Huey Lewis im Interview: „Die Mundharmonika ist die Antithese zum Techno“

Huey Lewis über sein neues Album „Weather“, die Menière-Krankheit und den aktuellen Stand amerikanischen Blues-Rocks.

Huey Lewis fühlt sich heute nach einer 2. Seit einiger Zeit bewertet der Sänger auf einer Skala von 1 bis 10 täglich seinen Gesundheitszustand – eins ist schlecht, zehn wäre hervorragend. Zehn kommt so gut wie nie vor, eins dagegen schon. Der 69-Jährige leidet an Morbus Menière: einer Erkrankung des Innenohrs, die sich durch Schwindel-Anfälle, Hörverlust und Tinnitus bemerkbar macht, und für die es bislang keine Heilung gibt. Bei ihm tritt die Krankheit in beiden Ohren auf, im rechten seit 1987, und zusätzlich im linken seit 2017.

Es saust beim ROLLING-STONE-Interview also in Lewis‘ Ohren, und er hört auch nicht sehr gut. Aber er versteht nach einigen Fragen-Wiederholungen alles, er lacht viel, reißt Witze über seine Krankheit und scheint seine Situation mit Galgenhumor zu nehmen – Menière schlug zu, als er gerade die Aufnahmen zu seinem neuen Album „Weather“ in Angriff nahm, sein erstes mit eigenem Material seit 2001 („Plan B“).

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Mr. Lewis, Ihre Alben-Titel haben oft allgemeine Titel. Einst „Sports“, nun „Weather“.
Wir heißen nicht umsonst Huey Lewis & The News! (drückt auf eine imaginäre Fernbedienung). „Here is Huey Lewis and the News – back with Weather! Let’s go to Sports!“ In den USA werden Sendungen und ihre Ressorts immer so angekündigt.

Sie hatten ja auch Glück, dass der Bandname „& The News“ 1979 noch nicht vergeben war …
Ursprünglich hießen wir „American Express“. Und so klangen wir auch: wie eine schnelle amerikanische Band. Unser damaliger Manager bestand darauf, dass wir uns „Huey Lewis & American Express“ nennen. Gerade mal 24 Stunden vor Veröffentlichung unseres Debüts kam dann Nervosität auf – wir fürchteten, dass American Express uns verklagen würde. Ein neuer Name musste her. Ist schon ironisch, denn in den 1970ern wurde keine Band, von der ich weiß, von Konzernen gesponsert. Heutzutage wäre das doch eine tolle Idee für eine Band! Ob American Express mich noch will?

„Weather“ besteht aus nur sieben Songs. Warum?
Die Plattenfirma wollte, dass ich mehr als sieben veröffentliche. Sie fragten mehrmals an. Ihnen ging es um Quantität, nicht Qualität. Das Label schlug vor, dass ich einfach ein paar meiner älteren Hits auf die Platte packe. Ich wollte die Wirkung dieser sieben neuen Stücke aber nicht abschwächen – denn sie stehen erzählerisch zueinander in Verbindung. Ich antwortete der Plattenfirma: „Außerdem: Kanye West hat auch nur sieben Songs pro Album!“

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Sie leiden an der Menière-Krankheit, deren Symptome von Tag zu Tag stark schwanken können. Wie geht es Ihnen gerade?
Ich fühle mich nach einer 2. Also schlecht. Schauen Sie mal (holt ein Hörgerät hinter dem Ohr hervor): Wenn ich mich nach einer 6 fühle, höre ich halbwegs gut. Bei 5 und darunter wird’s schon deutlich schlechter. Bei unter 3 ist alles ohne Hörgerät ein hoffnungsloser Fall.

