Locas In Love Studiotagebuch II: The Start Of A Journey From A To B

Die Kölner Indieband Locas In Love auf den Spuren ihrer Helden: Mit Paul Savage (Ex-Delgados) nehmen sie in Glasgow ihr neues Album auf. Für uns berichten sie exklusiv aus den Studios des Chemikal Underground-Labels.

Björn Sonnenberg (Gesang, Gitarre), Stefanie Schrank (Bass, Gesang, Keyboards), Jan Niklas Jansen (Gitarre) und Christian Schneider (Drums, Glockenspiel, Percussion) sind zusammen Locas In Love. Die Kölner fuhren Anfang 2010 nach Glasgow, um mit Paul Savage den Nachfolger ihres letzten Studioalbums „Saurus“ aufzunehmen. Dafür befanden sie sich in den Studios des Labels Chemikal Underground, dem wir neben den Delgados z. B. auch Mogwai und Aereogramme verdanken. Björn Sonnenberg hat exklusiv für uns Tagebuch geführt. Ein wunderbarer, unterhaltsamer Textwust, der auf tragikkomische Weise die Ereignisse erzählt, die zur Entstehung des Albums „Lemming“ führten. (Alle Teile finden Sie in der Spalte „Artikel“ rechts neben dem Text.)

2. Reise: The start of a Journey from A to B

I measured the distance from Heaven to Hell
How will we do only time will tell
Oh when you stop worrying
What anyone says doesn’t mean a thing
(…) Tell me you’ll promise you might come with me
The start of a Journey from A to B
(Badly Drawn Boy)

Der ursprüngliche Plan war, an Silvester die Fähre zu nehmen, um auf dem Schiff feiern zu können und flotte Biene oder Tischfeuerwerk über dem Ozean abzufeuern, aber leider ist alles ausgebucht und wir bekommen erst für den 1.1. eine Passage. Auch gut, am Neujahrstag in der Früh abzureisen ist ein guter Vorwand, um nicht feiern gehen zu müssen. Jeder weiß, daß es kaum Müderes gibt als Silvesterparties, Grund: es ist kein wirklicher Anlaß wie Geburtstag, Hochzeit etc, es ist nur ein Übergang von einem Tag in den nächsten. Deshalb gerät keiner in Erregung außer vielleicht Kindern. Für sie ist Dinner For One und Feuerwerk etwas sehr Schönes, sofern sie lange genug wach bleiben.

Junge Erwachsene wie wir aber sitzen wie Falschgeld herum und wissen nicht recht, wie wir zur Vergänglichkeit stehen, die Mittelpunkt des Tages ist. Und diese Mischung aus lachendem und weinendem Auge, aus Melancholie und Feierlaune, das ist ZU Pierrot für uns.
Wir beladen den Anhänger am Proberaum, dabei bemerken wir, daß ein Adapter fehlt, um ihn mit Strom zu versorgen, was auch bedeutet, daß wir hochgradig illegal fahren, ohne Bremslicht und Blinker und spätestens bei Einbruch der Dunkelheit auffliegen, was aber gerade so klappen könnte, da wir um 16 Uhr in Amsterdam am Hafen sein wollen. Beim Ankuppeln ans Auto bricht das Laufrad des Hängers ab, das man braucht, um ihn hin- und herzubewegen, wenn er nicht am Auto hängt. Weil wir schon jetzt in Zeitverzug sind, vertagen wir es auf später, das Problem zu lösen und wollen einfach nur schnell zur Fähre, um uns in die Sicherheit zu bringen, die es bedeutet, diesen point of no return zu erreichen. Wir sind uns sicher: einmal auf der Fähre wird wie durch Zauberei alles gut werden. Muß!

Niklas steigt aufs Gas wie ein Irrsinniger, die Kühlertemperatur erhöht sich unter der Last des völlig überladenen Hängers und der Verspätung, gegen die wir anfahren. Das Navigationsgerät sagt eine immer später werdende Ankunft voraus, wir ärgern uns über jede Minute, die wir vergeudet haben, zB um der Empfehlung des Hängervermieters nachzukommen, einen Stromadapter zu kaufen, den es vermutlich an jeder Tankstelle gibt. Natürlich gibt es ihn nirgends und wir sind drei mal rausgefahren um diesen Mißstand auch tatsächlich empirisch belegen zu können (und dabei jedes mal kostbare Minuten zu verlieren). Wir nähern uns immer weiter an, sprechen wenig und denken still und angespannt: in 90 Minuten sind wir erlöst, in 75, in 60. Plötzlich ist die Anzeigenadel für den Kühler so weit im Roten, daß sie fast aus ihrem Feld springt. Mit dem Hänger, der nicht blinkt zieht Niklas auf den Standstreifen, wir füllen unser Trinkwasser in den Kühler und eilen weiter. Wir sind ganz nah, keine Stunde mehr zur Fähre.

