Die Träumer von Faithless verbinden Todessehnsucht mit House-Hedonismus

Es gibt einen Platz für alles, für Wut über das Olympische Komitee, für Spaß an schnellen Autos und sensiblen Frauen. Und dann gibt es ja noch den Ford Escort von Maxi Jazz, türkisfarben und geeignet, sehr flott damit in Kurven zu fahren. „I wonder what it’s like to be dead…just below my skin, I´m screaming“ – es gibt einen Platz für schwermütige Poplyrik und Todessehnsucht; nur ist der normalerweise nicht zur besten Sendezeit aufMTV. Dank der ausgetüftelten Schwarzweiß-Bilder von Lindy Heymann ist das im Moment etwas anders. Es gibt ein Popmärchen namens Faithless, das nicht als Marketing-Konzept im Büro beginnt, sondern im Dunkel eines expressionistischen Videos, das im Licht endet – eine Erlöser-Metapher.

Im Hamburger Mojo Club beben die Zuschauer schon mit den Bässen und wanken auf allerengstem Raum, bereit, sich von der Musik umblasen zu lassen. Einmal „Insomnia“- so der Titel ihres Hits – durchleben. „Ich finde es schön, fremde Menschen Lieder singen zu hören, die du selbst in einer einsamen Stunde auf deiner Bettkante geschrieben hast.“

Besinnliches von Maxi Jazz. Das mediale Interesse, die Begeisterung, die ausverkauften Konzerte sind für ihn eine Überraschung, denn nicht einmal er weiß, was Faithless richtig gemacht haben. Als HipHop-Apologet hat er „vorher schon Platten gemacht, für die sich kein Popjournalist interessierte“. Nun gelang ihm mit Kollegen ein Hit, eine Stilmixtur, ungeahnt homogen, ein Experiment, das die soziale Kraft von Popmusik beschwört: Maxi Jazz, Jamie Catto, Sister Bliss und Rollo – als Produzenten, DJs und House-Mixer finden es völlig in Ordnung, wenn jemand nicht so cool ist und die Baseballkappe verkehrt herum aufsetzt. Und sie denken, daß eine Hitsingle lediglich ein Abschnitt im Leben eines Musikers ist – genau die korrekte Haltung also für alle, die Chartmusik hassen.

Drei Wochen brauchten die Londoner, um ein Album aufzunehmen, das jetzt ehrfurchtsvoll rumgereicht wird, weil es eine Botschaft hat, ohne im geringsten ideologisch zu sein, einen Spagat zwischen Sinnsuche und House-Stil bewältigt, dargereicht mit Charme und Schlauheit Aber das ist ja auch nicht so schwer, wenn man erfolgreich ist Oder? „Es geht uns jetzt so gut, weil es uns vorher auch schon gut ging“, versichern sie. Ihr Debüt dlevertnce „wurzelt in einer kollektiven Idee, die vor allem um Verantwortung und Spaß zirkuliert, weniger um Geld. „John Candy sagte in seinem letzten Film, wenn du nicht gut bist ohne Geld, bis du auch nicht gut mit Geld“, definiert Catto – und ein hitziges Stimmengefecht setzt ein.

Die Musiker sind leicht entflammbar, da sie von Träumen reden, aber nicht Idealisten genannt werden wollen. „Eine Frage der Perspektive“, meint Jazz. „Wir wollen etwas von unserer inneren Ruhe mitteilen“, sagt Sister Bliss. Ein Blick in eine andere Realität und trotz Spaßverordnung der Popwelt nicht so tun, als gäbe es heute keinerlei Depressionen.

Auf Konzerten lassen sich die Fans von souverän ausgetragenen Party-Ritualen aufrichten und bewundern den Congaspieler, der rund ist wie seine Trommeln und darauf energisch und graziös Lebensfreude klopft. Sie lieben Jazz, einen unschlagbaren Missionar, der in Heymanns „Insomnia“-Video ziellos zwischen hohen Hauswänden entlanglauft. Live hingegen tänzelt er wie aufglühenden Kohlen, liefert er sich der Musik völlig aus. Kaum zu glauben, daß er mal kein Vertrauen in sein Schicksal hatte – und keinen Ford Escort.

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