Fisherman’s Friend

Mike Scott kompiliert sich selbst: Die neue Platte seiner Waterboys besteht aus Fundstücken aller Art. Und fasst alles zusammen, wofür seine Band jemals stand

Für seine Karriere sei das ein Novum, sagt Mike Scott: Das neue Album seiner Waterboys betrete kein neues Terrain und solle auch kein neugieriger Selbstversuch sein, sondern eine Synthese aus allem bislang Gewesenen. „Es sind wirklich alle unterschiedlichen Erscheinungen der Waterboys dabei“, sagt Scott. „Das Keltische mit der wimmernden Fiddle (gespielt natürlich von Steve Wickham), der Rock mit den knorrigen elektrischen Gitarren, das Spirituelle – die letzten Platten waren ja immer Entweder-oder, aber dieses Album ist eine Balance zwischen meinen verschiedenen Seiten.“

Scott ist zufrieden mit seiner neuen Musik. Er schriebe ja nicht, wenn ihm nichts einfällt, zuckt er mit den Schultern, also gefiele ihm die Platte sehr. Das Selbstlob ist angebracht: Obschon man mit den Waterboys mitgegangen sein muss, um den einen oder anderen Anachronismus wohlwollend zu übersehen, ist „Book Of Lightning“ ein durchweg gelungenes, beizeiten gar überragendes Album. Und Scott selbst ein Mann mit einer nach wie vor enormen Präsenz, sowohl lyrisch als auch musikalisch.

Dabei hätte alles ganz anders kommen können. Eigentlich hatte Scott ein ganz anderes Werk vor, nämlich eines, auf dem er 15 Gedichte seines Lieblingsdichters W.B. Yeats vertont. Die Demos waren fast fertig, da erreichte ihn die Anfrage der Sängerin Thea Gilmore, die ihr Vorbild um ein paar gemeinsame Songwriting-Sessions bat. „Ich bin ein Einzelgänger, wenn es ums Komponieren geht“, sagt Scott und verzieht das Gesicht, „ich kann’s nicht leiden, mit jemandem in einem Zimmer zu sitzen und irgendwie zu jammen. Also haben wir Ideen hin und her geschickt, bis etwas fertig war.“ Während zwei der Songs auf dem letzten Album von Gilmore landeten, wurde ein übrig gebliebener namens „The Crash Of Angel Wings“ zum Grundstein für „Book Of Lightning“. „Ich hatte ohnehin das Gefühl, es wäre besser, vor dem Yeats-Projekt eine Rock-Platte zu machen, und plötzlich war eine Vision da. Ich habe alle anderen Songs um diesen einen herum aufgestellt.“

Ein neues Album, das heißt bei Scott auch immer, die Archive zu plündern. Es bliebe halt immer etwas über oder komme zur falschen Zeit, erklärt Scott den Umstand, dass er so viel Neues gar nicht geschrieben hat. Auf „Book, Of Lightning“ stammen gleich drei Songs noch aus den Sessions zu „Fisherman’s Blues“, dem Standardwerk der mittleren Waterboys-Phase von 1988. Zwei weitere basieren auf Fragmenten aus derselben Zeit, die Scott beim Zusammentragen der Songs für die Outtake-Compilation „Too Close To Heaven“ fand und nun endlich fertigstellte. Weiteres Material war im Rahmen der letzten beiden Alben übrig geblieben. Kein Wunder also, das mit der Synthese.

Doch als Abschluss, Bilanz oder gar Rückschau will Scott das alles nicht verstanden wissen.

„Die Leute haben mir ja alles Mögliche angedichtet – dass ich nach den Erfolgen in den Achtzigern abgestürzt sei, in Drogenrausch, Alkoholsucht und Depression. Alles blanker Unsinn. Nein, für mich ging es mit den Waterboys immer weiter, so wie es mit mir als Mensch immer weiterging. Es gibt keine großen Absätze oder Einbrüche. Da ist viel falsche Information im Umlauf.“

Dazu ein kurzer Einschub: Am 23. März 2007 veröffentlichte Mike Scott im „Guardian“ einen Artikel mit dem Titel ‚The Day I Downloaded Myself‘, in dem er sehr amüsant darüber berichtet, wie er zunächst vergeblich versuchte, den Wikipedia-Eintrag zu den Waterboys als anonymer Autor von Fehlern zu befreien eifrige, aber nicht ganz richtig informierte Fans machten die Korrekturen immer wieder rückgängig, bis Scott sich schließlich zu erkennen gab. Jetzt, sagt Scott, sei Wikipedia eine „fast perfekte Quelle“ zur Band-Geschichte. „Mich beeindrucken Künstler wie Neil Young, die nur dem folgen, was sie fasziniert. Wenn es zufällig einen Nerv der Zeit trifft, gut – wenn nicht, auch gut. Als wir mit den Waterboys anfingen, waren wir Teil einer Generation, die noch versuchte herauszufinden, wer sie eigentlich ist. Ich habe seitdem viele Abenteuerreisen unternommen – es wäre dämlich zu glauben, dass mir alle auf diese Reisen folgen würden.“

Gefolgt ist Scott indes seiner zweiten Frau Janette. Die wollte 2002 weg aus London und zurück nach Findhorn, jener geistlichen Gemeinschaft im Norden Schottlands, in der Scott zu Beginn der Neunziger eine Weile gelebt und die spätere Gattin kennen gelernt hatte. „A holistic Community“ nennt Scott das frei schwebende Dorf, in dem Buddhisten, Anthroposophen und ähnlich Gesinnte einer Art Gesamtheit der Existenz auf die Spur kommen wollen – dass es Scott spirituell treibt und ein nicht genau definiertes Gottwesen im Werk der Waterboys eine wichtige Rolle spielt, ist ja unverhohlen. „Wir sind alle Teil eines großen Systems, ein einziges Bewusstsein und dennoch Individuen“, sagt Scott, der wohl von geistlichen Dingen redet, aber nicht spinnert wirkt. „Dieses Paradox im Leben zusammenzukriegen, ist die große Herausforderung.“ Nachzulesen im „ßook Of Lightning“.

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