…aber das missionarische Gaga, das VIVA-Prediger Gorny gebetsmühlenartig verkündet, macht Arne Willander kirre

Dieter Gorny wird in Präsenz und Eloquenz nur noch von Gerhard Schröder übertroffen. Der Leiter von VIVA und Gründer des Musikstadls „PopKomm“, alljährliche Kirmes der Vergnügungs-Industrie, hat eine Botschaft, und die ist auch sein Medium: „Wir sind wie du!“ Ich sah ihn mal bei einer Party anläßlich einer Preisverleihung. Gorny trug wie immer einen dunklen Anzug und wurde begleitet von einer, jawohl, attraktiven jungen Frau – er saß leibhaftig auf einer hölzernen Biergartenbank und redete sehr viel. Da wußte ich: Er ist wie ich.

Aber ich gucke kein VIVA. Und ich werde auch Gornys demnächst renoviertes VIVA Zwei nicht gucken, das dann zeigen soll, was MTV früher gezeigt hat und „Leuten ab 18 ein zwar alternatives, aber unbedingt aktuelles Musikfernsehen bieten“ muß, wie wir der Fachzeitschrift „TV Spielfilm“ entnehmen. Die „Oldies“ müssen zu diesem Ziel aus dem Programm, denn bisher dachte der arme Zuschauer ja, seine Zeit sei abgelaufen, wenn Phil Collins erschien oder Elvis Costello erzählte, wie er „Alison“ schrieb. Und so ein Gefühl ist nicht gut.

Weil, der Dieter Gorny möchte von ganzem Herzen, daß sich seine Zuschauer wohlfühlen. Nur böse Menschen können behaupten, der Mann sei ein Gschaftlhuber, Lobbyist und Großsprecher. Gorny hat eine Mission: „Pop-TV muß wie Coca-Cola oder McDonald’s an jeder Ecke verfügbar sein“, fordert er. Seine Zuschauer müssen sich „vorurteilsfrei in der kommerziellen Musikszene bewegen“. Wo aber werden bloß all die Pop-Fernseher an der Ecke aufgestellt? Wie mag eine solche vorurteilsfreie Bewegung aussehen? Darf man aufrecht gehen? Nackt im Wind?

Der MTV-Vorsteher Sumner Redstone fand zu unserer Überraschung, sein Sender sei ein „frecher Teil des Anti-Establishment“, und das ärgert Gorny, das sei eine „Stigmatiserung der Musik“, denn Gorny ist natürlich auch Musiker (Kontrabaß), und „überkommene Vorstellungen von Pop als Träger gesellschaftlicher Gegenentwürfe“ mag er nicht. Der Ökonom in ihm dröhnt: „VIVA kommuniziert Markenkraft“, der Philosoph räsoniert: „Fernsehen ist gelebte Zeit.“ Ernst Jünger ist zwar tot, aber das hätte ihm auch noch einfallen können. Was Gorny mal überlegen sollte: MTV-Sumner und er formulieren es unterschiedlich, meinen aber dasselbe. Sie wollen junge, kaufkräftige, naive, aber irgendwie mächtig rebellische, selbstbewußte und eigenwillige, konsumierende und kopulierende Zuschauer, die in ihrer Wohngemeinschaft Junk von Mc-Donald’s essen, Coca-Cola trinken und die Produkte der Plattenindustrie anhören & anschauen, und zwar mit dem Gefühl, ganz schön frech und bestimmt Anti-Establishment zu sein, vorurteilsfrei sowieso.

Und deshalb hampelten bei Gornys VIVA jahrelang die froschmäulige Heike Makatsch herum und das Multikulti-Alibi Mola Adebisi und plapperten sich durch sinnfreie Sendungen, die zu Unrecht als „Wortanteile“ am Programm gewertet wurden. Deshalb sitzt noch immer der grinsende Metzger Stefan Raab in seiner lustig bunten Kinderzimmer-Dekoration und quatscht mit Figuren, die nichts Ordentliches gelernt haben und darum ins Fernsehen müssen. Raab ist doppelt so alt wie seine Zuschauer, aber gemeinsam mit anderen Knalltüten wie Guildo Horn arbeitet er an der Infantilisierung und Gornysierung des Landes: Jetzt darf man auch mit 30 Schlager toll finden und sich bei einschlägigen Veranstaltungen mit Gorny freuen: „Pop taugt nicht mehr zum Elitären.“

Geht Dieter Gorny manchmal aus seinem VIVA-Sendezentrum heraus (und nicht zu einer Podiumsdiskussion)? Wann, um alles in der Welt, war Pop elitär? Wer hat das behauptet? Elvis – ein Intellektueller. Die Beatles – Revoluzzer. Die Rolling Stones – von Professoren geliebt. Jimi Hendrix – Liebling der Kammermusiker. Gorny nennt den Zeitpunkt der Dieterschen Wende zum Establishment: „Wann wurde John Lennon erschossen?“ Am 8. Dezember 1980.

Daß wir dieses Datum erinnern, ohne nachschlagen zu müssen, mag ein Beleg dafür sein, daß wir alten Säcke nicht das Gefühl haben, unsere Zeit sei abgelaufen, wenn Elvis Costello erzählt, wie er „Alison“ schrieb, nicht mal dann, wenn die Pfeife Phil Collins erscheint. Und deshalb braucht es auch das neue VIVA Zwei nicht, denn dort wird wieder „Wonderwall“ von Oasis zu hören sein, obwohl das gar nicht mehr aktuell ist, und „The Drugs Don’t Work“ von The Verve – wie bei VIVA, MTV, Onyx und VH-1, wie in jeder verdammten Imbißbude, jedem Jeans-Store und jedem Friseurladen an jeder Ecke dieser Welt. Die Welt, wie Dieter Gorny sie voraussah, ist schon da. Was Gorny fehlt, ist ein Gedächtnis. Vom eigenen Geschwätz berauscht, glaubt er auch den von ihm selbst erfundenen Unfug, mit dem er Marketing-Fuzzis beeindruckt („fraktale Medienführung“). Gornys Mode-Moderatorin Aleksandra Bechtel, nach ihrem Erfolg befragt, formuliert es so: „Heute hip, morgen abgeschossen.“

Ich will nicht wie er sein.

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