Als Teenie-Stars wurden DIE ÄRZTE lange unterschätzt.

Doch die Berliner nehmen den Punk ernst, und ihre radikalen Satiren treffen direkt ins miefige deutsche Herz.

Der destruktive Charakter, schrieb der Philosoph Walter Benjamin einst in seinen Denkbildern, ist jung und heiter. Denn Zerstören verjüngt, weil es die Sputen unseres eigenen Alters aus dem Weg räumt, und es heitert auf, weil sich die Welt ungeheuer vereinfacht, wenn sie auf ihre Zerstörungs würdigkeit geprüft wird. Jung und heiter geben sich auch Die Ärzte, seit sie sich vor nun auch schon sechzehn Jahren gegründet haben. Ihr anarchischer Klamauk ist vielen aber noch immer politisch zu unkorrekt, zu albern, nicht depressiv genug. Es sind keinesfalls nur alte Säcke, denen die Ärzte auf die Eier gehen, da sie sich verständlicherweise nicht mehr für Pubertierende interessieren, deren Probleme die Ärzten stets rotzfrech und doppeldeutig aufgreifen und in nicht immer zarte Melodien verpacken. Punkveteranen, die die Neue Deutsche Welle in der Aura ihrer Aktivität miterlebt haben, wollen ihre Zeit nicht mit Nachzüglern verplempern. Und wer mit Techno oder den Tindersticks aufgewachsen ist, hält sie eher für ein halbwegs lustiges, aber doch lausiges Teenager-Trio, das es beharrlich zu ignorieren gilt. Und von Kritikern werden sie weiterhin so gering geschätzt wie die Sex Pistols zu Beginn ihrer Karriere. Mit Ernst Jandl gesagt: Werch ein Illtum!

Mir war es nicht anders gegangen als diesen Rock-Opas, Punk-Veteranen und Tindersticks-Fans. Bis ich, eher zufällig, vor ein paar Jahren ihren „Schrei nach Liebe“ vernahm. Das Lied gab mir den Glauben an die „Rock-Musik mit deutschen Texten“ zurück. Denn in diesem auch musikalisch genialen New-Wave-Song, der gerade erst ausgerechnet in der ARD-Seifenoper „Marienhof“ wieder zu hören war, versuchen die Ärzte, die Gewalttätigkeiten von Neonazis und Skinheads sozialpsychologisch zu erklären, um am Ende alle Erklärungsmuster wieder zu verwerfen und mit Nazis und Skins Klartext zu reden: „Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe, deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit. Du hast nie gelernt, dich zu artikulieren, und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit – Arschloch!“ Die Ärzte zündeten nicht betroffen Kerzen gegen Ausländerfeindlichkeit an, sondern schlugen voller Spott die Brücke von den Neonazis zur schweigenden Mehrheit, die das Abfackeln von Asylantenheimen heimlich befürwortete: „Zwischen Störkraft und den Onkelz steht ’ne Kuschelrock-LP.“ Von solchen Textzeilen können die Deutsch-Rock-Quoten-Rudis nur träumen – den Ärzten fliegen sie im Schlaf zu.

Ihrer nonkonformistischen und radikalen Attitüde blieben sie auch auf ihrem zwei Jahre später erschienenen Album „Planet Punk“ treu. Mit ihrem „Schunder-Song“ ermutigten sie all jene, die bislang immer nur das Ziel von Aggressionen waren, endlich zurückzuschlagen: „Gewalt erzeugt Gegengewalt, hat man dir das nicht erzählt? Oder hast du da auch – wie so oft – im Unterricht gefehlt? Jetzt liegst du vor mir, und wir sind ganz allein, und ich schlage weiter auf dich ein. Das tut gut, das mußte einfach mal sein, immer mitten in die Fresse rein.“ Musikalisch und festlich war das Punk-Rock in Reinkultur. Ein Klassiker mithin.

