Aus unserem Archiv: John Peel im Interview

Am 01. Mai 2012 ging die neue Website "The Space" online, die sich dem Leben, der Arbeit und der Plattensammlung des legendären, im Oktober 2004 verstorbenen DJs John Peel widmet. Deshalb holen wir noch einmal unser Interview mit Peel aus dem Archiv.

Am 01. Mai 2012 ging die neue Website „The Space“ online, die sich dem Leben, der Arbeit und der Plattensammlung des legendären, im Oktober 2004 verstorbenen DJs John Peel widmet. Das als Online-Museum konzipierte Projekt hat sich vorgenommen, die gesamte Plattensammlung von John Peel zu digitalisieren. Die ersten 100 Platten wurden nun bereits online gestellt – dazu gibt es historische O-Töne vom Meister höchstselbst. Ab sofort sollen weitere 100 Alben pro Woche folgen. Peels Sammlung umfasst allerdings ungefähr 25.000 Vinylalben und rund 40.000 Singles. Zum Start von „The Space“ haben wir für Sie unser Interview mit Peel aus dem Archiv geholt – es wurde für die allererste Ausgabe des ROLLING STONE (November 1994) geführt.

„Hallo“, sagte er, als er unlängst wieder einmal auf Sendung ging, „hier spricht der kleine Fettsack, der im Radio Platten spielt.“ Ein leicht übergewichtiger Plattendreher mag er ja sein, aber John Peel ist gleichzeitig eine Legende. Seine (zeitweise auch in Deutschland ausgestrahlten) BBC-Shows, die nun seit mehr als 25 Jahren in den Äther gehen, haben die Karrieren von David Bowie, T.Rex, The Smiths, Dinosaur Jr. und unzähligen anderen Musikern gestartet. Inzwischen 53 Jahre alt, hat Peel noch immer nichts von seinem Instinkt verloren, unter Schutthalden musikalischen Mülls neue und unverbrauchte Rockmusik zu entdecken.

Peel, der Ende 93 einige seiner „Peel Sessions“ der Öffentlichkeit zugänglich machte, wurde als John Ravenscroft geboren und arbeitete bei einem Piratensender, ehe er 1967 zur BBC ging. Die Arbeit bei der britischen Radio-Institution vergleicht er mit dem französischen Bogenschützen, der anno 1066 bei der Schlacht von Hastings einen Pfeil in die Luft schoss. Wie der Zufall es wollte, traf der Pfeil König Harald, verletzte ihn tödlich und machte so für William den Eroberer den Weg zum englischen Thron frei. „Mit meinen Programmen verhält es sich genauso: Ich hoffe, daß sie irgendwo runter kommen. Ich möchte Hörer neugierig machen und sie dazu animieren, sich Musik anzuhören, um die sie sonst einen Bogen schlagen.

Die Musikszene scheint sich insofern zu verändern, als plötzlich erstaunlich viel unkonventionelle Musik den Weg in die Charts findet.

Richtig, wobei sie aber meistens von der anderen Seite des Atlantiks kommt. In der britischen Musikszene gibt es momentan einen Haufen Mist. Neue Entwicklungen, zumindest in der gitarrenorientierten Musik, kommen eindeutig aus Amerika. Englische Bands klammern sich in erschreckendem Maße an die Vergangenheit. Ich habe überhaupt nichts gegen Bands wie Suede, aber sie bauen ihr Konzept aus alten Versatzstücken auf.

Machst Du den bewußten Versuch, in Deiner Programmauswahl so unkonventionell wie möglich zu sein?

Meine Sendungen entstehen nicht so organisch und geplant, wie es vielleicht aussehen mag. Ich nehme meine Sendungen zuhause auf, weil ich London hasse. Ich habe nicht mal ein Studio, sondern nur eine kleine Ecke im Keller. Wenn man sich meine Programme mit erstklassigem Equipment anhört, kann man gelegentlich hören, wie ein Traktor vorbeifährt oder die Schafe blöken. Ich setze mich mit dem Stapel Platten, die mir in der letzten Woche positiv aufgefallen sind, in meine Ecke und lege los. Mit großartigen Konzepten habe ich nichts am Hut.

Mit 53 Jahren hast Du nun schon einige Epochen der Rockmusik an Dir vorbeiziehen sehen….

Das einzig Positive an meinen 53 Jahren ist die Tatsache, daß ich die Chance bekam, in jungen Jahren Elvis Presley zu entdecken. Ich kann mich noch immer genau erinnern, wie aufgewühlt ich war, als ich ihn zum ersten Mal im Radio hörte.

Und wie schneidet die heutige Musikszene im Vergleich dazu ab?

Gar nicht mal so übel. Man merkt eigentlich erst im Nachhinein, ob eine Ära langweilig war oder nicht. Wenn ich mich rückblickend an die frühen 70er hier in England erinnere, so herrschte absolut tote Hose. Jede Band hatte mindestens ein Mitglied, das früher in einer anderen, inzwischen aber aufgelösten Band erfolgreich war. Im Vergleich dazu kommen heute aus allen Löchern neue Leute mit guten Ideen. Und die meisten von ihnen kommen aus den Staaten oder Kanada: Bands wie Polvo etwa – bei denen man manchmal den Eindruck hat, ab würden zwei Platten gleichzeitig laufen. Immer wenn ich einen Stapel Platten aus Amerika bekomme, habe ich die Garantie, daß zumindest einige Entdeckungen dabei sind.

Die meisten Hörer scheinen ja ihre Ohren an der Kasse abzugeben, wenn sie nicht mal halb so alt sind wie Du.

Das ist mir schon bewußt. Aber in der Literatur oder im Theater sagt ja auch niemand: „Sorry, Alter, aber jetzt bist du 45 und mußt bis an dein Lebensende die gleichen Bücher und Theaterstücke wiederkäuen.“ In der heutigen Popmusik gibt es doch unzählige Leute mit exzellenten Ideen, und wenn man sich als 53jähriger noch dafür interessiert, wird man feststellen, daß es für diese Musik keine Vorläufer gibt.

Wie ist es erklärbar, daß Du als DJ alle Moden überlebt hast?

Weil ich mich nicht habe in Intrigen reinziehen lassen. Der große Vorteil der BBC liegt darin, daß es kein kommerzielles Unternehmen ist. Wenn sich einmal die Programmdirektoren mit dem Gedanken angefreundet haben, daß du ein offensichtlich erfolgreiches Programm machst, lassen sie dich in Ruhe. In meinen 25 Jahren bei der BBC hat mir noch niemand gesagt, was ich denn zu spielen habe. Solche Freiräume bekommt man sonst nirgendwo.

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