Oasis-Konzertbericht: Der Endboss ist zurück in Manchester

80.000 Menschen feierten die Band um Noel und Liam Gallagher, die auf ihrer Comebacktour zum Crowdpleaser zu werden scheint. In Manchester stand ROLLING STONE in den Bierduschen – und war glücklich.

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Über die Reunion-Tour von Oasis und die ersten Konzerte in Cardiff sind schon wahnsinnig viele schlaue Dinge geschrieben worden. Ich werde das nicht tun. Wir wissen inzwischen, was man alles in dieses Comeback nach 15 Jahren hineininterpretieren kann. Wir wissen, dass die Musikjournalismus-Generation meiner Altersklasse (40+) Oasis schon ein paar Mal gesehen hat und ihre Rückkehr vielleicht sogar unangenehme Gedanken über den Verlust der Jugend, die eigene Sterblichkeit und die Tatsache, dass 1996 gekaufte Tourshirts irgendwie über die Jahre zu schrumpfen scheinen, triggert.

Wir wissen, dass Oasis viel Geld mit diesem Brüderfrieden machen und man mit Blick auf den Ticketvorverkauf und die zahlreichen Merch- und Werbedeals spannende Texte über die Musikindustrie schreiben könnte. Mir juckt auch gerade ein Essay über die Tatsache in den Fingern, dass Oasis heute ganz eindeutig den Britpop Battle für sich gewonnen haben – was sogar Damon Albarn gerade zugab. Der meinte nämlich: „Oasis won the battle, the war, everything.“ Und Richard Ashcroft gab das sogar gestern Abend im Vorprogramm von Oasis zu: Er sagte, selbstironisch und/oder ein wenig bitter: „Das ist es, was ich ab jetzt nur noch machen werden: Die Leute für Oasis in Stimmung bringen.“

Oasis-Messe mit Bierdusche statt Pappbecher

Aber: All das verkneif ich mir (oder schreib es an anderer Stelle). Ich möchte hier versuchen, zu vermitteln, wie unfassbar euphorisch, nostalgisch, herzlich, schön-schief-mitsingbar, rührend, pathetisch und durch und durch wundervoll dieser gestrige Tag war – der eben nicht nur aus einem Konzert bestand, sondern aus einem ganzen Tag, an dem man in einer der wichtigsten Musikstädte der Welt die bewegende Musik zweier nörgeliger Engländer feierte. Zur Einstimmung und zum Weiterlesen empfehle ich euch, raus in die Sonne zu gehen und euch eine warme Dose Bier langsam in den Nacken zu kippen: Das war nämlich schon beim Intro die Taufe zur Oasis-Messe. Und wer das eklig findet, dem sei gesagt, dass wir die Bierdusche jederzeit den Pissebechern vorziehen, die uns vor Jahren mal auf einem Liam-Konzert in London nur haarscharf verfehlten.

Schon in den Morgenstunden enterten Oasis-Fans aus aller Welt das Zentrum von Manchester. Vor allem die aktuelle Oasis-Adidas-Kollektion aber auch die besten Tourshirts der letzten Jahre des Bandbestehens prägten das Bild. In den Pubs liefen Oasis-lastige Britpop-Playlisten, Liam grüßte knurrig von riesigen Werbeplakaten am Flughafen, die Verkehrsbetriebe von Manchester packten das Bandlogo auf alle Hinweis-Schilder, und alle Nase lange brachen die ersten Oasis-Chöre durch.

Eine Stadt im Britpop-Rausch

Zum Beispiel, als ich mit Freunden in einem Pub namens The Picadelly Tavern mit einem Full English und dem ersten Pint kämpfte und eine Gruppe britischer Mitzwanziger plötzlich „Live Forever“ anstimmte – und der Hooligan-Gentleman Ü-50 zwei Tische weiter gleich mit einstimmte. Später, als ich an der Victoria Station auf die Tram zum Heaton Park wartete, borgte sich ein Brite das Megafon eines Verkehrspolizisten (der das Ding freundlich lächelnd rausrückte) und stimmte ein Lied an. Leider „Wonderwall“. Ein Deepcut hätte die Szene noch schöner gemacht. In der Tram dann auch ein einziger Gesang – und der Beweis, dass die Briten und Britinnen oft ein wenig härter feiern: Während ein junger Lad laut singend im Rhythmus von „Don’t Look Back In Anger“ gegen das Tramdach boxte, zogen sich zwei Frauen Anfang 30 erstmal eine kleine Stimmungs-Line in aller Öffentlichkeit. Aber das war bestimmt nur Traubenzucker …

