23 Jahre lang schützte er Presley vor der realen Welt. Inzwischen kämpft Jerry Schilling gegen den Schmutz auf dem Image des King

Er war von 1954 bis zu dessen Tod Elvis' engster Freund, wohnte elf Jahre lang mit ihm in Graceland unter einem Dach und leistete ihm am 17. August '77 als Sargträger das letzte Geleit: Jerry Schilling. Ein ewiger Jugendlicher, der eitel sein Alter verschweigt, unentschlossen zwischen elegant und salopp. Ganz beiläufig erwähnt er in seinem Büro in Memphis seine Künstlerbekanntschaften: Bono, Springsteen, Willie Nelson, Ouincy Jones, Little Richard. Nach Elvis' Tod war Schilling bis 1987 Manager der Beach Boys, er produzierte Filme und TV-Serien und amtet heute als Direktor der "Memphis and Shelby County Music Commission", einer künstlerisch-touristischen Behörde.

Elvis ist 25 Jahre nach seinem Tod omnipräsent. Wie groß ist die Diskrepanz zwischen dem Trademark Elvis und dem Menschen, den Sie kannten?

Sie überlappten sich schon zu Lebzeiten. Das hat den Entertainer Elvis ja so besonders gemacht: wie menschlich er war. Was mich ärgert, ist das Bild eines Elvis, der zur Comicfigur verkommen ist: ein Fettsack in einem zu engen Glitterkostüm, der ein Erdnussbutter-Sandwich reinwürgt.

Als jene Karikatur aber blieb er im kollektiven Gedächtnis hängen, und so geistert er auch durchs jüngste Eminem-Video. Unterschätzt man Elvis?

Die Welt hat sein Genie immer unterschätzt. Man unterschätzt zum Beispiel den Produzenten Elvis, denn nach dem kurzen Anfang mit Sam Phillips war stets er selber es, der seine Platten produzierte: Elvis wählte die Songs, die Band, die Arrangements und leitete die Sessions. Aber man wird ihm nicht gerecht, wenn man ihn zerreden, ihn mit dem Intellekt deuten will. Man muss Elvis mit dem Herzen spüren – wie die Fans.

In diesem Jahr landete Elvis mit „Little Less Conversation“ aus der Nike-Werbung auf Rang eins der Charts, sechs seiner Songs sind im neuen Disney-Film „Lilo & Stitch zu hören, im September lolgt mit PR-Getöse die CD mit seinen Nummer-eins-Hits. Ist es nur dem Marketing zu verdanken, dass das Comeback ausgerechnet jetzt erfolgt?

Jeder Erfolg im Showbusiness hat auch mit Marketing zu tun. Aber Elvis‘ Gesang klingt heute noch so großartig wie damals, sonst würde ein Wegwerf-Song, der nie als Single benutzt wurde, nicht 35 Jahre danach plötzlich die internationalen Charts stürmen. Dieser Mann hat die Welt verändert, verstehen Sie? Unser ganzes Verhalten, unsere Umgangsformen, unsere Kleider wären ohne ihn anders. Als ich hier in Memphis in den 50er Jahren aufwuchs, trug man keine pinkfarbenen Shirts und auch keine langen Haare.

Europäer schreiben diese Umwälzung eher den Beatles zu.

Ohne Elvis keine Beatles. Ich weiß noch, wie Lennon 1965 in L. A. zu mir sagte: „Siehst du diesen Backenbart? Ich wär fast von der Schule geflogen, weil ich wie Elvis aussehen wollte. Ohne ihn wäre nichts aus mir geworden.“

Welche Rolle spielte Sam Phillips?

Er war der Pionier. Der Visionär. Sam hatte schon vor Elvis den Nerv, schwarze Bluessänger aufzunehmen, und wurde deswegen angefeindet. Sam, Elvis und ihre Musik rissen rassistische Schranken ein – mehr als Politik und Religion es je vermochten.

Elvis revolutionierte die Gesellschaft. Und heute, nach dem 11. September, wendet man sich dem einstigen Umstürzler zu, weil er ein Gefühl von Sicherheit in unsicheren Zeiten vermittelt. Ist das nicht eigenartig?

Elvis ist ein sicherer Wert, er gibt Geborgenheit. Dieser Wandel passierte schon zu Lebzeiten. Nach seiner Rebellen-Phase ging er zum Militär, und das Establishment, über das er sich noch einige Jahre zuvor lustig gemacht hatte, begann ihn zu mögen. Elvis wurde zunehmend konservativ, doch irgendwie konnte er’s allen recht machen. Er traf an einem Tag Richard Nixon und am nächsten John Lennon, und beide waren sie vernarrt in ihn.

Was brachte ihn um?

Künstlerische Frustration. Die Drogen waren nur das Trostpflaster. Sein Umfeld nahm ihn nicht ernst genug, reduzierte ihn auf den gut aussehenden Jungen mit der tollen Stimme. Er wollte mehr. Er war intelligent, hätte ein ernsthafter Schauspieler werden können. Sie ließen nicht zu, dass er sich entwickelte. Und was macht ein Genie, das immer denselben Mist machen muss? Es will nur noch vergessen und haut sich mit Tabletten zu.

War Colonel Parker an seinem Abstieg schuld?

Mitschuldig. Elvis wollte in Übersee touren, der Colonel sagte „Ohne mich“ und ließ ihn durch die Südstaaten tingeln. Ich war dabei, als Barbra Streisand Elvis die Hauptrolle in „A Star Is Born“ anbot, er nahm sofort an. Am nächsten Tag sagte der Colonel: „No way!“ Kris Kristofferson bekam den Part. Die Rolle hätte Elvis das Leben gerettet.

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