni.

Es gab eine einzige Probe, Antoni hatte die Frage falsch verstanden und kam ohne Keyboard und Sampler – dafür hatte er aber eine Video-Kamera dabei. So war das Konzert eine Nacht später ihre erste gemeinsame Session. Ein Jahr lang feierten sie dann wöchentlich Parties, nur um sich selber spielen zu hören, hatten etwa 150 treue Anhänger in Manhattan und wußten schließlich: „Wir sind eine Band.“ 1994 zogen sie die Konsequenzen und veröffentlichten ihr Debüt „Ruby Vroom“, ein Kleinod an Großstadtmusik, das von Kennern als Empfehlung so kühl und lässig weitergereicht wurde wie ein Kokain-Briefchen hinter vorgehaltener Hand. Ein Jahr tourten sie durch Europa und die Staaten, dann machten sie Pause und nahmen in nur zwölf Tagen ihr zweites Album auf. „Irresistible Bliss“, so Doughty, ist Soul Coughings Annäherung an den Popsong. „Ein Popsong hat diesen Moment der Erleichterung, alles öffnet sich – und du weißt plötzlich genau, wo du bist.“ Wo man auftaucht, ist es meistens Nacht, und Mantra-artig treibt einen die Musik voran. Sture Beats und verdrehte Geräusche verkünden das Credo der Platte in einem Song: „I got the will to drive myself sleepless.“ Dann werden Bierdosen gestapelt, um Menschen zu vergessen, dann muß man Soul Coughing hören, bis einem der Kopf platzt oder der Motor heißt läuft.

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