Reise, Reise

Das Goethe-Institut schickt deutsche Bands um die Welt. Wer darf die Koffer packen, und wer bezahlt's? Ein kurzer Überblick.

Bei Tele waren’s die Texte. Die las irgendeiner der Verantwortlichen des Goethe-Instituts im Internet durch, besuchte anschließend ein Konzert und war so begeistert, dass er anfing, sich eingehender mit der Band zu beschäftigen. So einfach ist das manchmal. Im April 2007 machten sich die Berliner zum ersten Mal auf den Weg in die Ferne – Afrika stand auf dem Reiseplan. „Wir wurden nicht nur vom Goethe-Institut, sondern auch von vielen verschiedenen Organisationen, die das mit veranstalteten, toll aufgenommen und spielten unter den unterschiedlichsten Rahmenbedingungen. So warjedes Land ganz neu, ganz anders“, erzählt Sänger Francesco Wilking. Schnelldurchlauf, Schnappschüsse, dazwischen Begegnungen mit spannenden Menschen, bei Auftritten, aber auch Gesprächen und Workshops – das ist das Fazit dieser Tour, die gewissermaßen auch einen bandinternen Bildungsauftrag generierte: In jedem Land musste ein anderes Bandmitglied ein Referat über die örtlichen Verhältnisse halten; „damit wir nicht ganz blöd dastehen“, sagt Francesco. Übrigens: Tele erkannten endgültig, dass sie nicht nur über die Sprache, sondern auch über die Töne funktionieren, was vielleicht einer der Gründe war, warum sie in den Folgejahren die Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut fortsetzten: Im Herbst 2007 und 2008 tourten sie durch China – nachzusehen in schönen Mini-Videobeiträgen auf ihrer Homepage. Die zeigen auch, dass das Goethe-Institut die Sache mit dem Kulturauftrag sehr ernst nimmt: Nach jedem Song übersetzte eine Dolmetscherin die Texte der Band. Diesen Herbst geht es für Tele abermals in die Fremde: Usbekistan und China stehen auf dem Programm.

Deutsche Jazzer dürfen schon länger in Goethes Namen das Ausland bereisen, einer der Ersten war Klaus Doldinger, der bereits 1964 in Marokko spielte und vier Jahre später im Auftrag des Dichterfürsten Indien und Pakistan bereiste. Seit gut 25 Jahren ist das Goethe-Institut auch für Popmusiker der Ansprechpartner, wenn es um staatlich geförderte Kulturarbeit im Ausland geht. Neben Tourneen wie der von Tele gehören Einzelkonzerte dazu, aber auch Kooperationen mit anderen Künstlern und Workshops.

Dabei war der ursprüngliche Ansatz ein anderer: Das Institut, von der Struktur her ein gemeinnütziger Verein mit über 100 Niederlassungen in 91 Ländern, sollte anfangs zur Ausbildung ausländischer Deutschlehrer dienen. Erst in den sechziger Jahren übernahm es die Kulturförderung in Deutschland, beschränkte sich jedoch zunächst auf die hohen Künste. Als deutscher Pop nicht nur populär, sondern akzeptierter Teil des Kulturbegriffes wurde und gleichzeitig mit Künstlern Düül hervorgingen. Aber es war eine andere Zeit und ein anderer Ort, der wie Nena und ihren „99 Luftballons“ der Sound der Republik ins Ausland schwappte, wuchs das Interesse an Pop made in Germany. Die ersten Bands, die im Ausland auftraten, waren – sieht man von einer aus der Reihe fallenden Nahost-Reise der Krautrocker Agitation Free im Jahr 1972 ab – mit den Einstürzenden Neubauten und der Tödlichen Doris, die 1983 auf der Biennale in Paris spielten, Speerspitzen der Avantgarde. Es folgte ein Querschnitt durch die kulturaffine Popmusik der jeweiligen Zeit: Rio Reiser spielte 1988 für das Institut in Budapest, 1990 schickte man M Walking On The Water nach Ostafrika. 1996 spielten Blumfeld in Süd- und Mittelamerika. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und sie zeigt enorme Vielfalt. So reisten in Goethes Namen im Jahr 2008 die Berliner Pop-Hipster vom Jeans Team ebenso wie Soul-Lady Joy Denalane und die Electro-Acts Apparat und Modeselektor.

