
Kevin Kühnert: Wer profitiert von der Rentenreform?
Der Rentenstreit scheint beigelegt - aber die wichtigsten Fragen sind noch nicht beantwortet
Allenthalben war in der vergangenen Woche zu lesen, der Rentenstreit der Regierungskoalition sei beigelegt. Also alles tutti, frohes Fest und guten Rutsch? Nicht ganz. Denn das Gesetzespaket regelt nur einige Aspekte der Alterssicherung. Die eigentlichen Richtungsentscheidungen kommen erst noch. Und zu denen sollten sich alle, die nicht zufällig reich geerbt oder geheiratet haben, schleunigst eine Meinung bilden.
„Das Rentensystem muss reformiert werden“ ist ein Gemeinplatz, auf den sich heute die allermeisten einigen können. Jaja, die Demografie! Politisch ist das banal. Denn spannend ist ja nicht die Frage nach dem Ob einer Reform, sondern nach dem Wie. Das ist wie in einer WG, in der schon lange nicht mehr sauber gemacht wurde: Alle wollen, dass der Saustall aufgeräumt wird. Aber wer soll das Klo denn nun putzen? Oder braucht es eine Reinigungskraft?
Unserer Deutschland-WG stehen zur Lösung ihres Rentenproblems die Hilfsmittel Zeit, Geld, Arbeitskraft und Risiko zur Verfügung. Zu klären ist nun, wer davon künftig mehr beziehungsweise weniger aufbringen oder herausbekommen soll. Folgt man dem Kanon der meisten Talkshows, Leitartikel und Verbandstagungen, dann gibt es eigentlich nur eine Möglichkeit, die Altersversorgung in Deutschland zu reformieren: Länger arbeiten, Rentenniveau absenken und viel mehr kapitalgedeckte private Altersvorsorge (künftig mit mehr Anlagerisiko). Was muss, das muss.
Wirklich? Man muss gar nicht alle diese Vorschläge ablehnen, um zu erkennen, dass uns hier wirtschaftliches Eigeninteresse als alternativlose Lösung verkauft wird.
Die Versicherten tragen die Kosten
Die Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters ist klar im Interesse der Arbeitgeber. Die Bevölkerung lehnt das ab, im aktuellen ARD-Deutschlandtrend sind 81 Prozent gegen die Rente mit 70. Auch ein sinkendes Rentenniveau beträfe einzig und allein die Beschäftigten negativ, denn die Kaufkraft ihrer Renten würde sinken. Folglich wird auch das im Deutschlandtrend deutlich abgelehnt (76 Prozent dagegen).
Und die kapitalgedeckte private Altersvorsorge? Die muss man grundsätzlich gar nicht verdammen. Doch wenn sie als Lückenfüller für eine sinkende gesetzliche Rente angepriesen wird, dann sollten die Profiteure ohne Schaum vor dem Mund benannt werden. Es sind einerseits die Arbeitgeber, die bei der gesetzlichen Rente noch die Hälfte der Beiträge bezahlen müssen, bei der privaten Vorsorge jedoch nichts. Und es sind andererseits die Finanzdienstleister, die Millionen Kunden für ihre Geschäftsmodelle bekommen. Die Versicherten tragen derweil die Kosten und das Risiko.
Kritischer Geist ist ein guter Alltagsbegleiter. Ist es nicht ulkig, wenn der Chef des von Arbeitgebern finanzierten IW Köln beim von Banken und Vermögensverwaltern gesponserten „Vermögensaufbau-Gipfel“ der Zeitschrift „Capital“ sitzt und beklagt, die Politik mache es den privaten Vorsorgeprodukten durch hohe Sicherheitsanforderungen zu schwer? Und wenn das IW Köln-Tochterunternehmen INSM das alles mit einer teuren Social-Media-Kampagne begleitet?
Tipp für die Renten-Talkshows
Putzig ist auch, wie Neo-Broker, Fondsgesellschaften und Frank Thelen die Bundesregierung in Appellen beknien „einen einfachen Zugang zu den Chancen des Kapitalmarktes“ zu schaffen – natürlich „steueroptimiert“ -, während sie die Riester-Rente (zu recht) als ineffizient abwatschen. Das beunruhigt nun wieder die DVAG, die mit schlechten Riester-Verträgen gutes Geld verdient und das weiterhin tun möchte. Sie spendete über die letzten Jahre hinweg viele Millionen Euro an die CDU und legte im Oktober nochmal 180.000 Euro nach. Sicher ist sicher.
Wo hunderte Milliarden Euro zu verteilen sind, da werden beim Kampf um künftige Marktanteile keine Gefangenen gemacht. Für die Rententalkshows der kommenden Monate empfehle ich deshalb mit Blick auf die Gäste einige Leitfragen: Für wen spricht die Person? Was sind wirtschaftliche Interessen des Arbeitgebers, seiner Kunden oder Mittelgeber? Und wie wahrscheinlich ist es, dass die Person selbst im Alter auf eine stabile gesetzliche Rente angewiesen sein wird? Alle drei zusammen bilden einen guten Spam-Filter gegen den gröbsten Unsinn.