Watt En Schlick 2025: Win-Win im Regen (plus Ozzy)

Schietwetter kann diesem Festival nichts anhaben. Auch die elfte Auflage des Watt En Schlick zeigt, dass das WES gekommen ist, um zu bleiben.

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Vielleicht gibt es das wirklich nur hier: Zu den Backing-Tape-Klängen von „Non, je ne regrette rien“ springt Jacoténe in den Schlick vor der Hauptbühne. Sie trägt Bühnenkleidung, die sieht nicht billig aus, aber es ist ihr egal. „Nein, ich bereue nichts“, sang Édith Piaf einst. Und das scheint auch für die die australische Popmusikerin zu gelten, die bereit wäre, sich schmutzig zu machen (jaja, Watt tut dem Körper gut, fängt aber dennoch irgendwann an zu jucken und zu riechen). Das Publikum ist etwas besser vorbereitet als die Menschen auf der Bühne. Viele kommen in Regenjacken, Regenhose und Gummistiefeln. Das norddeutsche Wetter in Dangast ist im Juli schon lange nicht mehr das, was es mal war. Darauf stellt man sich auch beim „Watt En Schlick“-Festival ein.

Glastonbury-Verhältnisse am Jadebusen

Glastonbury-Verhältnisse nur mit Meer, das gibt es auch in der neuen Ausgabe des dreitägigen Musikfestivals (01.-03. August 2025) am Jadebusen. Absolute Mega-Matsche, die aber niemanden groß fluchen lässt. Das Publikum ist wie eine Resistance Army.

„Sonne nicht am Himmel, dafür im Herzen“ ist hier angesagt, das beweist auch Gizmo Varillas, halb Spanier, halb Waliser – und jede Wette, das entweder Vater oder Mutter „Gremlins“-Fan ist. Er bespielt die „La Mer“-Bühne, die eigentlich die schönste ist, nun aber mit einem Zelt überdacht ist. Angesichts des Regens jedoch eine gute Planungsidee. Varillas pflegt einen „Hallo, ich bin ein Incel auf Ibiza!“-Look und spielt in Trio-Besetzung extrem tighten Tropical-Pop, wie in seinem bekanntesten Stück „No War“. Er ist schon 35, vielleicht über die Chance zur Popstarwerdung hinaus, aber ein guter Gitarrist und Songwriter, ein Highlight am Freitag.

Eine Besucherin des WES 2025

Auf der großen Bühne gegenüber dem spektakulären Sonnenuntergangspanorama spielt am späten Nachmittag Uche Yara. Vielleicht der beste Auftritt des Festivals. Der in Berlin lebenden Österreicherin strahlen tatsächlich seltene Sonnenstrahlen ins Gesicht, sie verweist auf ihre Freude, hier in Dangast zu sein – als Sängerin, die auf dem WES vor ein paar Jahren noch als Gitarristin von Mavi Phoenix auftrat. Yara kann sehr bluesig sein, beherrscht aber auch Funk. Sie hat schon mehrere E.P.s veröffentlicht, eine viel beachtete Single „www she hot“, und trat mal vor den Rolling Stones auf.  Sie hat das Zeug zum Main Act. Wann kommt das Debütalbum?

Ritter Lean & politische Reime

Um 20 Uhr betritt als Secret Act der Berliner Ritter Lean die große Bühne. Er sieht aus wie ein Jürgen Vogel als Wilmersdorf und verpackt seine politischen Botschaften in spaßhafte, angenehm Macho-freie Reime. Er kennt die korrekten Bitten von heute („an die Männer: lasst mal eure Shirts an“), zitiert, wenn es richtig verstanden wurde, die Kokain-auf-dem-Arsch-Szene aus „The Wolf of Wall Street“ und ledert gegen Radikalreligiöse, die gegen queere Menschen hetzen.

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Als Rapper („Bienenstich“) ist der Ski-Aggu-Freund ganz ordentlich, als Showman (unter seinem echten Namen Adrian Julius Tillmann arbeitet er als Schauspieler) unterhaltsam. „Ich weiß schon, ihr denkt, hier auf der Bühne müsste ein Rock-Act stehen, kein Rapper!“, ruft er. Dann kommen ein paar Takte „Where is my Mind?“ der Pixies inklusive des legendären „Stop!“-Intros. Ritter Lean hat sich seinen 20-Uhr-Slot verdient.

Die Goldenen Zitronen & ihre Codes

Auf der La-Mer-Bühne ist um 21 Uhr Zeit für den großen Legacy-Act des WES, Die Goldenen Zitronen. Schorsch Kamerun im Kermit-farbenen Pulli und behangen mit Miss-Marple-Perlen. Kamerun, 63, der deutsche Mark E. Smith, hat stets sehr, sehr viel Text pro Lied aufzusagen, singt daher oft vom Blatt auf dem Notenständer ab und schmeißt die fertig gesungenen Saiten dann auf dem Boden. Sieht immer noch toll aus.

