Die Renaissance der Single

Die Single-Downloads boomen, doch die Etablierung des neuen Formats ist auch mit unerwarteten Geburtswehen verbunden

Puristen und andere Feinbeine werden es vielleicht nicht mitbekommen haben, aber fernab der Vinyl-Single hat sich das digitale Pendant, der „One-Track-Download“, als das Format der Zukunft etabliert. „Die Single“, so Atlantic-Chef Craig Kallman, „ist lebendiger denn je. Wir werden derzeit Zeuge eines Phänomens, wie wir es in der Geschichte des Tonträgermarktes noch nie erlebt haben.“ Losgelöst von jeglichem Füllmaterial, in Sekundenschnelle auf den Rechner geladen und zudem erheblich billiger als die physischen Gegenstücke, werden bereits Millionen Downloads pro Monat verkauft. Die USA mögen da digitale Vorreiter sein, doch auch in Deutschland ziehen die Verkäufe rapide an. Und werden deshalb mittlerweile auch in die offiziellen Charts mit einbezogen; „Die Verkäufe der teilnehmenden Download-Shops werden bei ,media control‘ erfaßt, den üblichen Prüfroutinen unterzogen und dann zu den Verkäufen des physischen Handel hinzuaddiert“, erklärt Johann-Friedrich Brockdorff, Leiter des Referats Wirtschaft bei den deutschen Phonoverbänden.

Doch nicht nur preislich ist Online-Musik für die Konsumenten attraktiv. Weil bei der digitalen Musikdistribution das Pressen von Tonträgern und die aufwendige Logistik entfallen, finden sich Neuveröffentlichungen immer häufiger zuerst in den Download Stores und erst mit Verspätung im klassischen Handel. So wurde etwa die White Stripes-Single „Blue Orchid“ nur zwei Wochen nach der Aufnahme schon via iTunes angeboten. Und lange bevor jemand die erste Coldplay-Single „Speed Of Sound“ im Laden kaufen konnte, war diese vorab und exklusiv in Apples Internet-Musikladen zu bekommen. Prompt landete der Song in den weltweit 15 Shops auf Platz eins und ist damit die bisher erfolgreichste Download-Single.

All that speed, all that sound – doch nicht immer zur Freude des stationären Handels, der sich aufgrund des Zeitvorsprungs der Download-Stores zunehmend im Hintertreffen sieht. Denn, so die Befürchtung, wer einen Song als Download erwirbt, wird später kaum noch die entsprechende CD kaufen. Als erste Konsequenz nahmen „Saturn“ und „Media Markt“ einen Titel von Kylie Minogue nicht ins Programm, da dieser vorab Online erhältlich war. Man halte die Praxis unterschiedlicher Veröffentlichungstermine „für wenig geeignet, um die Musikbranche insgesamt nach vorne zu bringen“, hieß es aus dem Konzern.

„Ich kann die Bauchschmerzen des Handels nachvollziehen und auch verstehen“, sagt Alexander Maurus, Managing Director bei Warner Music. „Allerdings sind in den Tauschbörsen viele Neuveröffentlichungen auch unfreiwilligerweise früher zu bekommen. Deshalb müssen wir hier ein ebenso zeitnahes legales Angebot entgegensetzen.“ Ähnlich sieht es auch Johann-Friedrich Brockdorff: „Um der Internetpiraterie quasi zuvorzukommen, haben einige Firmen die Möglichkeit einer Veröffentlichung des Downloadtracks vor der physischen Single gewählt. Wir verstehen aber die Sorge des Handels durchaus und sind mit diesem im ständigem Austausch.“ Sogenannte „Promotionvorläufe“, so Warner-Manager Maurus, seien allerdings auch in Zukunft unvermeidbar, insbesondere zur Abschätzung der Erfolgsaussichten einer späteren physischen Veröffentlichung.

Ironie des Schicksals: Die digitale Musik-Revolution könnte dazu führen, daß wir unversehens in die 50er Jahre, in die Kinderjahre des Rock’n’Roll zurückgebeamt werden – in eine Zeit nämlich, in der die Single und nicht etwa das Album – die primäre Maßeinheit der Popmusik war.

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