Jeffrey Lee Pierce – 1959-1996

Am Sonntag, dem 31. März 1996, starb Jeffrey Lee Picrce im Universitätshospital von Salt Lake City an den Folgen eines Gehirnschlags, den er acht Tage zuvor im Hause seines Vaters erlitten hatte. Als Pierce ins Krankenhaus eingeliefert wurde, lag er bereits im Koma, aus dem er bis zu seinem Tod nicht mehr erwachen sollte. Jeffrey Lee Pierce wurde 37 Jahre alt.

Am 2. April meldete die New York Times den Tod des Gun Club-Gründers, und so traurig diese Nachricht auch war: Es schien, als hätten die meisten seiner Fans und Freunde sich innerlich schon vor Jahren damit abgefunden, daß mit seinem Ableben in nicht allzuferner Zukunft gerechnet werden mußte. Sein schlechter Gesundheitszustand war sprichwörtlich. Konfrontiert mit der Todesnachricht, reagierten fast alle so, als hätten sie ja schon immer gewußt, daß der Mann körperlich ein Wrack ist. Aber das gleiche hat man auch schon immer über Nick Cave gesagt Und der kuschelt heute mit Kylie in den Charts.

Auf der letzten Tour (im Dezember 1993) hatte Jeffrey Lee Pierce sich dabei noch in sehr guter Form präsentiert, wirkte auch bei Interviews clean und aufgeräumt. Allerdings: Pierce sprach von Magenblutungen und Schlaflosigkeit, die Tablettendose war stets dabei. „Lucky Jim “ war gerade veröffentlicht und konnte sich zu Recht guter Kritiken erfreuen. Es war das beste Gun Club-Album seit Jahren: ein gelungenes Statement seiner künstlerischen Entwicklung hin zu einem verfeinerten, melodiösen Stil. Sein Gitarrenspiel klang glasklar, und sein Gesang war niemals eindringlicher. In dem elegischen Titelsong erinnerte Pierce sich an den Film „Lord Jim“, den er als Kind gesehen hatte, und die Landschaft von Vietnam, wenn der Monsunregen fällt. Das Album widmete er den Städten Saigon und London, wo er lange lebte – und Dank ging rätselhafterweise auch an Hillary Clinton. In Songs wie „A House Is Not A Home“, „Cry To Me“, „Desire“ und „Anger Blues“ schlug der melancholische Wutkopf noch einmal all seine Themen an, aber statt wie früher manchmal – im Malstrom unterzugehen, thronte er nun über dem Schmerz. Der Frust: Nicht alle Fans wußten diese Entwicklung zu goutieren – manche vermißten den Lärm, Schweiß und Schmutz der früheren Tage und forderten bis zuletzt auf den Konzerten immer nur eins: „Sexbeat!“, „Sexbeat!“ „Sexbeat!“.

„Sexbeat“… wahrscheinlich ist es dieser Song, der Jeffrey Lee Pierce und seinem Schaffen ein kleines Portiönchen Unsterblichkeit bescheren wird. 1981 erschien“Fire Of Love“, das Debüt-Album des Gun Club, und schüttelte die New Wave-Gemeinde kräftig durch: „Der Gun Club ist die wichtigste Gruppe dieser Jahre, die ohne in irgendeiner Nostalgie zu hängen – das Gestern/Vorgestern mit heutigen Qualitäten beherrscht“, urteilte H. in Hülsen in der letzten Ausgabe der Musikzeitschrift „Sounds“, deren Cover ein Foto von Jeffrey zierte. Das Album hatte nichts mit dem betont wurzellosen Punk- und New Wave-Sound jener Tage gemein. Pierce, damals Anfang 20, war ein begeisterter Musikologe und hatte bereits in seinen Teenager-Jahren angefangen, Blues-, Country-, Cajun- und Gospel-PIatten zu sammeln (nebenbei schrieb er in Los Angeles Kritiken für das „Slash“-Magazin als Experte für Reggae!). Die Einflüsse amerikanischer Roots-Musik waren in seinen Songs unüberhörbar. Neben Robert Johnsons „Preaching The Blues“ und Tommy Johnsons „Cool Drink Of Water“ fanden sich neun hochklassige Pierce-Originale auf der Platte, darunter „Fire Spirit“, „She’s Like Heroin Tb Me“ und eben „Sexbeat“, jener charismatische Song, der ihn bis in sein Grab verfolgt haben dürfte.