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Haben Sie Kontakt zu prominenten Leidensgenossen?
David Pack, der Keyboarder von Ambrosia, hat Menière, in einem Ohr. Wir unterhalten uns darüber. Ryan Adams hat Menière, aber vor allem das Symptom des Schwindelgefühls, also Vertigo. Es ist mehr ein Syndrom als eine Krankheit, also die Kombination verschiedener gleichzeitiger Krankheitszeichen. Vertigo ist das Härteste. Man kann dann eigentlich nur noch im Bett liegen, fühlt sich seekrank, möchte sich übergeben, während sich die Decke über einem zu drehen scheint. Aber Vertigo kommt in Wellen, verschwindet also auch wieder. Zuerst trat Menière bei mir 1987 auf, im rechten Ohr. Vor drei Jahren kam das andere Ohr dazu. Aber zwischen den Schwindelanfällen vergingen zum Teil Jahre. Aktuell habe ich keinen dieser Anfälle mehr. Mein Arzt sagte damals: „Get used to it!“ – „Bitte was? Ich bin doch Musiker!“. Er sagte: „Brian Wilson hat nur noch ein Ohr, Jimi Hendrix hatte nur noch ein Ohr – und ich habe auch nur noch ein Ohr, und ich singe außerdem in einem Barbershop Quartet.“ Seit 2017 kann ich mir beizeiten keine Musik mehr anhören. In solchen Phasen ist Musik für mich nur noch Lärm. Eine Kakophonie.

Wie oft singen Sie noch?
Bei einer längeren Phase von 6. Dann kann ich singen und mich halbwegs dabei hören.

Beeinflusst Menière auch Ihre kompositorischen Fähigkeiten? Haben Sie noch Ruhe um im Kopf zu arbeiten?
Natürlich kann ich noch Songs schreiben! Ich haben zehn Jahre an meinem Musical „The Heart of Rock & Roll“ gearbeitet, das letztes Jahr in San Diego aufgeführt wurde, und das ich bald an den Broadway führen will. Neue Lieder habe ich bereits im Sinn, ich höre die Akkorde, die Melodie, die Lyrics. Ich höre Musik, in meinem Kopf. Ich kann nur keine andere, akustisch echte Musik hören, und dann dazu spielen. Ich höre meine Stimme ja kaum beim Sprechen. Aber ich treffe Noten, kann noch singen (intoniert einwandfrei ein paar Töne).

Auf Ihrer Single „Her Love Is Killin‘ Me“ singen Sie „I’m Taking Pain Relievers Every Night“. Handelt das Lied von einer Frau – oder Ihrer Krankheit? Haben Sie daran gedacht, Lieder über Menière zu schreiben?
Nein, aber vielleicht sollte ich das! Das klingt interessant. Wäre mal einen Versuch wert, oder?

Sie sagten zu den Kollegen vom amerikanischen ROLLING STONE, Sie hätten nach dem zweiten Ausbruch der Menière-Krankheit sogar an Suizid gedacht.
Die Diagnose war niederschmetternd. Ich verbrachte lange Zeit einfach nur im Bett. Aber was wirklich half: Mir jedesmal, wenn es schlecht läuft, klarzumachen, dass es anderen noch viel schlechter geht. Ich habe ja sehr viel Glück gehabt in meinem Leben. Es gibt so vieles, für das ich dankbar sein kann. Manchmal ist es schwer, sich das in dunklen Phasen klarzumachen. Aber es ist wichtig. Manche Dinge muss ich halt so annehmen, wie sie kommen, und meinen Körper das aushandeln lassen. Was hätte ich tun können? Ich wollte unbedingt kreativ bleiben. Hoch mit dem Arsch.

„Weather“: Das Wetter ändert sich täglich, und so ändert sich auch Ihr Gesundheitszustand?
Nice! Das gefällt mir. Mir gefällt Ihre Denkweise! (lacht). Wir haben die Platte aber nicht nur „Weather“ genannt, weil Huey Lewis & The News von Nachrichtensparte zu Nachrichtensparte springen, sondern weil mich tatsächlich mein „inneres Wetter“ die letzten zwei Jahre beschäftigt hat. „Weather changes“ – das haben Sie toll gesagt. Ich werde es als meinen neuen Standardspruch verwenden. „Sie fühlen sich gerade nicht so optimistisch?“ – „Hey, Weather Changes!“

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Warum ist eigentlich die Mundharmonika aus der heutigen Musiklandschaft verschwunden?
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob es je eine Überzahl an Mundharmonika-Spielern gegeben hat. Ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass die Band und ich einige Top-Ten-Hits in Amerika hatten, in denen dieses Instrument eine wichtige Rolle einnimmt. Ich glaube nämlich, eine Liste an Top-Ten-Songs mit prägender Mundharmonika wäre recht kurz. Nun, die Mundharmonika ist ein akustisches Instrument. Gegen die heutige Studiotechnik hat sie es schwer. Heute haben wir Autotune, das alle lieben. Techno-Sound. Die Mundharmonika ist die Antithese zum Techno. „Her Love Is Killin‘ Me“ hat auch die Mundharmonika – vielleicht ja genau das, was die Leute 2020 wieder wollen. Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum heute weniger Menschen zu diesem Instrument greifen.

