Eurosonic / Noorderslag Tag 3: „I hope you’re not those shady industry types!“

Eine neue Band aus Altbekannten namens New Build und ein vom Internetphantom zum Live-Act gereifter Newcomer waren die Highlights des letzten internationalen Festivaltages in Groningen.

Wir waren für Sie auf dem holländischen Festival Eurosonic / Noorderslag und berichteten täglich. Lesen Sie hier den Bericht des ersten Tages und hier den des zweiten Tages. Alle Fotos zum Eurosonic / Noorderslag finden Sie in der Galerie oben. Hier nun der abschließende Bericht:

Man schleppt sich so durch den Tag – das schlechte Gewissen und den Kater der Vorabends im Gepäck. Man streift durch die schöne Innenstadt Groningens, zuckt immer wieder zusammen, wenn man die ungeschriebene Regel am eigenen Leibe erfährt, dass ein Zebrastreifen keinen Fahrradfahrer ins Bremsen bringen kann, leidet still und pathetisch vor sich hin und seufzt vielleicht gar mal, dass es jetzt ja schon wieder mit all diesen Bands losgeht. Und spätestens da sollte man innehalten, durchatmen – und sich bewusst machen, unter welchen Luxussorgen man hier leidet: Eine ganze Stadt voller Konzerte? Namen, die es noch zu entdecken gibt? Topchecker-Empfehlungen? Und da nölt man rum? Also: Wehleidigkeit abstellen – und sich wieder ins Geschehen stürzen.

Inzwischen denkt man dabei ja schon taktisch: Schaut, welche Bands man schon am Nachmittag im Plato-Plattenladen spielen sehen kann, weil man weiß, dass man abends sonst wieder in einer lange Schlange verendet und die Musik nur durch Wände hören kann. Veronica Falls waren solche Kandidaten: Die muss man ja unserer Leserschaft nicht mehr vorstellen, seit Wolfgang Doebeling ein Hohelied auf ihre Single „Found Love In A Graveyard“ gesungen hat. Auch das Groninger Publikum wusste um die Qualitäten der Band um Roxanne Clifford und James Hoar – dementsprechend voll war es abends im De Spieghel. Oder vielmehr: Vor dem De Spieghel, denn schon ab Baxter Dury, den man ebenfalls nachmittags bereits bei Plato Records sehen konnte, war kein Einlass mehr möglich für eine lange Zeit. Schade, eigenlich – seinen schnodderigen britischen Gesang, der ein wenig an The Streets in Lo-Fi denken lässt, hätte man gerne mal live gehört. In der Kneipenatmosphäre des De Spieghel, konnte man sich das gut vorstellen.

Während Casper und Kraftklub vor ebenfalls gut gefüllten Reihen sich für das (wohl eher deutschsprachige) Ausland empfahlen, war der Place To Be für eine Weile der Club Simplon. Auf dem vom Intro-Magazin gehosteten Abend konnte man nämlich zwei der spannendsten Bands des Abends sehen – und das unmittelbar hintereinander. New Build heißen zwar nach etwas Neuem und spielten auch erst den vierter Gig ihrer Karriere an diesem Abend, die Protagonisten sind jedoch Altbekannte: Al Doyle (Hot Chip, LCD Soundsystem), Felix Martin (Hot Chip) und Tom Hopkins. Und die hatten es groß vor an diesem Abend: Zwar waren sie bisweilen charmant verpeilt (Grund: „Sorry, we got fucked up yesterday night.“ Wer nicht?), hatten jedoch insgesamt acht Musiker und Musikerinnen auf der Bühne versammelt – inklusive zweier Backgroundsänger, zweier Keyboarelektroniker sowie Drummer und Percussions-Mann. So lieferten sie einen unglaublich dichten Live-Sound, angetrieben gleichermaßen von elektronischen Beats wie vom perfekten Zusammenspiel der Drumstick-Fraktion, die sich oft zum Ende eines Songs geradezu in Ekstase spielte. Aber auch Hot Chips Al Doyle, Sänger und Gitarrist von New Build, gibt diesen Songs eine mal melancholische mal gewitzte Note. Musikalisch erinnert das Ganze natürlich doch noch an Hot Chip, aber von dieser treibenden Popmusik, die keinen still stehen lässt, kann man ja schließlich auch nicht genug von haben. „I hope you’re not those shady industry types“, überlegte Doyle laut, als er die vollen Reihen vor der Bühne erblickte. Nun ja – davon waren eine ganze Menge da, aber die bewegten sich ausnahmsweise auch mal. Kein Wunder bei Songs wie diesem:

Ach ja: Das Album kommt im März. Auch die im Anschluss spielenden Vondelpark werden bald mit einem Album kommen. Das versprach Lewis Rainsbury während ihrer überzeugenden Show im kleinen Konzertraum des Simplon. Vermutlich kann er die Frage schon nicht mehr hören: „The next song is from the album – which is… coming.“ Später schob er nach: „I promise!“. Man konnte sich zunächst nicht so recht vorstellen, wie das junge Trio iseine Musik, die sich irgendwo zwischen Lo-Fi, The xx und den Anfängen elektronischer Musik verortet, auf die Bühne bringen wollen. Aber es funktionierte: Im Dunkel spielend, mit einem Live-Drummer verstärkt und mit Zeitlupen-Visuals an der Bühnenrückwand erzeugten sie auch auf der Bühne diese schwerelose Faszination, die ihre Musik ausmacht. Diese kraftvollen Beats, die verwehte, verfremdete Stimme von Rainsbury, die es schwer macht, überhaupt die gesungenen Worte zu verstehen, die immer wieder live eingespielten Gitarrenakkorde – eine Mischung, die einen nicht mehr los lässt.

Wie nun einen solchen Abend beenden? Wo man einmal aus Versehen einen Club verlassen hat und nachher überall nur lange Schlangen fand? Man entschied sich für Lisa Hannigan (Foto), mit deren Auftritt am Mittwoch das Festival auch begann. Da war noch so gerade – ein wenig Platz.

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