Wilco :: A Ghost Is Born

Intensität statt Innovation: Tweedys dunkles Wunder

Viele Bands zerreißt’s während strapaziöser mehrmonatiger Tourneen, und erst bei den Aufnahmen zum nächsten Album im Studio finden sie mit Glück wieder zusammen. Bei Wilco ist das anders. Schon während der Arbeit am Meisterwerk „Yankee Hotel Foxtrot“ verließ Jay Bennett die Band, dieses Mal hielt Leroy Bach nicht bis zum Schluss durch und ging. Es sind immer die, die alles spielen können, die Meister der Süffigkeit und Opulenz, die nicht durchhalten, denen Jeff Tweedy und sein Freund und Produzent Jim „Van Dyke“ O’Rourke zusetzen. Auch Tweedys Migräneanfälle, dokumentiert in der 2002er Dokumentation „I’m Trying To Break My Heart“, und anschließende Schmerzmittelabhängigkeit dürften die Arbeit nicht leichter gemacht haben. Von den Erwartungen, die nach „Yankee Hotel Foxtrot“ herrschten, mal ganz zu schweigen. Das nächste Album konnte nur enttäuschen – tut es natürlich nicht „A Ghost Is Born“ beginnt wie auf Entzug.“Tonight’s The Night“. Verhaltenes, dunkles Gitarrengeschrummel, sacht angeschlagenes Klavier, eine verzagte und doch zärtliche Stimme: „When I sat down on the bed next to you/ You started to aryl I said, maybe if I leave, you’ll want me/ To come back home/ Or maybe all you mean, is leave me alone / At least that’s what you said.“ Nach zwei Minuten bricht ein robuster Gitarrenakkord ein, eine kleine Synthesizermelodie dudelt ganz hinten, die nächsten drei Minuten klingen wie die verwaschene, löchrige Jeans von Neil Young. Im Feedback kommt der Song zur Ruhe.

Was war das? Nicht der elegante Tapeschlaufen- und Akustikfolk von „Yankee Hotel Foxtrot“ jedenfalls. Dunkler, verschwommener, schwerer ist dieser Sound. Ein Barpiano hellt den nächsten Song zwar für Momente auf, doch das war nicht das Licht am Ende des Tunnels, sondern nur ein entgegenkommmender Zug. „When the devil came he was not red/ He was chrome and he said/ Come with me/ You must go/ So I went“ Solitäre Gitarrennoten. Echo. This is hardcore. Intensität statt Innovation. Dann ein treibender Rhythmus. „Spiders (Kidsmoke)“. Krautrock. „Isi“ von der dritten Neu!-Platte. Gitarren schieben sich unter den Rhythmus und hebeln ihn aus. „This recent rash of kidsmoke/ All these telescopic poems/ It’s good to be alone.“ Das Aufheulen und Sirren einer einzelnen Gitarrensaite, das Splittern und Abschleifen. In elf Minuten.

Erst drei Songs, und schon ist man geläutert und verzückt zugleich. Das sind nicht „nur“ Songs, das sind Räume, die man bewohnen wird, ausschmücken wird mit Fotos, Filmplakaten, Plattencovern, Erinnerungen. Räume auch, deren Tiefe man noch nicht erahnt Hier ist mehr, als man zunächst wahrnimmt. Gerade bei den Songminiaturen, die, wie man beim ersten Hören glauben könnte, auch auf den letzten drei Wilco-Alben ihren Platz gefunden hätten: Das lässige Folkidyll „Muzzle Of Bees“ etwa, das kurzzeitig in eine jazzartige Meditation übergeht, am Ende von einer wie mit dem Messer gezogenen Gitarrenlinie aufgeschnitten wird und ausfranst Oder das unglaublich schöne, herzbewegende „Hummingbird“, mit Viola und Dulcimer: „His goal in life was to be an echo/ The type of sound that floats around and then back down/ Like a feather/ But in the deep chrome canyons of the loudest Manhattans/ No one could hear him/ Or anything.“ Ans Ende des bassgetriebenen „Handshake Drugs“ Feedbackschlaufen, Jim O’Rourkes analoges Klangmirakel. „The turntable sizzles/ Casting the spells.“I Am A Wheel“ klingt, als würden Unde Tupelo einen Queen-Song spielen: „Once in Germany someone said nein/ 1-2-5-4-5-6-7-8-9“. This wheel’s on fire!

Am Ende dann die geläuterte Spiegelung des Beginns: „Hell Is Chrome“ findet seine Entsprechung in „Theologians“, das taghelle Klavier, das sich nach und nach in Jeff Tweedys Gitarrenspuren verliert: „Where I’m going you cannot come/ No one’s ever gonna take my life from me/ I lay it down/ A ghost is born.“ „Less Than You Think“ bringt „A Ghost Is Born“ schließlich ebenso gespenstisch zum Stehen, wie es begann. „There’s so much less/ To this than you think“ sind die letzten Worte, bevor ein zwölfminütiges Fiepen anhebt, das immer räumlicher zu werden scheint. Als suchten sie nach der perfekten Frequenz. Vergeblich, wie sie im schlichten „The Late Greats“ feststellen: „The best song will never get sung/ The best life never leaves your lungs/ So good, you won’t ever know/ I never hear it on the radio/ Can’t hear it on the radio.“

Nur in seinem Kopf kann Jeff Tweedy alles hören.

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