Was etwa bei Tele nach einem Selbstläufer klingt, hat tatsächlich viel mit vor Ort geknüpften Kontakten, viel mit Empfehlungen zwischen den einzelnen Instituten, aber sicher auch etwas mit persönlichem Geschmack zu tun: So antwortete eine der örtlichen Veranstalterinnen auf die Frage, warum sie Tele noch einmal einladen würde, freundlich, sie würden „nicht so deutsch klingen“. Auch wenn’s natürlich dem Auftrag des dezidiert deutschen Kulturaustauschs etwas entgegenläuft: Ein schöneres Kompliment kann sich eine Band eigentlich gar nicht wünschen. Die wiederum schätzt ihre Beliebtheit im Ausland und beim Institut durchaus richtig ein: „Wir sind eben alle ganz nett. Und wir können gut Englisch.“

Wie werden die Künstler bezahlt? Nagel, Sänger der Band Muff Potter, die im Herbst 2007 durch Marokko, Tunesien und Algerien reisten, war mit den Gagen durchaus zufrieden. „Das war nicht schlechter, als bei einer Tournee in Deutschland. Die bezahlten die Flüge, organisierten die Unterkünfte und zahlten ein Honorar“, sagt er – fügt aber an, er habe gehört, dass die Gagen mittlerweile zurückgegangen seien. Auch das Institut selbst bezeichnet das Gagengefüge als „moderat“, schließlich sei es die öffentliche Hand, die die Arbeit finanziere. Und die umfasst alle Bereiche der Kultur. Das Institut bezieht seine Mittel vor allem aus dem Bundeshaushalt, einen Teil finanziert es durch Sprachkurse und ähnliches. 2007 lag das Budget aller Institute bei etwa 271 Millionen Euro – 174 Millionen davon kamen vom Staat. Das klingt, splittet man es einmal in die einzelne Bereiche auf, vermutlich üppiger als es ist.

Gleichzeitig verweist das Institut aber auf einen Mehrwert, der ideeller Natur sei: „Von zurückkehrenden Künstlern hören wir immer wieder, dass durch Goethe-Tourneen so viele außergewöhnliche Begegnungen stattfanden und die Erlebnisse so einmalig waren, dass man dafür eine etwas geringere Gage in Kauf nimmt“, erklärt Jörg Süßenbach vom „Fachbereich Musik“ des Goethe-Instituts. Nagel bestätigt dies: „Wir wären echt überall hin gefahren. Für uns als deutschsprachige Band hat ja jedes andere Land eine gewisse Exotik, weil man sehr selten im nichtdeutschsprachigen Ausland spielt.“ Dass es letztendlich mit Afrika der Kontinent war, der vermutlich auf der Landkarte der Popmusik ganz unten steht, war indes ein Glücksfall – weil es eine gute Möglichkeit war, Vorurteile abzubauen, auf beiden Seiten. „Dort spielen einfach keine Rockbands. Auch das Goethe-Institut hatte dort noch nie eine Band, die etwas härter war, eingeladen.“ Rockclubs gibt’s in Nordafrika keine, so dass Muff Potter vornehmlich in bestuhlten Räumlichkeiten spielten. „Wichtig ist bei solchen Veranstaltungen, dass der Eintritt frei ist. Jeder, der interessiert ist, soll kommen können. Es waren wahnsinnig viele Leute da, die zum ersten Mal in ihrem Leben eine Rockband sahen.“ Höhepunkt sei das Konzert im marokkanischen Tanger gewesen: „Wir waren einfach wahnsinnig aufgeregt, weil es die Bandroutine durchbrach, weil es völlig neu für uns war. Und dann zu sehen, wie die Leute aufstehen wollten, erst von Sicherheitskräften daran gehindert wurden und dann doch aus den Sitzen sprangen – das war schon was!“ Gleichzeitig führte die Reise zum Abbau einiger Vorurteile: „Ich dachte, die Religion würde eine größere Rolle spielen. Ich rechnete nicht damit, dass Frauen auf den Konzerten sein würden. Das überraschte mich dann doch positiv, auch wenn es viel weniger waren als bei uns.“

Quasi im Gegenzug schrieben Muff Potter einen Tourbericht und veranstalteten vor Ort Workshops. „In Tunesien hatten wir da etwas Bammel vor. Wir waren an der Gitarrenschule Django Reinhardt, die uns als Punkband natürlich nicht so recht passte. Wir sind totale Autodidakten, können nicht einmal Noten lesen. Letztendlich war es aber eine sehr schöne und ungezwungene Angelegenheit.“