Nach all den Jahren und leidigen Erfahrungen mit Major Companys haben die Ärzte nun – wie zuvor die Kelly Family, die Toten Hosen und die Fantastischen Vier – ihr eigenes Plattenlabel gegründet: Hot Action Records. „Der Freiraum, den wir nun haben, ist beneidenswert und unabhängig von Verkaufszahlen.“ Die Musikindustrie sei selbst schuld, daß ihr die Bands wegliefen: „Da sitzen die schlimmsten Musikzerstörer und Buchhalter. Wir haben kein Mitleid mit denen. Das Geld verdienen wir lieber selbst.“

Dementsprechend klingen auch die Songs ihres mittlerweile dreizehnten und bislang besten Albums „13“: Höre, staune, gute Laune. Gitarrist Farin Urlaub, der blonde Freizeit-Punk mit dem Zahnpasta-Lächeln, bricht eine Bresche für seine homosexuellen Freunde. Schlagzeuger Bela B. Felsenheimer, an den Armen überall tätowiert und auch sonst der genaue Gegensatz zum positiv denkenden Farin Urlaub, singt sich selbst ein Country-Ständchen: „Für ein bißchen Bumbum kommt ’ne Menge bei rum.“ Und Rod Gonzalez, seit ihrem Comeback der dritte im Bunde, steuert ein „1/2 Liebeslied“ bei.

Stilistisch nach fast allen Seiten offen und ideologisch nicht festlegbar, überlassen die Ärzte das Endzeit-Gegrunze großzügig den Grönemeyers in den schicken Armani-Anzügen. Die Comedian Harmonists haben sie ebenso mit der Muttermilch eingesogen wie die Schminktopf-Rocker Kiss und die Camp-Punks The Damned, parodieren Rammstein genauso treffend wie die Toten Hosen mit „Saufen“, einem Anti-Alkohol-Stück im Gewand eines Trinkliedes. Und mit der Single „Ein Schwein namens Männer“ schmeißen sie sich sogar an die Brust der Feministinnen, die allerdings noch nicht recht wissen, ob sie sich darüber freuen sollen oder es sich hier um eine feindliche Übernahme ihrer Parolen handelt Zumal sich die Ärzte in dem dazugehörigen Video-Clip vom Cyberspace-Star Lara Croft, einer virtuellen „Kreuzung aus Cowgirl, Pin-up und Emanze“, so Spiegel Special, „lebensecht“ vermöbeln lassen. Immerhin haben die Ärzte bei den Verhandlungen um die Nutzungsrechte an der Pixelfigur sogar die Spiee Girls ausgestochen.

Ihren ersten Nummer-eins-Hit verbuchten die Ärzte 1989, nachdem sich die Band auf dem vermeintlichen Höhepunkt ihrer Karriere einfach aufgelöst hatte – mit einem Dreifachalbum, obwohl Triple-CDs als unverkäuflich gelten. Als sie anläßlich ihrer Wiedervereinigung 1993 in Branchendiensten eine Anzeige schalteten: „Beste Band der Welt sucht Plattenfirma“ – gab es keine, die sie nicht unter Vertrag nehmen wollte. Schließlich hatten die Ärzte nach ihrer Trennungjedes Jahr mehr als 60 000 Platten verkauft und waren von den „Bravo“-Lesern 1989 gar posthum zu der „Band des Jahres“ gewählt worden. Das hatte es in Deutschland noch nie gegeben.

