Eurosonic /Noorderslag Tag 3: Neo-Gothic, Dandys, lange Zungen und blonde Elfen

Mit Konzertberichten der Auftritte von Palma Violets und Villagers.

Zugegeben, ein Anflug von Panik überfällt mich, als am Morgen des dritten Tages mehrere Menschen mich auf offener Strasse zu meinen „amazig“ gestrigen Auftritt beglückwünschen. Ich werd noch nicht etwa … Kann es wirklich sein, dass ich neben dem Standort meines Fahrrades noch so viel mehr vergessen habe? Nein. Es liegt eine Verwechslung vor – höflich bedanken und „please follow me on facebook“ rufe ich dennoch hinterher, weil es mir irgendwie angemessen erscheint. So ist das hier in Groningen, in den kleinen verwinkelten Gässchen trifft man immer wieder auf die Menschen, die man am Abend zuvor beklatscht hat, oder auf solche, die bloß so aussehen. Ein Festival zum Anfassen, eben.

Bei der Zusammenstellung des Nachmittagprogramms überhöre ich mehrfach Kollegen die Band „Heiserkeit“ anpreisen. Seltsamer Bandname, aber gut, kommt vor. Im proppenvollen Plattenladen PLATO erkenne ich die norwegische Elektro-Synthie-Pop-Band „Highasakite“. Auch abgesehen von der sensationellen Florida-Patchwork-Jacke der Sängerin, eine schöne, solide Vorstellung. Nebenan Sea + Air: Daniel Benjamin und Eleni Zafiriadou haben zwar im letzten Jahr 270 Konzerte gespielt, dennoch geben sie in der Coffe Company keine routinierte Vorstellung, sondern versprühen mit harmonischen Arrangements Minimal-Heiterkeit.

Keiner meiner Weggefährten interessiert sich für Wehwehchen wie Müdigkeit und Gliederschmerzen, daher ist es an der Zeit Vorkehrungen zu treffen, um die nächsten Stunden gut zu überstehen. Die Senfsuppe, die mich in einer gemütlichen holländischen Kneipe aufwärmen soll, schmeckt ein bisschen wie ein Pott voller Mehlschwitze, bietet aber eine gute Basis für den nun beginnenden Abschlussmarathon des Festivals. Die morgens vom Hotelbüffet in guter Absicht eingesteckten Kiwis, werde ich ehrlicherweise ja doch nie essen.

Der Abend beginnt in Grand Theater mit SX, einem belgischen Elektro-Trio mit verträumten Neo-Gothic-Einflüssen. Die Sängerin ist eine blonde Elfe, die sich aufreizend zu bewegen weiß und über ein ziemlich lautes Organ verfügt. Geht gut nach vorne, auf längeren Zeitraum aber etwas anstrengend.

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Leiser und andächtiger geht es mit Broken Twin weiter, der 24-jährigen Emilie Marie Kjær, deren ätherischer, melancholischer Sound vor allem von ihrer starken Stimme getragen wird. Piano, Geige und dezente Loops bilden einen minimalistischen Klangteppich für Songs voller Sehnsucht – in richtig guten Momenten fühlt man sich an die großartige Hope Sandoval erinnert. Glücklicherweise ist der Rahmen sehr klein und intim, so dass man die Chance hat, der etwas scheu wirkenden Dänin zu lauschen.

Elephant aus Großbritannien spielen im De Spieghel. Wie das Infoblatt mitteilt, waren Bandleader und Sängerin mal ein Paar, das sich auch nach der Trennung zur weiteren musikalischen Kollaboration entschieden hat. Aha. Will man wirklich dafür bekannt sein, das man mit seinem Expartner musiziert? Wie dem auch sei, Spannungen auf der Bühne sind leider keinerlei auszumachen, dafür gibt es verträumten Disco-Pop auf die Ohren. Ganz nett, doch nicht wirklich packend.

Um die Ecke im Grand Theater spielt -M-, alias Mathieu Chedid. In Frankreich ein alter Hase im Geschäft, ist er international ein Newcomer. Sein exzentrisches Äußeres könnte einem Tim-Burton-Film entstammen: Troubadour-Dandy mit Glitzer, Pailetten und M-förmigen Sonnenbrille. Glam-Pop-Rock mit überraschend hoher Stimme. Wenn er nicht singt, streckt er seine lange Zunge raus und rubbelt während „Faites moi suffrire“ mit dem Mikrofonständer aufreizend an seiner Gitarre rum – Sexappeal sieht anders aus, vielleicht bin ich aber auch nur  schon zu müde, um über so etwas nachzudenken. Der Schlagzeuger ist eine Wucht. Dem Publikum, bestehend aus vielen Franzosen, gefällt es. Es wird getanzt und lauthals mitgesungen. 

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Zeit, sich auf zum Vera zu machen, doch schon von weitem ist zu sehen, dass der Hype um die nächste Band sich wie ein Lauffeuer verbreitet hat. Die Schlange vor dem Venue ist die längste des Festivals. Der Versuch dennoch hineinzuschlüpfen scheitert für mich am harten Regime der Bändchen-Hirarchie. Wer, wie unser Fotograf Gerrit, ein A-Bändchen hat, schlägt jeder Schlange ein Schnippchen und stolziert an B-tragenden Journalisten und C-tragenden Festivalbesuchern vorbei, hinein in das gehypteste Konzert dieses Festivals: Palma Violets. Die vier Jungs aus der Nähe von London wurden angeblich von Geoff Travis, Kopf von Rough Trade, nach Hören nur eines Songs unter Vertrag genommen. Im Februar diesen Jahres erscheint das erste Album, und wie es beim Frühstück am nächsten Morgen aus verschiedenen Quellen heißt, hat die junge Band mit ihrem Psychedelic-Garage-Rock ordentlich Gas gegeben und Kritiker überzeugt. Die neuen Artic Monkeys. Schon bald in aller Munde.

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Doch auch für alle, denen das exklusive Palma Violets Konzert verwehrt blieb, endete der Eurosonic mit einem nicht minder hörenswertem Highlight: Zum Abschluss treten im schönsten Venue des Festivals, der Stadtschowburg, Villagers auf. Während draußen Schnee rieselt, spielt die irische Folk-Pop Band um Connor O’Brien viele Songs vom neuen Album „Awayland“. Interessante Arrangements, die O’Briens Stimme noch besser gerecht werden, betörend schön gesungene Harmonien und hier und da elektronische Einflüsse, die sich in die Komposition einbetten, anstatt sie zu dominieren. Obwohl etwa 500 aufgedrehte Festivalbesucher den Weg hergefunden haben, wird es wundervoll leise, als „My Lighthouse“ erklingt. Gehetztheit und Müdigkeit der letzten Tage, ja sogar der Kater löst sich in Wohlgefallen auf, man lauscht andächtig der Musik und kann anschließend mit gutem Gewissen, nichts wichtiges mehr zu verpassen, schlafen gehen.

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