Duell der Rap-Giganten

MAN MUSS SCHON SAgen: Da ist Jay-Z wieder eine elegante Volte geritten. Weil er vielleicht nicht ganz zu Unrecht fürchtete, die HipHop-Gemeinde könne sich zögerlich gegenüber seinem neuen Album verhalten, er andererseits aber auch keine Lust hatte, auf den standesgemäßen Platintitel zu verzichten, klärte er die Sache eben außerhalb der Gerichtsbarkeit des Hörers: Für die Abnahme von einer Million Einheiten zum Vorzugspreis von fünf Dollar erhielt der koreanische Elektronikkonzern Samsung das Recht, „Magna Carta Holy Grail“ vier Tage vor dem offiziellen Erscheinen via App gratis an seine Kunden zu verteilen. Nachdem daraufhin die mächtige RIAA, die Record Industry Association of America, kurzerhand ihre Regeln zur Wertung digitaler Verkäufe angepasst hatte, ist Jay-Z nun der erste Künstler mit einer Platinauszeichnung, bevor auch nur irgendwer das Album gehört hatte, – ja, wie er selbst mit sanftem Stolz grinste, „bevor es überhaupt nur angekündigt war“. Chapeau!

Für den traditionalistischen Popfreund mag das unsportlich klingen. Aber mit der ungerührten Warenästhetik seines zwölften Albums, seit er 1996 die Drogen aus dem Kofferraum nahm, um daraus lieber CDs zu verticken, erinnert der erfolgreichste Rapper der Welt nur mal wieder lässig an die Uhrzeit. Nicht Romantik zu predigen, wo Material herrscht! Das war bekanntlich die Botschaft zum Stand sozialer und künstlerischer Verhältnisse, als vor ungefähr zwanzig Jahren die Gangsta im HipHop den Mainstream übernahmen – eine präzise Beobachtung, wie zahllose TV-Shows zeigen, in denen sich Leute für ein Momentchen Glanz an wohlsituierte Bachelors prostituieren, von robotischen Dominas in die Anorexie quälen oder von irgendwelchen Nichtsnutzen für ihre Chartskaraoke demütigen lassen.

Jay-Z alias Shawn Carter wurde der König dieser Welt, rappte vom „Hard Knock Life“, bis er schließlich im hedonistischen Nirwana des „Empire State Of Mind“ angekommen war und mit Beyoncé, der Königin dieser Sphäre, eine imperiale Familie gründete. Diesen Zustand beschreibt der 43-Jährige auch auf „Magna Carta Holy Grail“. Ganz altmodisch listet Jay-Z mit gewohnt elegantem, staatsmännischem Flow seine Geschäftsfelder von Musik-und Modelabel zur globalen Sportsbarkette und der Basket-und Baseballspieleragentur auf und droppt die Insignien des Erfolgs, vom siebenstelligen Maybach zum achtstelligen Warhol-und Basquiatgeschmückten Penthouse zu schließlich der mächtigen Gattin, deren 350 Millionen im Geldspeicher neben seiner halben Milliarde liegen. Baz Luhrman hätte keinen kennerhafteren Produzenten für seine augenbetäubende Bling-Orgie „The Great Gatsby“ finden können als Jay-Z, der ihm auch den Soundtrack besorgte.

Das Originalkunstwerk seiner Coverfotografie präsentierte Jay-Z der Welt übrigens in einer Vitrine der Kathedrale von Salisbury, neben einer von vier erhaltenen Abschriften der Magna Carta von 1215, deren Freiheitsrechte gegenüber der Krone Grundlage nicht zuletzt der US-Verfassung waren. „Wir sind stolz“, hieß es aus der südenglischen Stadt, „dass Jay-Z unsere Kathedrale für seine Coverpräsentation ausgesucht hat. Er erinnert an die andauernde Bedeutung der Ideale der Magna Carta.“ „I’m not a businessman, I’m a business, man!“, rappte Jay-Z zum Thema schon 2005, kurz bevor er den zwischenzeitigen Ruhestand -den er als Chef des Major-HipHop-Labels Def Jam verbrachte -beendete.

Dieses markante Statement stammt übrigens aus „Diamonds From Sierra Leone“, einem Hit seines Zöglings Kanye West, mittlerweile der einzige HipHopper der Welt, der es an Strahlkraft mit Jay-Z aufnehmen kann. Die besondere Konstellation der beiden gibt Jay-Zs Coup eine sacht pikante Note, weil gerade auch Kanye West mit einigem Getöse sein aufregendes Album „Yeezus“ veröffentlichte. Jay-Z hatte West zu Beginn des Jahrtausends systematisch als Thronfolger aufgebaut. Er beschäftigte ihn als Hausproduzenten seines früheren Labels Roc-a-Fella, wo West 2001 unter anderem auch „The Blueprint“, Jay-Zs wohl bestes Album, wesentlich gestaltete. Wohl auch dafür gab ihn sein Chef ein Jahr später auf seinem „The Bounce“ die Chance, vom Sessel ans ersehnte Rapmikrofon zu treten. Mit Popappeal, obsessivem kompositorischen Ehrgeiz und bis in die Peinlichkeit getriebenen zugleich larmoyanten und größenwahnsinnigen Raps brachte West seine ersten HipHop-Alben mit Tracks wie „Gold Digger“ auf Crossoverhöhe – nur um von dort mit Radiohead-und Krautrocksamples und schließlich dem gänzlich überraschenden, wegweisend elektronischen und vocoderisierten „808 &Heartbreaks“ seit 2008 einen hiphopbasierten Gesamtpop zu umreißen.