Welchen?
Es ist visuell nicht unbedingt vorteilhaft. Man hält die Mundharmonika direkt vor den Mund, verdeckt sich. Das sieht einfach nicht sexy aus. Und die Musikwelt heute? Ist eben keine Audio-Welt mehr. Wir leben in der Fernsehwelt.

In der Musik von heute herrscht Segregation

Ihr größter Erfolg war „The Power Of Love“, den Sie 1985, auf dem Höhepunkt ihrer Karriere, für den Film „Zurück in die Zukunft“ schrieben. Warum komponieren Stars heute nur noch selten Lieder extra fürs Kino, warum gibt es so selten noch Hit-Songs für die Leinwand?
Weil es gar keine Hit-Songs mehr gibt. Alle Charts sind fragmentiert. Ich denke oft an die Musik, mit der ich aufwuchs, Stax Records, Soul, Rhythm & Blues aus Memphis, Sam & Dave, Otis Redding, Aretha Franklin. Johnnie Taylor, der Booker T. & The MG’s als Backing Band hatte … zwei weiße und zwei schwarze Typen. Diese Kombination durfte damals nicht als gemeinsames Foto aufs Albumcover. Im Süden herrschte Segregation. Aber in der Musik herrschte Integration: „(You Make Me Feel Like) A Natural Woman“ wurde von Aretha Franklin gesungen, aber komponiert von Carole King und Gerry Goffin, zwei Weißen.

Inwiefern hat sich daran etwas geändert?
Heute ist es umgekehrt. Es wird innerhalb der Gesellschaft an Integration gearbeitet – aber in der Musik herrscht Segregation. HipHop ist dort, Hardrock hier. Country ist hier, Soul dort. Keiner kann mehr einen Hit haben, der alle erreicht. Früher standen alle Künstler im Wettbewerb um den Erfolg in einem einzigen Format: CHR, Contemporary Hit Radio, basierend auf den Top 40 der Charts, die sie wiederum mit beeinflussten. Da hörten Sie „The Power Of Love“, danach Garth Brooks, dann die Commodores und AC/DC. Ein heutiger Kinosong landet vielleicht in einem Kanal, den man gar nicht kennt.

Wie war es für Sie, wieder auf Promotour zu gehen – fast 20 Jahre nach der letzten Platte mit eigenem Material?
Damals ging man mit jedem neuen Album auf ausgiebige Tournee durch ganz Amerika. Seattle, Portland, San Francisco, Los Angeles, die Westküste runter. San Diego, dann Tucson, Phoenix. Tulsa, Oklahoma City, schließlich Texas. Austin. Der Süden. In jeder Stadt ging’s dann in die Radiostationen, oder man lud die Zeitungen ein. Dann fuhr man weiter, und man hoffte nach jedem Radiobesuch, dass die Stationen deine Songs auch spielen, die Journalisten eine gute Besprechung hinterlassen. Und dies zog man für jede Stadt durch. Am Ende kommt man an der Ostküste an, New York City. Wenn bis dahin alles gut lief, haben alle Radiosender deinen Song gespielt und man hat gute Reviews erhalten. Falls Dein Song aber nicht gespielt wurde – dann gab man eben einhundert Konzerte. So lernte man dafür sein Handwerk. Und heute? Heute gibt keiner mehr einhundert Konzerte. Und ich habe Tausende gespielt. Welcher neue Künstler macht das? Inzwischen sieht es so aus: Man produziert ein Album, dann wird sich um die Optik und gewisse Visuals gekümmert. Vielleicht um einen Platz bei „American Idol“ oder „America’s Got Talent“.