Im Bemühen, irgendwie mit der seit mehr als 40 Jahre tätigen Punk-Institution Berührungspunkte zu finden und in den Dialog zu treten, rufen ein paar Zuschauer im Dauer-Chor ein engagiertes „Scheiß AfD!“. Kamerun lacht. „Ist doch logisch. Das ist ja einfach.“ Es stimmt ja auch, seine Texte sind klüger. Recht haben dennoch beide Seiten, er und die Chor-Sänger im Publikum.

Alte Schule, neue Mittel

Klassiker wie „Die Chinesische Schubkarre“, von Schorsch Kamerun als Beitrag zum Beatclub angekündigt, sind heute so schön wie damals. Gerade, weil „Schub-Schub“ eben wie „Shoop Shoop“ klingt, geparrt mit den äußerst deutschen Wort „Karre“. Im Jahr 1987 erschien das Debütalbum der Goldenen Zitronen, „Porsche, Genscher, Hallo HSV“, den Titelsong spielen sie auch hier auf dem Festival (mit Harfenbegleitung von Camill O). Was war das für eine Ära, mit BRD-Songtiteln, die man nur damals so hafenstraßenmäßig empfinden konnte: „Porsche, Genscher, Hallo HSV“. Als Hamburg den gefühlt zweiterfolgreichsten Verein des Landes präsentierte und Dumbo unsere politischen Interessen nach außen vertrat. Den Hamburger Schlag Schorsch Kameruns, seine Codes („wir sind die Goldies“; Verwendung des Dieter-Thomas-Heck-Begriffs „Titel“ statt „Song“; die Band „liefert ab“ – eine Terminologie des Beamtentums, von Heinz Strunk übernommen): Sowas kann man nicht lernen, das muss man in sich tragen.

Das sind die Codes einer Generation, ein Zynismus, den es heute nicht mehr gibt. Die Goldenen Zitronen, von denen neben Kamerun noch Ted Gaier als Urmitglied dabei ist, nutzen Touchpadinstrumente und Sequenzer, haben seit „More than a Feeling“ von 2019 (als Plattentitel fast so gut wie ihr „Who’s Bad“) aber kein neues Album mehr veröffentlicht.

Geschichten aus Eisenach und Irland

Der Samstag wird nochmal ein wenig herausfordernder, denn es herrscht Dauerregen. Mittlerweile ist alles auf dem Gelände gefühlt Matsch. Dagegen hilft Betterov. Vor drei Jahren spielte Manuel Bittorf noch auf der Floßbühne, nun hat er die Mainstage erklommen. Genau das Richtige für den 16-Uhr-Slot. Der Thüringer mit der Biografie einer Blue-Collar-Figur (Ausbildung zum Industriemechaniker bei Bosch in Eisenach) wird seinem Idol Bruce Springsteen immer ähnlicher. Am Ende seines stürmischen Gigs hält er die Gitarre so hoch wie der Boss, also wie eine von sich gestreckte Trophäe. Seine jüngsten Veröffentlichungen sind die Singles „17. Juli 1989“ und „18. Juli 1989“, sie schildern die Flucht seines Vaters aus der DDR und überbrücken die Wartezeit auf sein zweites Album.

Einen Hauch von Springsteen versprühen auch „Somebody’s Child“ aus Irland, die auf dem Floß spielen, bei Schietwetter die herausforderndste Bühne beim „Watt En Schlick“, weil sie selbst im Schlick steht und die Zuschauer der Regenbrise entgegenblicken. Sänger Cian Godfrey geht noch vor den ersten Takten den Steg entlang zum Publikum, bewegt die Lippen, will vielleicht die Menschen, die gekommen sind, abzählen. Wie Springsteen sind sie, weil sie auch mit drei Gitarren „antreten“, also wie eine „Rockformation“. „Der nächste Song“, sagt Godfrey, „ist für den Organisator des Festivals, der auch aus Irland kommt“. Man lernt nie aus.

Rap, Regen, Ruffcats

Über die nahegelegene Paletten-Bühne, wo die drei rosa maskierten Rapper PA 69 im militant erscheinenden Atzen-Rap-Stil „Fick die AfD“-Chöre anstimmen (die Zeiten sind so – wer hätte das 2014, beim ersten WES für möglich gehalten) zur La-Mer-Bühne, wo The Ruffcats mit ihrem Collab-Partner RAH dem Afrobeat huldigen. Eine Art Partyfunk mit deutschen Bunthemden auf der Bühne und einem solide-beflissen dargebotenem Karneval-der-Kulturen-artigen Langzeit-Jam, der auf Fela Kutis „Zombie“-Klassiker von 1976 beruht.