Während man in den Rundfunkanstalten noch immer rätselt, in welcher Schublade die Ärzte überhaupt einzusortieren sind, Neue Deutsche Welle, Fun-Punk, Power-Pop oder Schlager?, sind aus den Teenie-Band-Parodisten von einst längst selbst Teenie-Stars geworden. Ihre Mischung aus Dadaismus und Motown-Rhythmen, kompromißlosem Antifaschismus und DooWoop-Gesang sprengt jedes Format, gewährt ihnen aber auch eine kreative Narrenfreiheit, die sie ausgiebig nutzen: Die sogenannten Fun-Punks mit der großen Berliner Schnauze halten den Rekord an Indizierungen durch die „Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften“. Gleich sieben Songs, Platten und Plakate der Ärzte kamen bislang auf den Index und dürfen nur unter dem Ladentisch verkauft werden. Ihre Lieder über „Geschwisterliebe“, Sex mit Schäferhunden oder Gewalt in der Ehe („Helmut Kohl schlägt seine Frau“) würden „selbstzweckhaft Gewalt bzw. krankhaftes Sexualverhalten“ darstellen, befanden die Hüter von Sitte und Anstand. Erklärtes Ziel ihrer Texte sei, „durch möglichst abweichendes bzw. brutales Verhalten Aufmerksamkeit zu erregen und Beachtung zu finden“. Ihre von Indizierung zu Indizierung sprunghaft gestiegene Fan-Schar konnte darüber nur schmunzeln: „Spaß is a four-letter-word.“ Das wird ihnen heute aber nicht mehr passieren. Seit ihrer Rückkehr achten sie darauf, daß ihre Platten nicht wieder zur „Bückware“ werden, verunziert mit dem Sticker: „Dieses Produkt darf aus Jugendschutzgründen nicht an Personen unter 18 Jahren abgegeben und nicht öffentlich beworben werden.“

Wie keine andere deutsche Gruppe (die loten Hosen mal ausgenommen, mit denen sie mehr verbindet, als beiden Bands lieb ist) halten sie weiterhin die Punk-Fahne hoch: immer auf der Seite der Frauen, der Schwarzen und der sexuell Unterdrückten. Dabei trennen sie Welten von den traurigen Gestalten, die manchmal immer noch in den Fußgängerzonen rumlungern und Passanten um „ein bißchen Kleingeld“ anschnorren. Oberarzt Farin Urlaub beispielsweise, Ex-Freund von Jenny Elvers, lebt schon seit Jahren in einem Haus auf dem Lande, raucht und trinkt nicht und besitzt noch nicht mal einen Fernseher.

Auf ihren Platten und vor allem bei ihren Konzerten feiert der Punk jedoch fröhliche Urständ‘: Die Ärzte gehen derart roh und voller Energie zu Werke, daß die so beschallten. Wände nicht nur wackeln, sondern jeden Moment einzustürzen drohen. Im Vergleich mit ihnen hören sich Green Day wie eine Light-Version der Ramones an.

„Ganz bequem“ lungern sie daher „außerhalb von allem“ rum und machen halt „ihren Scheiß“, der immer mal wieder vom Zeitgeist eingemeindet wird. Ohne die Ärzte, die den sogenannten Trash schon Vorjahren kultiviert und für die Kids aufbereitet haben, hätte es wohl „der Meister“ Guildo Hörn nie bis nach Birmingham geschafft Und ihr abgrundtiefer Humor gefallt Harald Schmidt so sehr, daß er mit ihnen für seine Late-Night-Show die TVWestern-Serie „Bonanza“ neuverfilmen will. So befruchtet sich Kult gegenseitig.

Andere Fernsehsendungen meiden sie allerdings aus gutem Grund: „Da wären wir doch nur die Paradiesvögel, zuständig für die Pinkelpause.“ Statt dessen malträtieren sie lieber ihr Publikum, das sich schätzungsweise zu etwa zwei Drittel aus den Freundinnen der Tbten-Hosen-Anhänger rekrutiert, so lange mit ihren satanischen Akkorden, bis aus kleinen Mädchen Fans des FC Trappatoni geworden sind, die auf dem Höhepunkt der ärztlichen Live-Visite verzückt ihre Büstenhalter auf die Bühne werfen.

Ein Fall für den Jugendschutz: Mütter, sperrt Eure Kinder ein, die Ärzte sind wieder in der Stadt!

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