In den besten Restaurants finden Sie heutzutage keine stimmungsvolle Musik mehr, sondern Musik wie im Fitness-Center. Als müsste ich beim Essen auf dem Laufband stehen

Auch eine Art Live-Auftritt.
Aber das Motto lautet dennoch „bloß kein Konzert“: „Don’t go out on the road, by all means, and blow it! Let the TV, let the screen do all your work!“ So. Und dann ist man irgendwann groß und muss sofort in einer riesigen Arena auftreten. Samples und Drum Machines unterstützen dies … als ich noch gut hören konnte, also fremde Musik wahrnahm, war Autotune wirklich allgegenwärtig (schnippt mit den Fingern). Autotune – wie eine Krankheit! Eine Stimme, die zum richtigen Ton springt – das schreckt mich richtig ab. Solche Platten sind komplett leblos, alles on time und in tune. Zum Glück gibt es einen kleinen Autotune-Backlash in Amerika. Nehmen Sie Dave Cobb, den Produzenten aus Nashville. Wenn der mit Sturgill Simpson aufnimmt oder Shooter Jennings, dann wird ein Mikro aufgebaut, auf „Aufnahme“ gedrückt und los geht’s. Und die Leute finden das erfrischend, zum Glück. In den besten Restaurants finden Sie heutzutage keine stimmungsvolle Musik mehr, sondern Musik wie im Fitness-Center. Als müsste ich beim Essen auf dem Laufband stehen.

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Wegen Ihrer Krankheit können Sie keine Konzerte mehr absolvieren. Auch nicht spontan?
(ironisch) Okaaaaaaay. Für meine Band und mich gibt es solche und solche Konzerte. Wenn ich mich gut fühle, und jemand an meiner Seite fängt an Klavier zu spielen, dann könnte ich natürlich einsteigen. Aber eine große Show, mit echter PA?

Aber ein Konzert für Freunde ist doch möglich, ohne große Technik?
In den letzten zwei Jahren habe ich zwei kleine Auftritte absolviert. Eines bei einem Golfturnier in Schottland, wo ich seit 13 Jahren mitmache. Viele meiner Freunde sind auch dabei, Bill Murray,  Tico Torres von Bon Jovi – wir veranstalten dort regelmäßig Jam Sessions, haben uns den Bandnamen „The Contestants“ gegeben. Andy Garcia übernimmt die Congas. Auch Ronan Keating und Brian McFadden jammen mit – in Amerika sind die beiden vielleicht nicht so bekannt, aber ihr hier kennt sie sicher. Beim letzten Mal musste ich den Jungs beim Soundcheck also sagen: Jetzt leider ohne mich. Brian sagte nur: „Doch. Was singst Du denn diesmal?“. Ich erklärte ihm meine Lage, und er sagte: „Oh, that’s fucked. Aber warum probierst Du es nicht trotzdem?“ Nun, wir traten in einem kleineren Raum auf, und die Band war nicht sehr laut. Das kam mir zugute. Dieser Auftritt gab mir sehr viel Hoffnung. Und ich habe immer noch Hoffnung. Wenn ich auf einer 6 bleibe, so wie damals, dann kann es klappen. The News ist natürlich eine laute Gruppe. Aber ich hätte Lust darauf.

Andy Garcia, Bill Murray, Brandon Flowers und andere spielen auch im Clip von „Her Love Is Killin‘ Me“ mit.
Mein Sohn arbeitet für den Talkmaster Jimmy Kimmel. Jimmy ist ein Freund, ich habe ihn auf meine Ranch in Montana eingeladen, dort verbringen wir Zeit mit Fliegenfischen. Keiner gibt ja mehr viel Geld für Videos aus, es sei denn, man erklärt sich bereit das eigene auszugeben. Auch wir haben zum Teil mit dem iPhone gedreht. Der Gedanke war also: Wie kann man einen lustig aussehenden, billigen Clip drehen? Ursprünglich war geplant, dass Kimmel zum gesamten Lied einfach playback die Lippen bewegt. So, wie Chevy Chase es einst für Paul Simon tat. Ich war richtig gespannt darauf! Mein Sohn sagte aber: „Dad. That’s a pretty big ask.“ Er schlug also vor, dass jeder meiner Freunde eine Zeile spricht. Michael Keaton, auf einem gemeinsame Angelausflug, ein paar Zeilen, aufgenommen mit meinem iPhone.

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