Mit „Yeezus“, so schien es, wollte West seine politische und künstlerische Unabhängigkeitserklärung meißeln. Das Album ist in diesem High-End-Kontext ein mutiges, schroffes, originelles Pop-Werk. West produziert unerschrocken an allen Erwartungen vorbei, die er zuletzt mit dem psychedelisch opulenten, mit Gästen, Soundschichten, Rhythmen und Orchestern vollgepackten Vorgänger „My Dark Twisted Phantasy“ geweckt hatte. Auch gegen das brillant monarchische „Watch The Throne“, sein Gemeinschaftsalbum mit Jay-Z von 2011, steht „Yeezus“ wie ein düster abgründiger Monolith. Ganz am Ende der Produktion hat er sogar noch Rick Rubin für die „Reduktion“ ins Studio geholt, wie Rubin seine Arbeit beschreibt. „Yeezus“ besteht zum größten Teil aus fast neurotisch radikalen, gestrippten, verstörenden elektronischen Effekten, die mit selbstverständlicher Geste die bockigsten, brummendsten und sägendsten Undergroundexperimente in den Mainstream holen. Das Album bekam kein Cover-Artwork und wurde statt mit Vorabsingles nur mit ein paar knackigen Liveterminen promotet. Dort spielte West Songs wie das atemlose, nur mit bratzender Basswalze und Gary-Glitter-Trommeln betriebene „Black Skinhead“. Darin wettert er mit wütender King-Kong-Metaphorik über die sexualisierte Furcht vor dem erfolgreichen schwarzen Mann und seinem Verhältnis zu weißen Frauen, womit er ein fundamental-rassistisches Motiv aufgreift -und vielleicht auch eigene Erfahrungen als Freund des weißen Starletts Kim Kardashian beschreibt. Nicht weniger grimmig präsentierte er „New Slaves“, worin er interessanterweise den wilden Materialismus seiner Szene als Symptom einer neuen Sklavenkultur beschreibt, in der Schmuck und teure Wagen gleichsam Ketten und Peitschen ersetzten. Lauthals wirft er die Schlüssel seines Maybachs fort und ruft wilde Fuck Yous in Richtung der Großkonzerne und Gatsby-Society.

Vermutlich dürfte ihn trotzdem wurmen, dass „Magna Carta Holy Grail“ seinen „Yeezus“ in der prestigereichen Disziplin des Erstwochenabsatzes lässig ums Dreifache schlug. Kurz vor der Veröffentlichung hatte sich West in einem seltenen und spektakulär größenbesessenen Interview mit der „New York Times“ zu seinem Selbstbild geäußert. Seine Vergleichssphäre bildeten nicht mehr Künstler wie, sagen wir Beatles oder Michael Jackson, er sehe sich vielmehr, so West, in einer Linie mit visionären Unternehmern wie Steve Jobs, Walt Disney und NBA-Mogul David Stern. Stattdessen hat natürlich unternehmerisch Jay-Z die Nase vorn. Auch dessen zahlreichen Nummer-eins-Alben -mehr als Elvis -kann er nur 21 Grammys aus 51 Nominierungen entgegenhalten. Von denen fühlt er sich dazu noch rassistisch gedemütigt, weil man ihn stets nur im R&B-Sektor aufstellt.

Dabei hat er natürlich nicht ganz unrecht. Auch Jay-Z nahm gelegentlich -etwa bei einer Echoverleihung in Berlin -Preise mit den souveränen Worten entgegen, es wäre doch schön, ihn als Popmusiker zu begreifen. Doch im Gegensatz zu Jay-Z beleidigt West gern die Popgewinner, die ihm oder Künstlern wie Beyoncé den Platz streitig machen. Kürzlich meckerte er von der Bühne herab sogar hochnäsig über Jay-Zs R&B-Pastiche „Suit & Tie“ mit Justin Timberlake. Und während sich West nach Katrina für seine nicht unkorrekte Beschimpfung von George Bush als Rassisten entschuldigte, überwies Jay-Z umstandslos eine Million Opferhilfe. Im Ergebnis wird ein Kuba-Ausflug Jay-Zs mit Beyoncé zur kleinen Staatsaffäre, zu der Barack Obama launig erklärt, er sei nicht das Reisebüro seines Kumpels und potenten Wahlhelfers. Wests berühmten Grammy-Ausfall gegen die Countrypopperin Taylor Swift kommentierte der Präsident dagegen eher nüchtern mit „Blödmann“. „Mein Instinkt“, erklärte nun West im Interview mit der „New York Times“, „hat mich stets zu unerhörter Größe, Schönheit und Wahrheit geführt.“

