„Jahresrückblick 2003 – Dezember: „Hurt“

Er war zu einer biblischen Gestalt geworden, der Mann in Schwarz, ein Gigant des Schmerzes und des Behauptungswillens.

Noch in den Achtzigern galt JOHNNY CASH als ein Gestriger, zog mit alten Freunden als Highwaymen über die Bühnen, gab mit seiner Frau und der Carter Family noch immer die im Ablauf genau festgelegten Konzerte. 1997, bei einer Deutschland-Tournee, musste er die Bühne verlassen, so wackelig war er mittlerweile. Doch dazwischen, 1994, lagen die „American Recordings“‚kein Comeback, eine veritable Wiederauferstehung. Jenseits von Jazz, Blues und Country war noch kein Altvorderer so triumphal zurückgekommen, mit einer Platte, die in ihrer Urwüchsigkeit und Kargheit tatsächlich das Liedgut Amerikas schlechthin enthält. Und diese Stimme, die mehr denn je beglaubigte, was hier erzählt wurde, berührte eine weitere Generation, die 20-, 30-Jährigen.

Noch dreimal, zuletzt 2002, nahm Cash Traditionais und Folk-Songs, eigene Lieder und inspirierte Cover-Versionen auf. Zuletzt zeugte die Auswahl der Songs von Jenseitserwartung und Glauben. Johnny Cash, der Rebell und Patriot, der Junkie und Sozialarbeiter, der Gospel- und Country-Sänger, hatte seinen Frieden mit der Welt gemacht, war zur Ikone geworden, zum amerikanischen Helden.

Schwere Krankheiten hatten ihn am Ende gezeichnet, doch erst der Tod seiner Frau June Carter im Frühjahr hatte ihn wohl gebrochen. Noch immer nahm Cash an guten Tagen ein paar Stücke auf, ließ sich zum Studio bringen, schließlich fast tragen.Die Kollegin Sylvie Simmons erlebte ihn noch als klar denkenden, einnehmenden Südstaaten-Gentleman. Der Körper war zerstört (Cash hatte bis in die späten Sechziger Alkohol und Amphetamine bis zur Neige genossen), doch der Geist arbeitete weiter, störrisch, stolz, nun ein wenig altersmild.

Mit Trent Reznors Song „Hurt“ und dem entsprechenden Video, einem sehr pathetischen Durchlauf von Cashs Lebensstationen in Bildern, war der Unbeugsame noch einmal allgegenwärtig. Der Film gewann nur einen Grammy — man hatte eine letzte Cash-Feier mit einem Preis-Segen erwartet. Johnny Cash war bei der Preisverleihung nicht anwesend.

Neben den letzten vier Alben, dem eindrucksvollsten Spätwerk überhaupt, bleiben natürlich die frühen Aufnahmen aus den Fünfzigern, sicher auch die Knast-Klassiker. Johnny Cash sang, wie auch eine nach Themen geordnete Anthologie beweist, von Liebe, Gott und Tod. Er gehörte nie zum Showbiz, seine Geschichten waren existenziell. Columbia verabschiedete seinen Künstler mit dem einem Satz: „Here was a man.“

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