Wolfgang Doebeling über die sozialdemokratischen Defizite in punkto Pop – und einen Smartie, der aus der Kälte kam

Der Bobby, der vor No. 10 Downing Street Wache schiebt, grinst verlegen, als man ihm ein Mikro unter die Nase hält. Was sich denn für ihn so ändern werde, wird er gefragt, wenn in Kürze Tony Blair Einzug hält im Amtssitz des Prime Minister. „Was sich politisch tun wird, ist schwer zu sagen, Sir, aber wir erwarten, hin und wieder Musik von drinnen zu hören.“ Welche Art von Musik? „Laute Musik, Sir.“

Eine nicht aus der Luft gegriffene Hoffnung. Wenn Tony Blair nicht damit zu tun hat, gewerkschaflichen Einfluß zu beschneiden, sich mit Bankern zu verbrüdern oder Babys in Blackpool zu herzen, kann man ihn mit einem Stapel Platten unterm Arm im Broadcasting House der BBC antreffen, wo er mal eben in einer Radiosendung ein paar seiner Favoriten spielen und kenntnisreich parlieren darf über die Vorzüge von Bowies „Low“ vis a vis „Heroes“. Abends läßt sich der ehemals aktive Glamrocker (sub-Sweet) mit Noel Gallagher ablichten, plauscht mit Jarvis Cocker und nimmt einen Scheck von Label-Tycoon Alan McGee (Creation) entgegen sowie dessen Schwüre unverbrüchlicher Treue zu den Ideen von New Labour: Manchestertum mit menschlichem Antlitz. Viel Markt, aber gerecht. Der übliche sozialdemokratische Zinnober vom großen Glück im kleinen Eigenheim, so rosarot wie verlogen. Aber mk Pop-Appeal und einem Anflug von Glamour.

Es hat schon was, wenn das zukünftige britische Regierungsoberhaupt bei einem dieser bonzokratischen Banketts in Bonn burschikos fordert, man möge doch die dezenten Streicherklänge im Hintergrund durch richtige Musik ersetzen, und er dann mit dem Unterton des Bedauerns beschieden wird, daß man leider mit den Rolling Stones nicht dienen könne. Sonnyboy Blair nickt, bleckt reflexartig die Zähne und nimmt sich vor, a) künftig solchen Schnarchsitzungen fernzubleiben, b) fortan immer ein paar Oasis-Hits griffbereit mitzuführen, oder c) sich im Ausland den dortigen Gepflogenheiten anzupassen und sich dann in der Downing Street für erlittenes akustisches Ungemach zu rächen, mit „Champagne Supernova“ ohne Ende, full blast.

Ein paar Zweifler gibt es schon noch in den eigenen Reihen. Hartnäckige Prinzipienreiter und unbelehrbare Überzeugungsschwätzer, die unseren Tony fast so sehr hassen wie wir DJ Bobo. Von solchen Spinnern abgesehen, hat der Labour-Leader seine Partei indes fest im Griff. Gelernt hat er das wie so vieles andere von Maggie Thatcher, deren langjähriges eisernes Regiment gründlich aufräumte mit sozialer Duselei und allerlei kulturellem Unfug. Tony Blair bewundert Maggie.

In diesem Licht besonders bizarr ist die jüngste Attacke von Leo Abse, 30 Jahre lang Labour-Abgeordneter im Unterhaus, der sich sogar zu einem Buch hinreißen ließ: „The Man Behind The Smile: Tony Blair And The Poltics Of Perversion“, eine „Psycho-Biographie“ des alerten Smarties. Zitat: „Why does Blair immerse himself in this world of rock, a world without commitment, of gender disorientation, of sexual nomads, of the Rolling Stones who, in their restless name, enshrine rock’s stance?“ Gut gebrüllt, Leo. Mr. Abse ist 79 Jahre alt.

So alt wie Rudolf Scharping mithin. Weshalb ein Blair keine Chance hätte in der SPD, wo Charisma ein Schimpfwort ist und nur dreierlei verlangt wird von Kandidaten: anpassen, hochdienen und anpassen. Wenn man dann noch nachweisen kann, daß man nie jung war, ist ein Platz auf der Landesliste gesichert. Nun ist Scharping ein besonders wohlfeiles Opfer für Spott. Der Mann war schon als Juso gescheitelt und mit der Ausstrahlung eines Referendars gesegnet. Wenn so einer dann noch langsamer denkt als Thomas Ebermann redet, dann ist der Verzicht auf einen Helm beim Radfahren keine Fahrlässigkeit mehr, sondern schon ein rebellischer Akt.

Die Labour Party hat Tony Blair, aalglatt und auratisch. Die deutsche Sozialdemokratie hat ihre Enkel-Generation, arschfad und phlegmatisch.

Beides entbehrt nicht der Komik, reduziert man Politik auf Entertainment. Das ist zulässig. Oskar Lafontaine, der sein feistes Schlemmergesicht und seine Frau bei Biolek (Gottschalk?) zur dort üblichen Bauchpinselei parkt, um dann in einem Anflug von antrainiertem „human touch“ das süße Schwangerschaftsgeheimnis zu lüften. Das ist begnadetes Schmierentheater. Oder wie Ober-Opportunist Gerhard Schröder stets Tucholskys These mit Leben füllt, wonach der deutsche Untertan stets danach trachte, Obenan zu werden.

Die Antithese zu Rock’n’Roll ist nicht Techno, sondern Toskana. Dort ist es hügelig, das Klima moderat, man ist kultiviert und unter seinesgleichen. Ein Shangri-La für den angelinksten Genußmenschen. Im letzten Jahr machten die Blairs dort Urlaub von den stiff upper lips der Londoner Society. Vom Regen in die Traufe: Kicks beim Weinverköstigen? Kaum. Tony wäre besser auf der Insel geblieben, die Boxen dröhnen lassen, Luftgitarre spielen, Antörnen für kommende Pop-Debatten, vorwärts ins nächste Millenium. Beneidenswert, die Briten.

Abonniere unseren Newsletter
Verpasse keine Updates