ROLLING-STONE-Hausbesuch bei Prince: Heiß, heilig und high im Paisley Park

Wie Prince, der einsame König von Minneapolis, mit der Kraft der Musik die Welt retten will: unsere Titelgeschichte aus dem August 2010.

Woher ich komme, fragt Prince. Berlin. Oh, da fliege er gerne zum Möbel- und Modekaufen hin. Bald ja auch für ein Konzert, sage ich. „Tja, wer weiß …“, grinst er, andeutungsreich lächelnd, auch wenn ich die Andeutung nicht kapiere. Nun ja, merke ich an, es seien ja schon viele Tickets weg, jetzt solle er doch möglichst auch kommen. Schlagartig – fixieren mich die Augen, verschwindet das Legere aus seinem Ton. „Wie schnell haben sich die Tickets verkauft?“ Aha, der Geschäftsmann. Der soll ja nicht ganz so lila hinter den Ohren sein.

„Wer sollte mich produzieren“?

Lobreden auf Prince konzentrieren sich gewöhnlich auf die außerordentlichen musikalischen Talente.Erst wenn man ihm gegenübersitzt, realisiert man: Natürlich verdankt dieser Mann den Erfolg mindestens so sehr seiner simplen Smartness, seinem teuflisch guten Aussehen. Von dem er immer so gekonnt ablenkt, mit flammenden Gitarrensoli, weltbesten Jazzfunk-Harmonien und Edelstein-Refrains. Trotz der berühmten rund 1,60 Meter wirkt er nicht wirklich klein, die Proportionen sind kompakt, perfekt: türkisfarbenes Hemd, ansonsten ganz in Weiß mit ärmelloser Wolljacke, Schlaghose und Leinenschuhen, Milchkaffee-Gesicht. Als habe er eben in einem märchenhaften Harem die Shisha-Pfeife niedergelegt, um sich mal kurz den blutjungen Neuzugängen aus Lateinamerika zu widmen. Aus einem Plastikbecher trinkt er einen frozen Strawberry-Dingsda, natürlich nichts mit Alkohol. Und signalisiert sanft, dass er gerade Lust hat, sich ein wenig interviewen zu lassen. Was ja nicht oft vorkommt.

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Also: Mr. Prince, wie haben Sie das gemacht? Oder besser: Passiert es oft, dass Ihnen Menschen mit völlig gestörten Erwartungshaltungen begegnen? „Keine Ahnung. Ich lasse nur selten Fremde in meinen engen Kreis herein.“ Aber wie fühlt es sich an, als virtuoser Tausendsassa die besten Kritiken immer nur dann zu bekommen, wenn man genau so klingt wie ganz früher? „Ach, ist das so?“ fragt Prince und zieht die Augenbrauen hoch, geradezu lasziv. „Auch egal. Die Erwartungen anderer Leute sind für mich nicht relevant, überhaupt nicht. Aus dem einfachen Grund, dass ich kein Teil der Musikindustrie mehr bin. Meine Welt funktioniert nach anderen Kriterien. Erst neulich hat mich wieder ein Mann aus dem Business gefragt: Warum lässt du nicht mal eines deiner Alben von einem Außenstehenden produzieren? Und ich: Schöne Idee, aber wer soll das sein? Als Werbegag brauche ich das nicht.“

Andre 3000 von OutKast könnte es probieren, schlage ich vor. „Andre?“ fragt Prince amüsiert. „Nichts gegen ihn, er ist ein toller Rapper, aber ist er auch ein Musiker?“

Das Stichwort reißt ihn vom Sitz. Er steppt rüber in eines der Chill-out-Zimmer mit Ausgang zum Garten. An der Wand übergroß das „The Rainbow Children“-Albumcover mit der stilisierten Jazz-Band, darunter das Klavier, eine handgeschreinerte Special Edition, die wie eine große schwarze Zunge aussieht, die gerade jemand rausstreckt.

„Wenn ich heute diese Musik höre“, beginnt er zu predigen, nachdem er sich auf den Klavierhocker gesetzt hat, übrigens die einzige Art von Stuhl, die ihn länger als fünf Minuten halten kann, „dieses ganze beliebte Eighties-Dance-Stuff-Revival … alles so platt, simpel und offensichtlich. Die alten Synthesizer, die alten Akkorde.“ Er fängt an zu improvisieren, Nachmittags-Nachtclubmusik. „Man muss sich seine Harmonien selbst erfinden! Wendy und Lisa haben mir das beigebracht.“ Die beiden waren in der ersten Hälfte der 80er das Sturmauge seiner Band The Revolution, durften trotz der herrschenden Kontrollfreak-Verhältnisse relativ viel Kreatives beisteuern. „Es gibt so wenig Musiker, die richtig frei im Kopf sind. Ich arbeite eh nur noch mit Rhythmusgruppen zusammen – kannst du zufällig Congas spielen? Und kennst du Esperanza Spalding? Schreib dir den Namen auf. Sie ist genial.“

Er klimpert weiter, während er spricht, skippt durch verschiedene Stücke. Neben dem Klavier auf einem roten Lotuskissen balancierend, kann ich aus nächster Nähe beobachten, wie Prince sich in der Musik zu verlieren beginnt, die er selbst spielt.