Die Musik des Jeffrey Lee Pierce hatte von Beginn an nur ein Ziel: höchste Intensität. Und das hatte seinen Preis: So einflußreich und inspirierend, wie sie fortan auf Legionen nachfolgender Bands wirkte, so sehr sollten die Platte, die Musik und die ganze Umgebung auch das zukünftige Leben des Jeffrey Lee Pierce auf fatale Weise prägen von seinen Alkohol- und Drogen-Exzessen jener Zeit spricht man noch heute nur hinter vorgehaltener Hand.

„Miami“, das nächste Album, erschien 1982. Mittlerweile bei Chris Steins Animal-Label unter Vertrag, übertraf der Gun Qub hier alle Versprechen des Debüts. Die musikalische Spannweite der Band war breiter geworden, ihre Spielwiesen differenzierter: Musikalisch ein Moment purer Magie. 1984 holte Pierce mit Kid Congo Powers (Ex-Cramps) und Patricia Morrison (Baß, später Sisters Of Mercy) frisches Blut in die Band. Die Ex-Mitglieder revanchierten sich, indem sie heimlich Live-Tapes an obskure Labels verkauften. Als das nächste Studio-Album „The Las Vegas Story“ erschien, kursierten somit etliche Live-Bootlegs von größtenteils miserabler Qualität. So gut die Platte auch war – auf der Bühne gab der Gun Club Mitte der Achtziger oftmals ein desolates Bild ab: Man denke nur an Jeffreys Pharoah-Sanders-Phase. Es spricht aber auch für seine Experimentierfreude und Vielseitigkeit, daß sein Solo-Album „Wildweed“, wo er sich von englischen Musikern begleiten ließ, poppiger denn je klang. Von der Maxi „Love And Desperation“ waren sogar Cure-Fans begeistert.

1986 erlebte der Gun Club den zweiten Frühling: Nick Sanderson (Drums), Romi Mori (Baß) und Kid Congo Powers (Gitarre) bildeten die ebenso solide wie langlebige Begleitung für den erratischen Frontmann, dessen visionäre Fehltritte sich fortan in Grenzen halten sollten. In dieser Besetzung erschienen zwischen 1987 und 1993 vier Longplayer mit „Lucky Jim“als künstlerischem Höhepunkt. Darüberhinaus wies sich der Plattensammler Pierce mit einem traditionellen Blues-Album voller Lieblingslieder (unter dem Namen Ramblin‘ Jeffrey Lee) als kompetenter Musiker und einfühlsamer Kenner des Genres aus.

Alles sah also gut aus, doch ein Jahr nach der erfolgreichen „Lucky Jim“-Tour, gerade als Pierce sein Leben konsolidiert zu haben schien, brannte Bassistin Romi Mori, seine langjährige Lebensgefährtin (die immer auch den Eindruck einer Krankenschwester und Übermutter machte), mit Drummer Nick Sanderson durch. Plötzlich stand der Gun Club-Chef allein und ohne Band da. Ein sicherlich schwerer Schlag, der heute wohl auch den Anlaß für die Spekulation liefert, daß Jeffrey Lee Pierce, um seine Depression zu bekämpfen, doch wieder zum Alkohol gegriffen hatte.

Doch dieser Schluß ist vordergründig. In seinen letzten beiden Lebensjahren ließ er zwar wenig von sich hören, doch Aktivitäten gab es genug: Einige Monate war er in Tokio, um mit japanischen Musikern zu proben. Er hat eine Anthologie seiner Kurzgeschichten zusammengestellt, die demnächst im Verlag von Henry Rollins erscheinen wird. Und auch den Gun Club hätte es wieder gegeben. Es gab jede Menge neues Material, so daß Studio-Termine für das neue Line-Up (wieder mit Kid Congo Powers) bereits gebucht waren. Bittere Ironie: Erster Aufnahmetag wäre der 31. März gewesen – ausgefallen wegen höherer Gewalt. So bleibt der Beitrag zum Tribut-Album für Tom Waits die letzte Studio-Aufnahme des Jeffrey Lee Pierce. Posthum ist lediglich noch ein Live-Album zu erwarten.

Goodbye, Jeffrey, wir vermissen Dich! Hoffentlich bis Du uns nicht böse, wenn wir jetzt gleich nochmal „Sexbeat“ auflegen – extra laut.

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