Von Wien bis Schweden

Hotwax auf der La-Mer-Bühne bedienen die Kim-Gordon-Klaviatur aus tief hängendem Bass, Pony vor den Augen und noch tieferer Stimme. Das britische Grunge-Trio dreier Frauen Anfang 20 hat einen gewissen Schauwert, musikalisch progressiver ist Wallners, ein „Wiener Familienquartett“, mit einem vielleicht nicht neugierig machenden, an das ZDF-Vorabendprogramm erinnernden Band- und Familiennamen, dafür mit einem gotischen Zaubergartenpop, der einen krassen Kontrast zur kastenfürmigen Floß-Schlickbühne bietet. Die Bezeichnung „Kleinod“ verbietet sich normalerweise von selbst, hier sei es einem ausnahmsweise gegönnt. Der überraschendste Auftritt des Festivals, möglicherweise auf dem Floß unterverkauft.

Mit Arc De Soleil wird am späten Samstagnachmittag das Konzept der Festivalmacher wieder offenbar: Es müssen nicht immer die größten Namen zu prominenterer Zeit auf der Hauptbühne spielen. Im besten Fall bietet das WES den Raum für Showcases, ein „Sprungbrett für mehr“. Der in Schweden lebende Daniel Kadawatha muss zwar ein verkürztes Set spielen (er kam mit Verspätung nach Dangast), wandelt aber traumsicher auf den Spuren der World-Music-Psychedelia, wie ihn Novelty-Acts wie Khruangbin derzeit populär machen. War ein kurzer Strandaufenthalt für ihn am Jadebusen.

Arc De Soleil

Von Amsterdam bis Bremen

Am Sonntagnachmittag erreicht der Jubelpegel im La Mer dann seinen vielleicht höchsten Ausschlag. Jungle by Night heißt die Band aus Amsterdam, die Funk und World Music  zu einer Musik fusioniert, die wie aus einem Telespiel funktioniert, in dem der Player sehr schnell rennen und springen muss – Intellivision-Vibes wie aus den 1980ern, Rätsel lösen wie bei Wim Thoelke, Spiel ohne Grenzen und Dalli Klick. Viele afrikanische Handtrommeln sind im Einsatz, und die Niederländer Twentysomethings intonieren dazu auch die eine oder andere Arabeske. In Dangast am friesischen Strand sind glücklicherweise keine „Das ist kulturelle Aneignung!“-Fingerschnipser vor Ort.

Punk, Party und Politik

Mit Team Scheisse steht um 20 Uhr die vorletzte Band des „WES 2025“ auf der großen Bühne. Auch Timo Warkus, der Vadder Abraham unter den Punk-Sängern, gibt die von Ritter Lean ausgegebene Losung – „Männer, lasst die Shirts an“ – ins Publikum, danach herrscht ausgelassenes Pogo im wieder dichter werdenden Regen. Tatsächlich fliegt ein T-Shirt auf die Bühne. Aber erst, als Plastikbecher nach vorne geworfen werden, sagt Bassist Thomas Tegethoff: „Gebt die Becher doch lieber bei Viva Con Agua ab, dann ist das für alle ein Erfolg“. Warkus ergänzt: „Ein Win-Win“. Die Sprache des Kapitalismus beherrschen diese Bremer Stadtmusikanten also notfalls auch. Team Scheisse sind eine belebende Erscheinung, stärken den „Wir sind mehr“-Gedanken. Sie reißen „Dreamer“ von Ozzy Osbourne an und schicken am Ende Grüße an Frank, den Wichser.

Abschlussparty im Regen

Als Headliner beschließen die Donots den Sonntagabend und damit das Watt En Schlick. Im ROLLING-STONE-Interview (in Kürze auf rollingstone.de) spricht die Ibbenbürener Band um Ingo Knollmann über ihr kommendes Unplugged-Album „Schwert aus Holz“, auf der Dangaster Bühne geht das Quintett natürlich voll auf Strom. Die Donots sind eine Punkband im besten traditionellen Sinne. Ein Frontmann mit wahlweise Veitstänzen oder Spagatsprüngen. Ein Bassist, der sich auf die Monitorbox stellt. „Morgen dürft ihr freimachen!“, ruft Knollmann. „Ihr bekommt von mir den Gelben Schein!“. Er ruft „Hallo, Tribüne!“ und „Wir machen Party, das ist wie die sechste Stunde vor den Ferien!“. Regen und Wind wird stärker, und den Donots ist ihre Freude anzumerken, dass so viele Zuschauer trotz Gewitterankündigung geblieben sind.

Der Sonntagabend-Slot kann heikel sein. Manche Zuschauer sind bereits abgereist, und ist das Wetter schlecht, ziehen manche einheimischen Kartenbesitzer womöglich den „Tatort“ vor. Durch gute Band-Platzierungen am Sonntag – in der Vergangenheit Tocotronic, Element of Crime, Nina Chuba und nun die Donots – gibt es gute Gründe, bis zum Ende zu bleiben.

Ulf Duda Watt En Schlick Facebook
Axel Martens Watt En Schlick Facebook