Folge 26

Ahnenforschung

Unser Kolumnist schaut auf seinen Stammbaum und muss erkennen: Manche Verästelung führt in den dunklen deutschen Wald und die baldige Umnachtung

Seit einiger Zeit interessiere ich mich für Ahnenforschung. Wo kommen ich und meine Familie her? Wer sind meine Ahnen? Was haben die gemacht?

Die Spur meiner Vorfahren verliert sich auf beiden Seiten der Familie in relativ kurzer Vergangenheit. Wir können circa 150 Jahre zurückschauen, davor liegen Nebel und Legenden. Angeblich sollen meine bayrischen Vorfahren aus dem rumänischen Raum als fahrendes Volk eingewandert sein. Und meine angeliter Leute  waren einfach immer schon Bauern.

Im Internet habe ich dann verschiedene Anzeigen von Ahnenforschungsplattformen entdeckt, Ancestry und MyHeritage zum Beispiel, die haben zum Teil Milliarden von Dokumenten, Stammbäumen und Hinweisen und werben damit, dass man auf einmal seine Familiengeschichte bis ins Mittelalter und weiter zurückverfolgen kann und dadurch in der Lage wäre, zu begreifen, wer man selber ist, und warum man so ist, wie man ist.

Außerdem besteht die Möglichkeit, neue Verwandte zu entdecken. Vielleicht gehören dazu Menschen, die ganz in deiner Nähe wohnen, denen du schon tausend Mal begegnet bist. Du weißt es nur noch nicht. Oder Du bist mit tollen, klugen oder berühmten Menschen verwandt und kannst Kontakt zu ihnen aufnehmen. Das wäre prima für mich, so könnte ich den engen und genetisch beschränkten Rahmen meiner jetzigen Familie, all die Kleinheit, Dummheit und Hässlichkeit verlassen und endlich in die gesellschaftlich höhere Klassen aufschließen, von denen ich schon seit meiner Jugend vermute, das ich ihnen eigentlich angehöre.

Ich wähne mich nämlich in Arzt- oder Juwelierskreisen, auch eine Politiker- oder Bankiersfamilie könnte ich mir als passend vorstellen. Am genehmsten wäre mir selbstverständlich ein altes vornehmes Adelsgeschlecht. (Ich grüße übrigens auch beim Autofahren als Fahrer eines alten Volvo nur die mir überlegenen Fahrzeuge, also die Porsche Cayennes und Mercedes AMG´s – als Zeichen das wir eigentlich zusammengehören.)

Vielleicht habe ich auch Verwandtschaft in schönen Ländern und Gegenden, die ich von nun an besuchen könnte und die sich freuen mich, den verlorenen Sohn, endlich in ihrer Mitte begrüßen zu dürfen. Darüber hinaus kann man durch eine DANN-Probe erfahren, wieviel Anteile von Weltherkunft man in sich trägt, und ob man genetisch bedenkliche Veranlagungen hat.

Ich habe dann für 65 Euro bei der weltgrößten Plattform einen Vertrag abgeschlossen und begonnen, sie mit Daten zu füttern. Du musst dem System Hinweise geben, wo du herkommst, wer deine Eltern und Großeltern sind. Je mehr du preisgibst, desto mehr kannst du erfahren. Außerdem schickt man eine Speichelprobe in ein Labor.

Nach einiger Zeit trudeln dann die Hinweise ein. Ich muss sagen, dieser Prozess war echt spannend. Nach etwa zwei Wochen verdichteten sich die Informationen bei mir langsam: Es gibt im Stammbaum meiner Familie zwei Begegnungen zu anderen Familienlinien, mit denen ich seit Jahrhunderten verwandt bin. Das sind sozusagen meine „verlorenen Verwandten“.

Auf der mütterlichen Linie bin ich eng mit einer Familie Lindner aus Westfalen verwandt, eine Sippe von sehr erfolgreichen Geschäftsleuten. Die andere Spur führt in meinem Fall nach Braunau in Österreich. Die Ergebnisse sind aber noch nicht ganz klar. Kurz darauf trudelten dann auch die DANN-Ergebnisse ein. Die waren überraschend: Eigentlich müsste ich schon längst an Parkinson erkrankt sein. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis dieses Kapitel in meinem Leben startet. Darüber hinaus kommt ab 60 bei mir eine schwierige Kreuzmutante von galoppierendem Alzheimer hinzu.

Ich bin im Großen und Ganzen aber sehr zufrieden mit meinen Ergebnissen, da ich folgendes über mich gelernt habe: Ich bin meiner genetischen Natur nach eine Mischung aus Christian Lindner und Adolf Hitler, sitze in spätestens einem Jahr im Rollstuhl und habe eine Lebenserwartung von noch etwa 2 Jahren.

Die Investition hat sich wirklich gelohnt.

 

Rocko Schamoni: „Christian Lindner in seinem Hochzeitskleid“

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Autorenbild von Kerstin Behrendt

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