„Siehst du, das ist mir heilig!“ ruft er. „Musik soll den Geist befreien, uns auf die nächsthöhere Stufe heben. Trying to get higher and staying there! Und wenn sie diesen Drive verliert, wenn sie flach und berechenbar wird …“ – mit der linken Hand gestikuliert er die nach unten zeigende Kurve – “ … dann verliere ich sofort das Interesse. Ohne Musik wäre die Welt ein so statischer, unbeweglicher Ort!“

Der Song des Jokers

In dem Moment, wie auf Stichwort, rauschen die drei Musen ins Zimmer. Sie haben Leitz-Ordner dabei, mit Notenblättern in Prospekthüllen, wie bei der Kirchenchorprobe. Es geht los: die uralte Single-B-Seite „How Come U Don’t Call Me Anymore?“, „Lean On Me“ und „Que Sera Sera“, „Nothing Compares 2 U“, „Diamonds And Pearls“, zwischendurch wirft er als Gag die Titelmelodie der „Addams Family“ ein. Die Sängerinnen harmonieren wie schwarze Engel, die Luft bebt. Prince gibt Anweisungen, beim nächsten Mal bitte so und so, alles wird notiert. Und schon schlägt der leicht autoritäre Ton wieder in Jubel um: „Wie kann man das hören und nicht sofort eine Europatour buchen?“ ruft er mir zu. „Wenn du Geld dabei hast – bitte jetzt werfen!“

Dann nimmt er Wünsche entgegen, und statt wundervoller Pianoballaden wie „Sometimes It Snows In April“ oder „When 2 R In Love“ fällt mir im Eifer der Situation nur das Schmalzstück „The Arms Of Orion“ vom „Batman“-Soundtrack ein. „Das ist nicht von mir“, geckert Prince, „das hat der Joker geschrieben! Wusstest ihr, dass das Album eigentlich ein Duett zwischen Michael Jackson und mir werden sollte? Er als Batman, ich als Joker?“ An den Song erinnert er sich nur zaghaft, spielt den Anfang, weiß den Text nicht mehr. „Aufschreiben!“ sagt er zu Liv wie zur Sekretärin. „Müssen wir unbedingt üben!“

Das Komplizierteste von allem eh schon Komplizierten an Prince ist sein eigenartiges Verhältnis zu Vergangenheit und Zukunft, zur Zeit überhaupt. Fragen über frühere Unternehmungen weicht er aus, auf Pläne oder Vorausblicke lässt er sich nicht festlegen. Beides mit derselben Begründung: Er lebe strikt im Jetzt, in der Gegenwart. Nicht mal zum neuen Album „20TEN“ – das übrigens auf ganz bezaubernde Art an die eben noch von ihm diskreditierten alten Synthesizer und alten Akkorde seiner Dirty-Funk-Zeit erinnert – will er viel sagen. Er habe doch schon längst wieder neue Musik gemacht, „ein neues System, das aber frühestens im Winter bereit für die Öffentlichkeit ist“. Die Schmierzettel mit völlig unbekannten Songtiteln, die auf dem Mischpult im von Duftkerzen vernebelten Studio B liegen, geben erste Hinweise: „Star (Sweet Dreams)“, „Back In The Day“, „Waiting“.

Zwei Ereignisse dürften mit für das verantwortlich sein, was man bei aller Liebe an Prince sonderbar und unverständlich finden kann. Erstens: die Konversion zu den Zeugen Jehovas, kurz nach der Jahrtausendwende, unter Einfluss des Bassisten und Freundes Larry Graham. Es gibt Augenzeugen, an deren Türen er mit dem „Wachtturm“ geklingelt haben soll. Den Gottesdienst besucht er im öffentlichen Königreichssaal in St. Paul. Und wenn er beginnt, vom Gott und vom Planeten Erde zu reden, wird es wirklich, sagen wir mal: komplex.

Zweiter Faktor: der berühmte Streit mit der Plattenfirma Warner Brothers, deren Veröffentlichungspolitik und PR-Arbeit er als Nötigung empfand.

Er war der Weirdo und Slave

Dass er eine Zeit lang als Weirdo mit „Slave“-Aufschrift im Gesicht und albernem Symbolnamen herumlief, verdeckt ein wenig die Tatsache, dass Prince damals als Einziger die wahrhaft visionären Bilder sah: „Wenn das Internet irgendwann richtig funktioniert, ist die Musikindustrie geliefert“, sagte er schon 1995, verkaufte 1997 die „Crystal Ball“-Box übers Netz, betrieb bereits ab 2001 über seinen „NPG Music Club“ einen Downloadshop. Die Fans hatten zwar mit den diversen Websites viel Scherereien, zuletzt mit dem Aboservice „Lotusflow3r“, der kurz vor Einstellung noch mal Gebühren abbuchte. Was nichts daran ändert, dass Prince radikal richtig lag. Seine CDs verschenkt er manchmal auch gleich. Dass sich viele darüber ärgern, die noch im alten System stecken, hat für ihn keine Bedeutung.

„Den Durchbruch zu schaffen, was heißt das heute eigentlich?“ beginnt Prince später in der Paisley-Park-Küchenzeile den Monolog über sein – nach Gott – zweites Lieblingsthema. „Hit-Singles interessieren keinen mehr. Jeder veröffentlicht heute Musik, alles ist frei zugänglich. Wenn überhaupt, dann hebt man sich durch Persönlichkeit ab. Dadurch, dass man das wahre Vokabular der Musik beherrscht. Erykah Badu, D’Angelo, Jill Scott, sie waren von Anfang an vollendet, sie mussten von keiner Plattenfirma hochgepäppelt werden. Jimi Hendrix hatte London schon im Sack, bevor er eine einzige Platte veröffentlichte. Es gibt keinen Grund für junge Künstler, den angeblichen Gatekeepern zu Füßen zu fallen.“

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