Die neuen Lehren des Don Juan

Vor 25 Jahren machten Castanedas Bücher den mysteriösen mexikanischen Schamanen Don Juan zu einer Ikone der Gegenkultur. Aber auch die spirituellen Extrem-Erfahrungen von Zauberlehrling Carlos, nicht zuletzt ausgelöst durch Peyote und Mescal, weckten bei großen Teilen der globalen Hippie-Familie den Wunsch, selbst auf die schamanische Rebe zu gehen.

Doch es waren nicht nur die Underground-Medien, die Castanedas drogeninduzierte Sinnsuche zum metaphysischen Königsweg verklärten. „Verglichen mit der Ernsthaftigkeit, mit der Castaneda zu lernen versucht“, schrieb damals der „Spiegel“ über den ersten Band „Die Lehren des Don Juan“, „nimmt sich das gewöhnliche Hippie-Hasch-Brauchtum wie der letzte Tingeltangel aus.“

Doch es gab durchaus auch kritische Stimmen. Ganz abgesehen vom Zweifel einiger Edinologen an der Echtheit Don Juans erschien im Rückblick auch die Botschaft fragwürdig, nicht zuletzt unter sozialethischen Gesichtspunkten. In einem Interview mit seinem chilenischen Landsmann Daniel Trujillo Rivas meinte Castaneda: „Als Südamerikaner war ich intellktuell sehr mit dem Gedanken sozialer Reformen beschäftigt Eines Tages fragte ich Don Juan: ,Wie kannst du angesichts der schrecklichen Lage deiner Landsleute, der Yaqui-Indianer aus Sonora, unbewegt bleiben? 4 Ja‘, sagte Don Juan, ,es ist eine sehr traurige Sache, aber deine Lage ist auch sehr traurig, und wenn du glaubst, es geht dir besser, bist du im Irrtum. Keiner ist besser dran als der andere. Wir alle sind Wesen, die sterben müssen, und wenn wir das nicht zugeben, gibt es kein Heilmittel für uns‘.“ Das mystische Raunen rund um den mysteriösen Don Juan verlor denn auch im Lauf der Jahre seine Magie, doch beim Namen Castaneda zuckt die esoterische Gemeinde auch heute noch ehrfürchtig zusammen – nicht zuletzt deshalb, weil der gelernte Ethnologe es vorzog, den Wirbel um seine Person mit einem kompletten Informations-Embargo zu beantworten.

Inzwischen hat Castaneda, der Interviews (fast ausnahmslos) und Fotos (rigoros) ablehnt, seine Identität zumindest partiell gelüftet: Ende Juni wird der Meister für ein dreitägiges Seminar in Berlin erwartet, um dort so er denn wirklich erscheinen sollte – sein bewußtseinserweiterungsuchendes Publikum mit „Magic Stories“ und illuminierter Weisheit zu beglücken.

Wer jemals versucht hat, Don Juans/Castanedas Lehren in die eigene Praxis umzusetzen (zum Beispiel „mit leicht gekrümmten Händen auf einen Abgrund zuzuschreiten“), der weiß, was ihn erwartet: Denn „ein Mann macht sich auf zum Wissen, wie er sich zum Krieg aufmacht – hellwach, voller Furcht, Achtung und absoluter Zuversicht“.

Fast alle Übungen, die Castaneda vermittelt, haben mit dem Steuern von Energieströmen zu tun, mit der Navigation in den Untiefen der Wahrnehmung. Wir sind, so Castaneda, Ewig-Reisende auf der Suche nach Erkenntnis und sollten ständig bemüht sein, vorgegebene Informationen, Sichtweisen und Denkmuster in Frage zu stellen.

Doch nicht nur Kopfarbeit soll auf dem dreitägigen „Tensegrity“-Workshop in Berlin geleistet werden: Mit der Vermittlung von „Magic Movements“ sollen die spirituellen Exerzitien abgerundet werden. Die Schamanen des alten Mexiko, so Castaneda, hätten eine Technik entwickelt, um damit das energetische Zentrum, den „Montagepunkt“ eines Menschen, gezielt verlagern und so die Wahrnehmung der Wirklichkeit steuern zu können.

