Kleine Welten

Auch Manie Street Preacher Nicky Wire ist nun solo unterwegs, hält den Ball aber ungewöhnlich flach

Es klingt wie ein interessanter Plan, aber so war das alles gar nicht gedacht. Dass zwei Manie Street Preachers, Nicky Wire und James Dean Bradfield, nun fast zeitgleich Solo-Alben veröffentlichen, ist nur ein komischer Zufall. Sänger Bradtield wollte die Bandpause für etwas Eigenes nutzen, doch Songschreiber und Bassist Wire war einfach langweilig. Also ging er ins Studio, um ein Album mit Gedichten aufzunehmen, „a little spoken word thing“. Und dann kam es eben so, wie es kommen musste: „Nach drei Tagen hatte ich fünf Songs, auf denen ich alles selbst gespielt hatte, bis auf das Schlagzeug. So habe ich weitergemacht. Ich hatte keine Veröffentlichung im Sinn. Ich hatte ja auch keine Plattenfirma, sondern alles selbst finanziert.“

Er spielte die neuen Stücke seinem Manager und Bradfield vor, stellte einige ins Internet – und beschloss dann doch, ein richtiges Album zu machen. Ein – besonders für Manics-Verhältnisse-ungeschliffenes, verschrobenes Werk, das große Melodien hat und manchmal ordentlich Krach, noch häufiger aber zarte Momente und melancholische Texte: „I Killed The Zeitgeist“. Natürlich sei der Titel Quatsch, sagt Wire. Und erzählt, dass Deutsch übrigens das einzige Fach war, in dem er seine O-Levels nicht geschafft hat. Er liebt den Klang von Wörtern wie „Zeitgeist“ und „Sehnsucht“, und Neu, La Düsseldorf und die Einstürzenden Neubauten liebt er auch. „Collapsing buildings, you know?“ fügt er hinzu, falls seine Aussprache nicht zu verstehen ist. Und lacht über die eigene Unbeholfenheit. Oberhaupt lacht Nicky Wire sehr viel – er wirkt erstaunlich entspannt. Weil es ihm so egal ist, was andere von „dieser kleinen Indie-Platte“ haken – und wahrscheinlich auch von ihm selbst. „Dieses Album tötet bestimmt nicht den Zeitgeist, aber ich finde, man muss immer versuchen, sich seine eigene kleine Welt zu erschaffen, fernab von fremden Einflüssen.“ Wire lebt immer noch in Newport, Wales. Er ist nie weggezogen aus der Provinz, „höchstens ein paar Meilen die Straße runter“, und in etlichen seiner Songs spielt „home“ eine große Rolle. Von Loyalität, ob zur Heimat oder zu Menschen, versteht Wire viel. Die Manic Street Preachers arbeiten längst am nächsten Album, aber auch während der selbstverordneten Ruhepause standen Wire, Bradfield und Schlagzeuger Sean Moore fast täglich in Kontakt. „Cursed for Life, das sind wir! James und ich lernten uns kennen, da war ich viereinhalb Jahre alt. Wir waren Freunde, lange bevor wir Musik machten. Wenn wir uns treffen, reden wir nicht wie Bandkollegen, sondern über Sport, Fernsehen, solchen Kram.“ Als Wire anfing, ernsthaft über diese Solo-Platte nachzudenken, überlegte er – von einem Extrem zum anderen neigend – sogar, ob er nicht gleich ein Triple-Album machen sollte – „Wie ,69 Lotte Songs‘ von The Magnetic Fields. Aber mit meiner Stimme wäre das vielleicht keine so gute Idee.“ Nett, dass er das selbst sagt. Dass Wire tolle Songs schreiben kann, ist klar, doch mit dem Singen ist das so eine Sache. Er kann’s nicht wirklich, und das weiß er. „Ich kenne meine Grenzen. Ich habe nur ein gewisse Bandbreite, so eine Lou-Reed-Mark-E-Smith-Kombination. Es wäre sinnlos, zu viel zu versuchen. Ich möchte bloß die Schönheit der Worte rüberbringen, mehr nicht.“

So viel Bescheidenheit wundert einen fast. Auch in Bezug auf die kommerziellen Möglichkeiten macht sich Wire keinerlei Illusionen, er lacht nur noch mal herzlich: „Ich erwarte eigentlich gar keine Verkäufe! Ich bin wirklich für jeden dankbar, der sich das Album kauft. Bei so einer kleinen Indie-Platte erwarte ich nicht dieselbe Begeisterung wie bei Manics-Platten, aber es gefällt mir, mich mal wieder im kleinen Rahmen zu beweisen.“ Nachdem sich Bradfield und er nun allein ausgetobt haben, darf man sich auf etwas gefasst machen, wenn die Manic Street Preachers im nächsten Jahr zurückkehren. Sie klingen jetzt, sagt Wire, wie „Guns N’Roses playing The Beatles„. Oder, falls das jetzt zu hart war: „Wie das Beste aus ‚Generation Terrorists‘ und ‚Everything Must Go“

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