Pink Floyd revisited: Wolfgang Doebeling über „The Piper At The Gates Of Dawn“

Wolfgang Doebeling ist ROLLING STONE-Autor und Radiomoderator („Roots“, sonntags bei Radioeins Berlin). Er erlebte die Ur-Pink-Floyd mehrfach in London. Hier schreibt er über die legendäre Debüt der Band.

Zum krönenden Abschluss unserer Oktoberausgabe bringen wir noch eine der Rezensionen der wichtigsten Alben von Pink Floyd, die von Prominenten, Fans und unseren Autoren verfasst wurden. ROLLING STONE-Autor Wolfgang Doebeling beschäfigte sich mit dem Debüt der Briten, „The Piper At The Gates Of Dawn“.

Freaks. Ein noch kleiner, aber besonders auffälliger tribe im Szenen-Wirrwarr von Swinging London. Studenten mehrheitlich, die sich in leisen Tönen unterhielten, meistens aber schwiegen, während sie in der Wardour Street vor dem Marquee Schlange standen oder in der Tottenham Court Road vor dem UFO. Underground Freak Out? Eher nicht. Diese Typen in Samthosen und Brokatwesten waren höflich. Mädchen? Trieben sich wohl lieber in den Boutiquen der Kings Road herum, als sich abends in enge Schuppen zu zwängen, wo das Publikum unsichtbar wurde inmitten all des bunten Blubberns und Blasenschlagens aus Lichtinstallationen und Diaprojektoren. Sehen schon, aber eben kein Gesehenwerden.

The Pink Floyd waren die Könige in Freakland. Konkurrierende Gruppen wie The Move und The Nice legten Shows hin, malträtierten die Orgel und sprangen dem Publikum ins Gesicht. Floyd-Auftritte waren Hochämter des fortgeschrittenen Psychedelismus, die Musiker unbeweglich wie in Trance auf ihre Schuhe starrend, die Fans in sich versunken, nicht wenige vor der Bühne sitzend, sogar im überfüllten UFO. Die Musik mäanderte, schien ausufernd in einer Zeit, als dreiminütige Pop-Statements das Nonplusultra waren. Unüberhörbar, dass diese Studentencombo aus Cambridge vom Blues kam. Und dann doch mit reinstem Pop reüssierte: Im März 1967 erschien die erste Single titels „Arnold Layne“.

Produzent Joe Boyd hatte das so unschuldige wie umstrittene Werk auf vier Spuren aufgefächert und sodann in einen umwerfend wuchtigen Mono-Mix verdichtet. „Arnold Layne had a strange hobby“, hebt Syd Barretts Anekdote über einen kleptomanischen Transvestiten an, die hinter Gittern endet: „Doors bang, chain gang, he hates it.“ Ein paar Radio-DJs fanden den Text zu riskant, doch für die Top Twenty reichte es. „See Emily Play“ schaffte es drei Monate später gar in die Top Ten, was Barrett nicht behagte.

Charts-Platzierungen rochen für ihn nach „commercialism, to be avoided at all cost“. Da wusste er freilich noch nicht, dass ihm seine Musik, ja sein ganzes Leben bald entgleiten würde. Eine letzte konzentrierte Anstrengung stand ihm noch bevor: das erste Album.

„The Piper At The Gates Of Dawn“ ist ganz und gar Syds Baby und so schillernd wie sein Schöpfer. Veröffentlicht im August und produziert vom EMI-Vertrauensmann Norman Smith, bringt diese LP das Pop-Jahr 67 wohl besser auf einen Nenner als jede andere, warts and all. Denn es ist eine erratische Platte, ein Kaleidoskop genialischer, nicht immer vollständig realisierter Ideen. Smiths disziplinierendem Einfluss ist es zuzuschreiben, dass die Sessions einigermaßen fokussiert blieben und immerhin eine Handvoll Tracks abwarfen, die noch heute begeistern.

Die Ouvertüre „Astronomy Domine“, ein von Holsts „Planeten“ inspiriertes, mit Megafon und Morsezeichen, Farfisa und Echo beladenes, indes nie überfrachtetes Instrumental setzt den kühnen Kurs, der auf dem beinahe zehnminütigen Opener von Seite zwei futuristisch fortgesetzt wird: „Interstellar Overdrive“ bietet „plenty of mindblowing sound“, wie sich der Kritiker des „Record Mirror“ freute. Abenteuerlich, ja absolut großartig und doch die Antizipation des bevorstehenden Niedergangs. Pink Floyd -inzwischen ohne Artikel im Moniker – sollten das in „Overdrive“ angelegte, seinerzeit als „progressiv“ missverstandene, bloß prätentiöse Moment in der Folgezeit ausbauen.

Natürlich nicht zum Vorteil ihrer Musik, der spätestens nach „Ummagumma“ die britische Exzentrik sukzessive verloren ging. Auf „Piper“ reckt sie noch ihr bizarres Haupt, in Tracks wie „Lucifer Sam“, dem Barrett einen sinistren Riff zur Seite stellte, oder im windschiefen Existenzialismus von „The Scare-crow“. Auch das Publikum wandelte sich, aus Freaks wurden Hippies. Mein fünfter und letzter Floyd-Gig fand im Herbst 1970 in Stuttgart statt, Auditorium und Bühne in Haschwolken gehüllt, aber mit veritabler Rundumbeschallung! Quad, Mann. „Atom Heart Mother“ war noch neu, „Hinsetzen!“, skandierten die Benebelten, das Ende.

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