In einem der seltenen Interviews (nicht persönlich, sondern per e-mail geführt) erläutert Castaneda, worum es ihm heute geht:

Was sind überhaupt Ihre Beweggründe, 1997 den Schamanismus in die westliche Kultur einzubringen?

Wir wollen den Schamanismus nicht in die westliche Welt bringen. Dieses Mißverständnis basiert auf den ständigen Versuchen der New Age-Bewegung, eine Art „Hochebene“ sogenannter Spiritualität zu propagieren. In diesem Ansatz dokumentiert sich ein eklatanter Widerspruch: daß wir Spiritualität suchen, die wir gemeinhin als einen Zustand der Reinheit verstehen, Ah. als einen Zustand ohne sexuelle Aktivität – daß eben diese Forderung aber das Letzte ist, was wir tatsächlich wollen. Ich habe eine von mir sehr geschätzte Freundin, die sich danach sehnt, spirituell zu sein, die aber – nach ihren eigenen Worten – wie eine Hure ficken wilL Schamanismus ist ein Konzept wissenschaftlicher Anthropologie. Es beschäftigt sich mit dem Verhalten von Medizinmännern, etwa aus Sibirien, von wo der Name Schamane stammt. Den Schamanismus in den Westen bringen zu wollen, wäre das gleiche, als wollte man einem Arzt einreden, es gäbe eine Unterwelt, zu der er auf- oder absteigen kann, um eine Diagnose zu stellen – und mit der Behandlung fortzufahren.

Vor mehr als 30 Jahren, während ich anthropologische Feldstudien im Bundesstaat Sonora in Mexiko durchführte, traf ich auf einen echten Schamanen, einen mexikanischen Indio. Ich bemühte mich, ihn als anthropologischen Informanten zu nutzen, aber die Lage verkehrte sich, und er verwandelte mich in seinen Schüler. Er führte mich in die kognitive Welt der Schamanen seiner Linie ein. D Jahre lang war ich sein Schüler, und im Laufe dieser Jahre lehrte er mich, was die Schamanen des alten Mexiko magische Bewegungen nannten: verschiedene Bewegungsabläufe, die sie entdeckten, während sie sich im Zustand schamanistischer Trance befanden. Diese Bewegungen stellten sich als so wirksam heraus, daß sie über Generationen hinweg unter strengster Geheimhaltung vor dem Zugriff Uneingeweihter geschützt wurden.

„Tensegrity“ ist eine Modifizierung dieser magischen Bewegungen insofern, daß die Bewegungen auf jedermann anwendbar gemacht wurden.

Ist Musik ein notwendiger Faktor, um Trance oder veränderte Bewußtseinszustände hervorzurufen?

Musik wurde von den Schamanen eingesetzt, um einige magische Bewegungen zusammenzubinden. Diese Bewegungen waren für Musik prädestiniert und mündeten in besonderen tänzerischen Erfahrungen.

Trance riefen sie nie hervor, ganz sicher aber ein gesteigertes Wohlbefinden. Wann immer sie ihre magischen Bewegungen zu Musik ausführten, nannten Don Juans Schamanen dies das „Schärfen“ ihrer Bewegungen. Sie sahen in den magischen Bewegungen eine Bombe. Sie in Tanzschritte umzusetzen, hätte bedeutet, ein Pulverfaß mit einem Zünder zu versehen.

Hat Carlos Castaneda persönliche Vorlieben in punkto Musik?

Ich bin ein Mann meiner Zeit, und meine Zeit ist nicht die Ihre. Ich mag die Schlager der 50er Jahre. Mein Favorit ist bis heute Mel Torme. Ich mag es, daß er beweglich blieb, daß er neue Einflüsse aufnimmt. Mit anderen VWirten: Er ist ein junger alter Mann. Auch Ragtime habe ich gerne gehört. Die Beatles haben mir nie was bedeutet. Ich weiß nicht, wo ich war, als sie ihre Zeit hatten.

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