Bedrohte Weiblichkeit in den neuen Clips von St. Vincent und Charlotte Gainsbourg

Am schönsten ist Charlotte Gainsbourg stets in den Sekunden, bevor sie ihren Filmtod stirbt - das ist selbst im Clip zu "Terrible Angles" so. Auch die Songwriterin St. Vincent zeigt in "Cruel", wie es ihr an den Kragen geht.

Über Charlotte Gainsbourg war kürzlich in so mancher Tageszeitung zu lesen, dass sie rund um ihren 40. Geburtstag selbstverständlich über eine Schönheitsoperation nachdenke. Ihr würde als Schauspielerin ja nicht zugestanden, entspannt zu altern. Außerdem neige sie selbst auch zur Übertreibung. So manch männlichem Fan der so natürlich-sinnlichen Französin mit den extremen Filmrollen ist beim Gedanken an eine optisch korrigierte Birkin-Tochter mit Sicherheit vor Schreck das Croissant im Hals steckengeblieben.

Wie gut, dass Gainsbourg noch vor ihrer selbststrengen Rolle in Lars von Triers „Melancholia“ (Kinostart: 6. Oktober) das tut, was sie nicht erst seit „Antichrist“ am besten kann: Nämlich mit ihren eigenen Dämonen rangeln. Im Musikvideo zu „Terrible Angels“ – der von Beck geschriebene, stampfende Elektro-Rocker ist auf der gleichnamigen 4-Track-EP zu hören, die am 6. September erscheint – streift Gainsbourg eingangs mit ebenso elektrisiertem wie verschüchtertem Blick durch die Nacht.

In einem Parkhaus trifft sie schließlich in einer nur leidlich originellen, filmischen Umsetzung ihrer schizophrenen Paraderolle auf gleich mehrere Ebenbilder. Mit ihnen tanzt sie eine Pop-Choreographie, bei der Lady Gaga ob der fehlenden Präzision wohl nur verächtlich mit der Nase rümpfen würde. Schlussendlich fällt sie einmal mehr ihrer eigenen Autoaggression zum Opfer. Man traut es sich kaum zu schreiben: Am schönsten ist Charlotte Gainsbourg stets in den Sekunden, bevor sie ihren Filmtod stirbt.

Dieser Tage hat noch ein zweites Musikvideo seinen Weg ins Netz gefunden, in dem es der Weiblichkeit an den Kragen geht. Im Clip zu „Cruel“ von St. Vincents drittem Album „Strange Mercy“, das am 9. September in die Läden kommt, lauert der Feind nicht in den hinteren Winkeln der eigenen Psyche, sondern – fast noch schlimmer – in den eigenen vier Wänden. Die amerikanische Songwriterin Annie Clark wird in einer häuslich inszenierten Rolle als (Über-)Mutter zuerst vom Vater und den Kindern entführt und dann unter Abwesenheit jeglicher Emotion lebendig begraben. Eine mögliche Interpretation: So, liebe Frauen, sieht der Dank für eure alltäglichen Aufopferungen in einer bürgerlichen Familienhölle aus.

Das Video zu „Cruel“:

Regisseur Terri Timely, der bereits die recht sehenswerten Videos zu St. Vincents „Marrow“ und „Actor Out Of Work“ realisiert hat, bezieht sich in dem Video auf die mit vorstädtischer Paranoia aufgeladene Bildsprache eines David Lynch oder von Gregory Crewdson, dessen Fotografien derzeit noch im C/O Berlin zu sehen sind. Wer will, kann in dem fidel rockenden „Cruel“ aus einem Melodiebogen sogar noch Heintjes Schlager-Hit „Mama“ heraushören – eine schöne zusätzliche Pointe. Kurzum: Es ist das bessere von zwei Musikvideos, die abseits des weiblichen Mainstreams aus aufreizender Verführung und feministisch unterfütterter Selbstbehauptung spielen. Die Frau als Opfer – hatten wir lange nicht mehr!

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