Immerhin vertritt West seine Meinung im Gegensatz zu Jay-Z auch radikal ästhetisch. Jay-Zs neues Album bedient ein klar umrissenes HipHop-Territorium. Seine Altmeister wie Timbaland und J-Roc, Szwizz Beats und Pharrell „Neptunes“ Williams geben ihm dabei zwar keine visionären, aber doch oft ausgesprochen schicke, retrofuturistische Beats an die Hand: Abgespeckte Synthstakkatos und blasenschlagende dunkle Sounds, kantig kubistische Minimalismen und Salsaanklänge, starrend fette Basslines wie in „Picasso, Baby“ oder verschwommen schlackerndes, düster verhangenes Zischen in „Nickels And Dimes“, worauf überraschend der psychedelische L. A.-Produzent Gonjasufi bedröhnt leiern darf. Zu einer albern hupenden Figur setzt Jay-Z in „Somewhereinameica“ eine oldschoolig-wehmütige Klavierschlaufe, die später in Jazz-und Streichermotive nach Art der Zwanzigerjahre mündet. Jay-Z öffnet seinen HipHop nicht weiter als bis in etwas wohlfeile REM-und Nirvana-Zitate und hübsch eingängige R&B-Nummern mit Justin Timberlake und Beyoncé.

Kein Zweifel daher: Kanye West ist mit seinem schillernd finsteren Elektropop, mit den Vocoderstimmen, Daft-Punk-Beats, Dancehalltoasts und Bon Iver der musikalisch ergiebigere Künstler. Bei genauerem Hinsehen treffen sich die beiden wiederum in der skeptischen Grundhaltung. Angeregt von der Geburt seiner jetzt anderthalbjährigen Tochter grübelt nämlich auch Jay-Z bei aller genießerischen Blingfreude, ob Geld allein glücklich mache. Im schönen „Jay Z Blue“ reflektiert er durchaus berührend anhand seiner eigenen vaterlosen Jugend über die Verantwortung auch seiner Frau Beyoncé gegenüber der anderthalbjährigen Tochter Blue Ivy (die jüngste Performerin der Geschichte, seit er sie zwei Tage nach der Geburt in einem spontanen Track namens „Glory“ sampelte):“I’m lying if I said I wasn’t scared“. In „Heaven“ setzt er gegen Dogmen aller Art den Zweifel der Vernunft, und im schwebenden „Oceans“ – mit seinen sanften Bläserwehen und einem wogenden Siebziger-Funkgerüst das vielleicht schönste Stück des Albums – beschwört er die Sklavenpassage von Afrika in die USA. Ohne Reichtum und Glamour, rappt er mit Blick auf Wests „New Slaves“, wäre er unsichtbar und nur sein Status erspare ihm das Schicksal vergangener Generationen. „Ich hoffe, meine schwarze Haut beschmutzt meinen weißen Smoking nicht vor der Basquiat-Vernissage“, singt dazu Frank Ocean, der auch Wests Titel begleitet. Jay-Z zitiert hier kurz „Strange Fruit“. Berühmt durch Billie Holiday und Nina Simone, geht es darin um Lynchopfer, die von den Bäumen hängen.

Auf „Yeezus“ taucht der Song als Sample auf. West untermalt mit Simones Stimme eine Verhöhnung von Groupies und Goldgräberinnen, die sich zwecks Unterhalts schwängern ließen, was ihn seit je umtreibt. Man kann das Unbehagen an Kanye West – einer der wenigen Rapper, die Kunst und Leben nicht durch ein Synonym trennen – kaum besser illustrieren als in dieser kleinen, geschmacklosen Verbindung von rassistischem Horror und selbstvergessener Larmoyanz. Auch bezüglich seiner gerade entbundenen Freundin, eine Art gut situierte US-Vorlage Daniela Katzenbergers, klingt es interessant, wie wehmütig er ab und zu seinem ungebundenen sexuellen Kaufrausch hinterherrappt. Gut bürgerrechtlich erinnert er sich zum Beispiel an eine schwarze Gespielin, die er „fisted like a civil rights signpost“, zu einer „Asian pussy“ fällt ihm süß-saure Soße ein.

Mag sein, dass der Professorensohn all dies als pflichtgemäße Poprenitenz versteht. Aber stärker wirkt, ob in der Gangstaanbiederung oder dem kritischen Versuch, der Eindruck eines wildgewordenen Kleinbürgers, der im Taumel künstlerischer Freiheit nichts spürt, wovon er sich nicht selbst bedroht fühlt. Erstaunlich, wie seriös und sachlich dagegen Jay-Zs Zockersaga vom Bordstein zur Skyline wirkt.

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