Nach kurzer Zeit aber ist der Tropfen auf dem heißen Stein verpufft und wir müssen an einer Tankstelle in Vianen rausfahren. Dort schütten wir nach und nach und alles rutscht direkt wieder durch sobald der Motor gestartet wird. Die Reise ist vorbei und wir müssen den ADAC um Hilfe rufen. Es ist bitterkalt, Schnee liegt und fällt weiter nach, die Wegenwacht kommt angefahren während 50 km entfernt gerade der Bauch des Schiffes zugeht, ohne uns. Diagnose: Zylinderkopfdichtung kaputt. Optionen, die der ADAC anbietet: die Reise mit einem Mietwagen fortsetzen, der aber nach fünf Tagen zurück müßte, die Reise verschieben oder sich einfach zurück nach Köln schleppen lassen und es alles aufgeben.

Da sich heute nichts mehr ausrichten läßt, wird ein Abschleppdienst gerufen, der unseren Volvo in ein Depot stellt und uns in ein Hotel fährt. Bis dahin vergeht viel Zeit, die wir den höflichen Angestellten in der Total-Tankstelle auf der Pelle sitzen. Wir essen pappige Eibrötchen und lassen uns heiße Drinks aus dem Automaten, sonst gibt es dort wenig außer einem dann doch recht erstaunlichen Sortiment an Erotik-DVDs. Wir würden gerne etwas trinken um den Schmerz wattiger einzubetten, selbst irgendein Mist im verschämten Flakon wie Chantré oder Kümmerling, was man sonst an Tankstellen oder Supermarktkassen bekommt, wäre uns recht, aber es wird gar kein Alkohol verkauft. Ich frage, ob man wirklich keinen kaufen kann, dann bekommen wir aus dem privaten Schränkchen des jungen Herrn hinter der Theke eine Flasche Rotwein geschenkt. Die Geste rührt uns fast zu Tränen, wir wollen sofort die sogar mit Geschenkschleife geschmückte Flasche öffnen und auf den barmherzigen Tankwart von Vianen anstoßen.

Aber weit und breit ist nichts aufzutreiben, womit sich der Korken ziehen ließe. Bizarrerweise gäbe es dafür den Adapter, allerdings mit den Anschlüssen andersrum als wir ihn gebraucht hätten. Während wir auf den Abschlepplaster warten beheben wir den Schaden am Rad, eine Art Teilerfolg, der sich sonderbarerweise dennoch kein bißchen befriedigend anfühlt. Als der Laster anrollt und unseren Wagen auf die Ladefläche nimmt haben wir lange Gesichter, wie Pferde. Die Fähre ist mittlerweile schon weit auf dem offenen Ozean und wir haben noch wenige Minuten bis die Total-Tankstelle Vianen schließt. Der Anhänger mit all unseren Sachen wird an den Schlepplaster gekuppelt. Einzig, es fehlt ein passender Stromadapter. Der Mann sagt: fahren wir trotzdem. Wir dürfen ins Führerhäuschen klettern und haben eine tolle Aussicht, Lastwagenfahren ist eigentlich schön. Nächste Station: das Mercure-Hotel in Bunnik, einem Örtchen bei Utrecht.

Aus dem fahrenden Laster rufen wir Paul an, damit er weiß, daß wir nicht morgen mittag an seiner Studiotüre schellen. Er wünscht uns viel Glück, sagt: once you get here I guarantee it’ll be more relaxed and we’ll have a great time and lots of fun. Das Hotel ist wie ausgestorben, sehr The Shining – warum sollte man auch am Neujahrstag in Bunnik im Hotel sitzen. Im Restaurant essen wir irgendwelchen Kram, das Brot schmeckt uns, es gibt Bier und einen süßlichen Obstbrand. Währenddessen klingelt ständig das Telefon von Christian, aus irgendeinem Grund ruft der ADAC ihn immer an, um mit mir zu sprechen. Gefühlte 20 Male spielen wir mit meinen Sachbearbeitern die Optionen durch, wir sind nicht bereit, in Bunnik die Reise aufzugeben und wollen den Mietwagen.

Die Kosten, die uns entstehen werden und die zu vermeiden Grund war, den Volvo zu kaufen, sind uns mittlerweile egal. Nicht, daß wir das Geld hätten, au contraire, aber wir glauben nach wie vor, daß es einen Wendepunkt gibt, den wir nur überschreiten müssen und ab dem sich alles wie von selber lösen wird. Nur um an diesen Punkt zu geraten müssen wir weitere heraklische Prüfungen bestehen und das muß eine davon sein. Morgen früh um 9 sollen wir den Mietwagen bekommen.

Björn Sonnenberg

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