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Als Oasis nach einem kurzen Cast-Gastspiel und ein paar Überhits von Richard Ashcroft im Heaton Park vor 80.000 Menschen auf die Bühne kamen, rief Noel Gallagher: „This is the place!“ Während Liam ergänzte: „Oasis vibes in the area, Manchester vibes in the area.“ Simple, aber passende Worte, denn machen wir uns nix vor: Das erste Manchester-Konzert war auch so „biblical“, weil Fans aus aller Welt anreisten, um die Band und die Stadt zu feiern – während die Stadt wiederum die Fans und die Band feierte. Win-win-win also. Wie ein Fußballspiel, bei dem man schon vorher weiß, dass man ein nervenaufreibendes Spiel sehen wird, bei dem am Ende das eigene Team gewinnen wird. Bei den Gallagher-Brüdern wäre das natürlich Manchester City, dessen Trainer Pep Guardiola übrigens im Publikum feierte und backstage mit den coolen Kids der Gallaghers abhing.

80.000 Fans und eine „biblische“ Nacht

Musikalisch betrachtet mussten Oasis dann gar nicht viel mehr machen, als ihre Songs ziemlich überzeugend live zu spielen. Besonders emotional waren sie dabei ja noch nie, aber Gem Archer (Gitarre), Paul „Bonehead“ Arthurs (Gitarre), Andy Bell (Bass), Joey Waronker (Drums) und die Gallaghers waren instrumental laut und on point, während Liam aber auch Noel stimmlich perfekt ablieferten. Die Setlist tat ihr übriges, um diesen Abend „biblical“ werden zu lassen. Auf ihre alten, gut bezahlten Tage sind die ollen Grantler, die schon den ein oder anderen großen Gig verkackten (Looking at you, Glastonbury 2009!), plötzlich zu souveränen Crowdpleasern geworden: „Morning Glory“, „Some Might Say“, „Cigarettes & Alcohol“, „Roll With It“, „Live Forever“, „Rock’n’Roll Star“ – alles dabei. Auch die Zugabe überirdisch gut – allein von der Qualität des Songwritings betrachtet: erst Noel mit „The Masterplan“, dann der heilige Britpop-Dreiklang „Don’t Look Back In Anger“, „Wonderwall“ und schließlich „Champagne Supernova“, das mit einem ziemlich üppigen Feuerwerk endete, dass die ehe eher mittelguten, in den Nullerjahren hängen gebliebenen Visuals der Show ein wenig vergessen ließ.

Lokalpatriotismus und große Gefühle

Liam widmete vorher „Fade Away“ den Bewohner:innen von Burnage – also dem Teil Manchesters, in dem er und sein Bruder aufwuchsen. Ein Arbeiterviertel, in dem sich viele die Tickets kaum hätten leisten können. „Cast No Shadow“ spielte die Band dann nach einem Shoutout an die Happy Mondays und Richard Ashcroft. Ein absolutes Highlight waren dann aber Songs wie „Acquiesce“, in dem sich Liam und Noel die Lyrics Teilen und vor allem das ergreifende „Stand By Me“. Überhaupt hatten Oasis eine für mich perfekte Mischung aus Balladen und Stücken, bei denen geschubst, getanzt und Biere geworfen wurden.

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Was den Tag aber vor allem besonders machte: All diese wildfremden Menschen, mit denen man über den Tag verteilt sprach und sang. Zum Beispiel der sehr sympathische Atli Johannsson – ein Isländer Mitte zwanzig, der mir erzählte, dass er und seine Freunde heute zum ersten Mal die Chance hätten, Oasis zu sehen. Die Lieder hätten sie zuerst durch ihre größeren Brüder oder ihre Eltern kennengelernt. Erst hätten sie natürlich gedacht, es sei uncool, die Musik von Älteren gut zu finden, aber als diese Teenager-Denke vorbei war, hätten sie gemerkt, wie fantastische viele Songs sind. Und dann gab es da noch den bärtigen, tätowierten Herren aus Liverpool, der einem Kumpel von mir einfach sein Bier schenkte, mit ihm ins Gespräch kam – und ihn ungefähr auf halber Strecke des Feuerwerks umarmte, als sei der sein lange verschollen geglaubter Bruder.

Der letzte Akkord

Ich könnte noch seitenweise ähnliche Szene beschreiben, aber ich glaube, man versteht schon jetzt, dass dieses Konzert wirklich besonders war und es für mich schwer wäre, hier den lässig einordnenden oder hochnäsig feuilletonierenden Musikjournalisten zu geben. Dabei war am Anfang sogar skeptisch über die Oasis-Reunion (weil vorher viermal live gesehen und davon waren sie nur einmal wirklich gut) und ein wenig bockig, über die Art, wie die Reunion angekündigt wurde und wie die ersten Reaktionen darauf waren. Heute bin ich bekehrt und muss Damon Albarn zustimmen: „Oasis won the battle, the war, everything.“ Gestern gewannen sie vor allem mich – und alle anderen Fans (zurück).