Über Schall und Rauch

Mitten in New York findet Autor Paul Auster die kleine Welt, von der er auf die große schließt, in Buch und Film. Ein Porträt.

Gedankenverloren sitzt Paul Auster am Tisch im Wohnzimmer seines Brooklyner Brownhouses und wiegt einen Stapel Manuskriptblätter in seinen Händen, den obligatorischen Zigarillo im Mundwinkel. „Einen Moment noch“, sagt er, ohne den Kopf von den Blättern abzuwenden. „Man muß diesen Augenblick auskosten. Schließlich ist er einer der schönsten Momente für einen Schriftsteller.“ Er legt die Blätter sorgfältig auf den Tisch. „Wissen Sie, ich habe die ganze Nacht durchgeschrieben, und nun ist es fertig.“ Er beginnt, laut zu lachen, und legt dabei den Kopf in den Nacken. Abrupt verstummt er wieder. „Nein, nein, richtig geschrieben habe ich nicht. Ich habe nur mein handschriftliches Manuskript abgetippt. Ich schreibe alle meine Romane erst mit der Hand und tippe sie dann mit einer kleinen, klapprigen Schreibmaschine ab.“ Plötzlich steht er auf. Tatsächlich hat er Ringe unter den Augen, die rot unterlaufen sind. Keine Show also. Und wenn schon. Er fragt: „Möchten Sie auch einen Kaffee?“

Am Anfang war die Geschichte, denn Geschichten, so glaubt Paul Auster, sind ein wesentlicher Bestandteil des Menschen. Ohne die könnte er nicht überleben. Geschichten sind seiner Meinung nach ebenso wichtig wie die tägliche Nahrungsaufnahme. Über Geschichten lernen Kinder, die Welt durch Phantasie zu begreifen. Und über Phantasie könne man sich in das Leben anderer Menschen hineinversetzen. Eine Grundbedingung für menschliches Zusammenleben.

Am Anfang war eine Geschichte? Wer’s glaubt, wird selig. Denn weder gar so simpel existenzphilosophisch, noch so trocken ernst nimmt es Paul Auster mit der Realität und seinen Geschichten. Meister Zufall, kunstvoll geschmiedet, verantwortet in all seinen Büchern seltsame Kapriolen: Ob in den labyrinthartigen Krimis der „New York Trilogie“ (1989), bei dem Pokerspiel um Leben und Tod in „Musik des Zufalls“ (1992) oder in „Mr. Vertigo“, seinem neuesten Buch, in dem ein Junge die Bekanntschaft eines geheimnisvollen Mannes macht und fliegen lernt. Die Realität ist bei Paul Auster ein seltsames Gemisch aus Erfindung und Wahrheit. So, als könnte er sich einfach nicht entscheiden, was es nun von beiden tatsächlich ist. Ein Unentschieden, das in Einsamkeit mündet, eine Einsamkeit, die dem in diesem Zusammenhang ja oft genug strapazierten Kafka beispielsweise näher liegt als etwa Hemingway. Wahrscheinlich gab hier Austers Faible für europäische Kultur und Literatur den Ausschlag. Nicht umsonst studierte der heute 47jährige Ende der wilden Sechziger für mehrere Jahre in Paris. „Ich muß zugeben“, sagt Auster, „daß ich mich, wenn man die Klischeevorstellungen eines oberflächlichen Amerikas und eines tiefsinnigeren Europas heranzieht, auf der Seite Europas wohler fühle.“

Mit Austers Realitätskonflikt haben andere amerikanische Autoren dieser neuen Schriftsteller-Generation wie beispielsweise Bret Easton Ellis kein Problem. „Das interessiert mich nicht“, heißt es dazu lapidar von Ellis – und der hat die Leser auf seiner Seite. Seine Bücher, für die er schon mal 300 000 Dollar Vorschuß kassiert, sind Bestseller.

Davon konnte Paul Auster lange Zeit nur träumen. Sein Romandebüt „City Of Glass“ wurde von 17 Verlagen abgelehnt, bevor ein Kleinverlag in Los Angeles es schließlich veröffentlichte; sukzessive auch die beiden anderen Bände der „New York Trilogie“, die nach Abschluß plötzlich ein Kritikererfolg wurde. Mit „Mond über Manhattan“, „Die Musik des Zufalls“, „Im Land der letzten Dinge“ und „Leviathan“ sicherte sich Auster Schritt für Schritt einen Platz im literarischen Establishment der USA. In Europa war er bereits eine bekannte Größe. In Deutschland verpaßte man ihm alleine schon wegen seiner New Yorker Detektivgeschichten den Status eines sogenannten Kultautoren – in einer Reihe mit anderen US-amerikanischen Autoren wie Jay Mclnnerney, Bret Easton Ellis und Tama Janowitz.

