Handgemachte Hexerei

Lety-ourlety-ourlety-our… Videotheken, H&M-Läden und Imbißbuden sind in diesen Tagen erfüllt von einem klagenden Singsang. Die neue Cranberries-Single? Dolores O’Riordans Mutterschaftsgesang vielleicht? Weit gefehlt. Dieser allgegenwärtig-massenkompatible Hit mit gälischem Einschlag und Top Ten-Plazierung via MTV heißt „Rescue Me u und ist von drei Berlinern, zwei mit Guß, einer mit Zucker.

Zauberei ist wohl im Spiel. Bell, Book & Candle nennt sich das Trio in Anlehnung an okkulte Hexenbeschwörungen. Doch nicht der Blocksberg ist Ort des Geschehens, dafür aber der Prenzlauer Berg. Das einstige Künstlerviertel im Ostteil der neuen, alten Hauptstadt dient als Kulisse für Jana Groß, Hendrik Röder und Andy Birr, die momentan überall herumgereicht werden. Von der Goldverleihung zur Platin-Ehrung, vom Gig zur Autogrammstunde. So sind Bell, Book äC Candle ein deutsches Wintermärchen, der Beweis, daß nicht nur eurodancende Trashprojekte aus hiesiger Chip-Fabrikation chatten dürfen, sondern auch Handgemachtes. Darauf kann man schon stolz sein. n Ja, wenn du’s so siehst, sind wir natürlich schon ein Kurisosum in den Top Ten, zwischen all diesen Nanas und Mr. Presidents. Und vielleicht geben wir ja jungen Bands ein bißchen Hoffnung. Wenn wir es geschafft haben, dann können es auch andere schaffen.“

Solidaritätsparolen von Hendrik Röder, der im Gefüge dieses Dreigestirns als „Destillator“ gilt. „Andy verbringt die meiste Zeit des Tages mit seiner Gitarre und entwirft wilde Kompositionen, denen Jana mit ihren Texten Leben einhaucht. Das Ganze werfen sie dann mir vor die Füße, damit ich richtige Songs daraus entwickeL“ So demokratisch entstand auch ihr Debüt-Album „Rcad My Sign“, auf dem Groß, Birr und Röder zeigen wollen, was sie außer „Lety-ourlety-ourlety-our“ noch können. Und das ist, man ahnt es schon, noch nicht ganz so erstaunlich. Die eine oder andere Single hört man natürlich heraus: Der Titelsong wurde soeben als zweites ausgekoppelt, die Uptempo-Nummer „Rhapsody In Blue“ wird vermutlich folgen, und als letzten Hinterhalt wäre da noch ein schmusiges „Hear Me“. Der Rest ist mäßig inspiriertes Geschrammel aus dem Popfundus – ein bißchen Achtziger Jahre Gothic, ein bißchen mehr Cranberry-Saft und ansonsten hartnäckiger Hausmanns-Pop mit Stadionrock-Attitüde – seichtes Jammertal, um im Bild zu bleiben.

Macht ja auch nichts, letztlich zählt doch nur, goldene Regel der Popmusik, der Erfolg. Bell, Book 8C Candle lassen zwar nicht gerade die Glocke der hochgeistigen Muse klingeln, dafür aber die Kasse, und das mächtig wie zuletzt nur bei Fool’s Garden. Gut für eine Band, deren Aushängeschild Jana sich erste Sporen als Barfrau und Imbißbesitzerin verdiente und jetzt von Frauen- wie Teenie-Magazinen als neues Powerpopgirl gehandelt wird. „Die ist unglaublich schön“, preisen auch Promoterinnen das notorische Kriterium für Startaufen an. Sich selbst nach einer Handvoll Liveauftritten in Heavy Rotation über den MTV-Bildschirm flackern zu sehen, nagt bereits an Janas innerem Gleichgewicht „Beim letzten Videodreh ging mir der ganze Rummel zum ersten Mal wirklich auf die Nerven“, seufzt sie matt. „Die wollen ja wirklich alles wissen, dabei gibt’s gar nicht soviel zu erzählen“. Über ihre Mitstreiter gäbe es mehr zu erzählen. Röder und Birr haben als Söhne von Mitgliedern der Puhdys ihre Muckermentalität bereits in die Wiege gelegt bekommen – und schämen sich nun etwas, das zuzugeben. „Es muß ja nicht so laut herausposaunt werden, sonst hängt sich gleich jeder nur noch an der Puhdys-Connection auf, und keiner guckt mehr, was wir selbst machen“, befürchtet Andy Birr und forstet die Berliner Zeitungen nach mißgedeuteten Zitaten durch, die mit Schlagzeilen wie „Puhdys-Sprößlinge“ locken.

Sieht man sie dann auf der Bühne, Birr und Röder stocksteif auf ihre Instrumente konzentriert, gitarrenpumpend wie aus einem Guß, die schwarzmähnig-spröde Schönheit Groß sparsam ums Mikrophon tänzelnd und zuckrige Lyrik verbreitend, fällt es nicht sehr schwer, Sympathie aufzubringen. Von Produzenten geplante Bandprojekten, die sich aus Casting-Agenturen rekrutieren, sind sie weit entfernt Unseren Hörund Sehgewohnheiten entspricht das natürlich wenig, weshalb wir irritiert das Phänomen ahnen. Dabei haben wir doch nur mal wieder eine richtige Band gesehen. Die riechen halt etwas muffig nach Übungsraum. Keine Panik also.

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