Was muss eine Band haben, um vom Goethe-Institut eingeladen zu werden? Und wer entscheidet, wer wo spielt? Oben erwähnter „Fachbereich Musik“ ist es, dessen Kernaufgabe in der Beratung der einzelnen Institute liegt. Das Institut legt Wert darauf, dass eben nicht nur der Geschmack entscheidend ist, spricht von einem „komplexen Dialogverfahren zwischen Fachbereich, Auslandsinstituten und Beiräten“. Die Zielsetzung sei in erster Linie, ein Bild vom aktuellen Stand der deutschen Musiklandschaft zu vermitteln. „Die Bedeutung einer Band innerhalb der Szene ist wichtig, wobei Popularität im Sinne von Plattenverkäufen und Chartplatzierungen zwar gelegentlich ein Indikator, aber nicht das Hauptkriterium ist. Wichtiger sind eine überzeugende Livepräsenz, musikalisches Innovationspotential und beim Gesang natürlich auch der kreative Umgang mit der Sprache, das gelungene Zusammenspiel von Musik und Wort“, sagt Süßenbach. Auch Eigenschaften wie Belastbarkeit, Flexibilität, Kommunikationsfähigkeit und Aufgeschlossenheit gegenüber anderen Kulturen und zum Teil sehr ungewohnten Arbeitsbedingungen seien von Bedeutung.

Und in Deutschland sollten die Künstler arbeiten, wobei es da die berühmte Ausnahme von der Regel gibt: So reiste der Österreicher Hubert von Goisern vor einigen Jahren für das Institut nach Ägypten – was in seiner Heimat trotz Einbindung der örtlichen Österreichischen Botschaft nicht nur auf Begeisterung stieß, wie er berichtet: „Das Goethe-Institut Kairo kam auf mich zu und fragte, ob ich mit dem ägyptischen Künstler Mohamed Mounir zusammen ein Konzert in Assiud geben würde – das ist eine Fundamentalistenhochburg, in der seit über zehn Jahren niemand mehr gespielt hatte. Ich sagte natürlich sofort zu. Ein großer Erfolg, sicher eines der publikumswirksamsten Dinge, die das Goethe-Institut in den letzten Jahren veranstaltete. Aber der Vorwurf, dass ich Österreicher bin und die deutsche Kulturförderung nutze, stand irgendwie immer im Raum, übrigens auch in Österreich.“

Dass ein kultureller Austausch vor allem dann Sinn macht, wenn es aus der bloßen Darbietung heraus und in die musikalische Kooperation hineingeht, kann der musikalische Grenzgänger indes wohl selbst am besten erklären: „Es geht immer. Es gibt Zustände, in denen falsche Töne schlichtweg nicht existieren. Egal, ob ich jetzt nach Südamerika, Lappland oder Afrika fahre, es funktioniert. Wenn sich Leute treffen, die neugierig auf ihr Gegenüber sind und – wenn’s geht – auch eine Zuneigung für den anderen empfinden, dann funktioniert das wunderbar, egal wo sie herkommen.“

Gangsta-Rap für Palästina

Knatsch gibt’s selten, aber manchmal doch. Etwa dann, wenn Künstler eingeladen werden, die nicht „ganz nett“ sind, die polarisieren: So absolvierte der Berliner HipHop-Star Massiv im vergangenen Jahr auf Einladung der deutschen Auslandsvertretung in Rammalah eine Nahost-Tour. Dass die vom Goethe-Institut unterstützt wurde, rief unter anderem die Politik auf den Plan: Ein Bundestagsabgeordneter protestierte, einer mit so brutalen Texten könne doch nicht als Botschafter von Frieden und Kultur im Nahen Osten fungieren. Dass Massiv selbst gebürtiger Palästinenser ist und durchaus als Repräsentant einer großen Bevölkerungsgruppe in Deutschland, nämlich der Migranten, gelten kann, wurde geflissentlich übersehen. Dabei agierte der Musiker vor Ort ausgesprochen handzahm. Über’s Ghetto, so sagte er, müsse er auf so einer Reise wirklich nicht rappen, das Leben in den Palästinensergebieten sei schließlich „krass genug“. Wenn’s um Kulturarbeit geht, entdecken eben auch Gangster-Rapper ihre guten Manieren.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates