Arno Dübel und wir

Die Tränen in den Hautsacken unter seinen Augen kommen keineswegs von irgendwelchen Sorgen, es sind Lachtränen. Besonders während der ersten beiden Monate 2010 lachte der Hartz-IV-Empfänger Arno Dübel noch mehr als sonst, wenn Journalisten, Politiker oder andere Gesellschaftsstützen immer wieder seine Skandalsätze zu hören wünschten. „Ich will nicht arbeiten, die Dummen stehen morgens früh auf und arbeiten schön für mich, ich finde Arbeiten lächerlich“, sagt Dübel und lacht: Fast alle Deutschen, darunter sieben Millionen Hartzis, schimpfen deshalb auf diesen Unverschämten aus Hamburg, er sei ein Schmarotzer, Gammler und Betrüger (wann, nach einer Metapher des Dr. Goebbels, gilt er als „Volksschädling“?).

Zuletzt hat Dübel vor 30 Jahren gearbeitet, dennoch vom Jobcenter Arge immerhin 359 Euro plus Miete und Nebenkosten bezogen – seit dem l. März aber erhält er nur noch Lebensmittelgutscheine für 100 Euro, dafür gibt’s keine Zigaretten und keine Dosenbiere, doch Dübel (53) raucht sehr gern und viel und braucht sein Holsten-Pilsener. Die Arge bestraft ihn also, weil er (als ob er auf Wahrheitsdroge gewesen wäre) der Welt ständig seine Arbeitsunlust erklärte. So hat er etwa das Bügeln abgelehnt, ist ja auch wirklich Frauensache. Das Singen und Schunkeln? Keine Arbeit, mit seinem ersten Song, „Der Klügere kippt nach“, hätte Dübel wohl Chancen beim Grand Prix der Schlager in Oslo (die englische Version müsste „The Wise One Drinks One More“ sein): Stefan Raab sucht weiter einen Kandidaten für Oslo und sollte Dübel berücksichtigen.

Seinen ersten Live-Auftritt wagte Dübel am 6. März auf der „Schlagersahne-Party“ in Hamburg, er hatte sich Mut angetrunken, betrat die Bühne, rauchte erst mal eine Zigarette und versuchte ein paar Tanzschritte, trippel, trippel – er krächzte sein Lied, konnte aber den Text nur stellenweise, einige Spießer im Publikum buhten und bespritzten Dübel mit Bier. Das passierte auch schon dem Kollegen Morrissev , und wie er fluchte Dübel und beendete die Show nach einer Minute (in Oslo ginge das nicht).

Dübel, der wie zum Hohn auch noch heißt wie ein Utensil der Handwerker, passt zum FDP-Chef Guido Westerwelle; sie haben derzeit die meisten Feinde, eine Tageszeitung behauptete, Westerwelle sei die Hassfigur im Lande – beide Männer vertreten jedenfalls das Äußerste. Das Bundesverfassungsgericht urteilte letzten Monat, die Hartzis kriegen zu wenig Geld, und die Provokationsmaschine Westerwelle hat sofort den Verfall und Sozialismus für Deutschland befürchtet und das Leistungsprinzip gepriesen: Wer arbeitet, muss mehr Euro haben als ein Arbeitsloser oder Arbeitsverweigerer – so einer manifestiert sich jetzt wunderbar in Arno Dübel, auf ihn hat Guido Westerwelle anscheinend gewartet oder gehofft. Droht eine Guidarno-Affäre? Es wäre eine Tragödie ungefähr wie die Barschel-Affäre, wenn rauskäme, dass Westerwelle sich Dübel ausgeguckt und ihm ein paar Tausender zugesteckt hat, damit er wochenlang den Staatsausnutzer darstellt und Westerwelles Schreckensbild bestätigt.

Die „Bild“-Zeitung voran verunglimpfte bzw. verherrlichte Dübel als Frechling, er hockte in den Talkshows bei Maischberger und Kerner: Der Fußballfunktionär Reiner Calmund mit Glatze und einem Zentner Übergewicht traf auf den Hänfling Dübel, sein Haar hatte er zum Zopf gebunden – Calmund tippte sich an die Stirn, sprach von Klatsche und riet Dübel, zum Irrenarzt zu gehen (Dübel grollte). Der CDU-Mönch Heiner Geißler meinte, Dübel sei eher ein Exot und Einzelfall (da schmunzelte Dübel). Der Neuköllner Bürgermeister bescheinigte Dübel, dass er in seinem System gewiss ein Erfolgsmensch sei, das entsetzte Dübel, denn ihn ekelt vor Erfolg. Hierin ähnelt er ein bisschen dem Grübler Diogenes, der während der Antike faulenzte und Athens Kultur und Bürger verachtete. Um die Athener zu schocken, hat er oft in der Öffentlichkeit onaniert, so was macht Dübel nie, es würde seine Schwester und seinen Neffen abstoßen, er liebt sie; der Neffe ist schon wie Onkel Arno und arbeitet nicht. Kerner grinste und verlas einige Jobangebote für Dübel, aber er lachte nur darüber und sagte, „nee, ist nix für mich dabei“ (demnächst wäre darüber zu reden, ob Kerner und Maischberger eigentlich arbeiten). Jean-Paul Sartre, der Existenzialist, würde Arno Dübel umarmen und ihm auf die Schulter klopfen, denn Dübel entspricht Sartres Philosophie: Der Mensch, zur Freiheit verdammt, kann sein Los und seine Möglichkeiten wählen, aber er muss nicht – und Arno Dübel entscheidet sich für die Freiheit, zu Hause neben seinem Hund auf der Couch zu sitzen, sie wohnen in einem Arbeiter(!)viertel.

Gelegentlich hütet Dübel auch Hunde der Nachbarn oder geht für Rentner einkaufen: Arno Dübel ist kein Arschloch und kein Einsiedler, vom Typ her erinnert er an Tom Petty, und er gleicht sogar dem Altkanzler Gerhard Schröder, der 2003 in seiner Partei ja das Hartz-IV-Programm durchpeitschte und so den Plänen des Spesenritters Peter Hartz folgte – Schröders und Dübels Lachen klingen zum Verwechseln ähnlich. Wir wollen jetzt alle mal darüber nachdenken, was denn diese Übereinstimmung bedeuten könnte.

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