Austers Arbeitszimmer Büro oder „Studio“ (wie er es bevorzugt nennt) liegt tatsächlich in Brooklyn in der 8th Avenue, gleich hinter dem Prospekt Park. Auch der Tabakladen, in dem Auster seine Zigarillos kauft, liegt gleich um die Ecke. Auch der alte Mann steht hinterm Tresen. Genau so wie in der Weihnachtsgeschichte, die Auster für die „New York Times“ geschrieben hatte, mit der alles begann. Der Regisseur Wayne Wang, bekannt geworden durch den Film „Töchter des Himmels“, rief Auster nach der Lektüre dieser Geschichte an und fragte ihn, ob er nicht Lust hätte, mit ihm einen Film daraus zu machen. Auster hatte. Dem einen Film, „Smoke“, folgte noch ein zweiter: „Blue In The Face“. Ein Glücksfall, ein Zufall? Als „eine Ironie“, bezeichnet es Auster, „daß aus dieser winzigen Weihnachtsgeschichte zwei große Filme wurden“.

Eine wahre Geschichte, wie im Märchen, Zufall eben, aber einer, der der Weh scheinbar wieder Sinn gibt, den Menschen hoffen läßt, um ihn dann letztendlich wieder tiefer ins Nichts, in die Einsamkeit fallen zu lassen. Wie in den Büchern von Paul Auster.

Unmittelbar nach Drehende von „Smoke“ begannen die Arbeiten zu „Blue In The Face“. In nur sechs Tagen war der ganze Film abgedreht. Fest standen nur eine lose Struktur und einige Episoden; der Rest war Improvisation. Verstärkt wurde das Team u.a. durch Jim Jarmusch, der über seine letzte Zigarette philosophiert, von Madonna als singendem Telegrammgirl, von John Lune als Straßenmusiker, von Serienstar Roseanne als zanksüchtiger Ehefrau und von RuPaul, dem New Yorker Szene-Transvestiten, der Tanzunterricht auf der Straße gibt. „Es machte allen unheimlichen Spaß“, erzählt Auster schmunzelnd, „den Ideen freien Lauf lassen zu können. Insbesondere Harvey Keitel, auf den der ganze Film zugeschnitten ist.“ In der Rolle des Auggie Wren, dem Manager des Tabakladens, ist er das emotionale wie geistige Zentrum. Bei ihm im Tabakladen erzählen die Kunden ihre kleinen und großen Lebensgeschichten. Auster: „Ich bin überzeugt, daß es nur sehr wenige Schauspieler gibt, die diese Aufgabe so gut hätten meistern können, wie es Harvey getan hat.“

Die Idee zu „Blue In The Face“ war Regisseur Wayne Wang und Paul Auster bereits bei den Proben zu „Smoke“ gekommen: „Als wir dann die einzelnen Rollen genauer entwickelten, mußten wir feststellen, daß für die vielen Einzelgeschichten der Kunden dieses Tabakladens kaum Platz war. Also lag es nah, noch einen Film zu machen.“ „Blue In The Face“ ist jedoch kein Abklatsch oder eine bloße Fortsetzung von „Smoke“, sondern vielmehr eine liebenswerte, fast schon philosophische Hommage an die großstädtische „neighbourhood“, als wohliger Ort und Schmelztiegel ihrer kulturell so stark divergierenden Mitglieder.

Als nun der ganze Rummel um beide Filme langsam abebbt, sitzt Paul Auster, der eigentlich in Newark/New Jersey aufgewachsen ist und den es nach Brooklyn nur der billigen Mieten wegen verschlagen hat, wieder zufrieden in seinem Studio an der 8th Avenue. Er ist froh, endlich wieder genügend Zeit für sein neues Buch zu haben; vorerst wird er sich vom Drehbuchschreiben fernhalten. Obwohl er es nicht bereut hat: „Die Erfahrung, im Kollektiv zu arbeiten, war für mich ganz interessant Auch einmal den Aufwand beim Film zu sehen. Das habe ich bisher immer unterschätzt“, gibt er zu. Aber er fühlt sich wohler, allein zu arbeiten, in aller Ruhe, in der Einsamkeit der vier Wände seines Studios im Erdgeschoß eines Wohnhauses in Brooklyn, unweit des Prospekt Parks.

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