Alter Kumpel Selbsthass

Zwei jahre hat ow en Pallett zu Hause in Montreal gesessen und gearbeitet -an Arrangements für das letzte Arcade-Fire-Album, einem Violinkonzert, einer Ballettmusik und dem Filmscore für Spike Lees „Her“. Niemand würde daran zweifeln, dass der 35-Jährige von Beruf Musiker ist. Außer er selbst. „Ich habe immer noch ein Problem damit, mir einzugestehen, dass ich komponiere, um damit Geld zu verdienen“, sagt er. „Ich fühle mich nicht wohl damit, meine Musik zu kommerzialisieren. Meinen Freunden, die in der Bücherei oder als Barkeeper arbeiten, um über die Runden zu kommen, sage ich immer: Besser wird’s nicht mehr, sobald ihr Rechnungen bezahlen müsst mit eurer Musik, wird’s problematisch.“

Problematisch wurde es auch für uns, die wir nach „Heartland“ von 2010 auf ein neues Pop-Album von Pallett warteten. Bei all den Engagements blieb dafür einfach keine Zeit. „Ich kann nur schwer Nein sagen, wenn mich jemand bittet, was für ihn zu schreiben“, sagt er. „Aber irgendwann dachte ich: Okay, nun ist es Zeit, das Telefon auszustöpseln und an meinem Zeug zu arbeiten.“ So entstand endlich „In Conflict“, sein bisher zugänglichstes Werk – nicht nur weil er darauf verzichtet hat, seine Stücke einem irren Konzept unterzuordnen wie damals „Heartland“ , das sich um Fragen der Autorschaft rankte und in einem fiktiven Königreich namens Spectrum spielte, oder beim noch unter dem Pseudonym Final Fantasy erschienenen „He Poos Clouds“ von 2006, das sich am Rollenspiel „Dungeons And Dragons“ abarbeitete. Auch musikalisch ist nun vieles süffiger geworden, weil Pallett weiter vom Kammermusikalischen abgerückt ist, Popharmonien und -rhythmen zugelassen hat. Außerdem dürfte ein prominenter Gast für Stimmung und Appeal von „In Conflict“ nicht ganz unwesentlich gewesen sein: Brian Eno. Der Brite war durch „Heartland“ auf Pallett aufmerksam geworden und hatte ihn zu einem von ihm kuratierten Festival im norwegischen Kristiansand eingeladen, „Irgendwann fragte ich ihn, ob er nicht backing vocals zu meiner nächsten Platte beisteuern möchte“. erzählt Pallett. Aber dabei blieb es dann nicht. „Ich habe ihm meine Tracks geschickt, er hat sie bearbeitet und als sie zurückkamen, waren sie nicht mehr dieselben. Ich habe dann nur etwa die Hälfte seiner Beiträge übernommen. Es war ungefähr so, als wenn man jemanden bittet, ein Bild aufzuhängen und der streicht dann den ganzen Raum neu an. Er hat keine großen Veränderungen vorgenommen -eine Gitarre oder einen kaum hörbaren Synthesizer hier, ein bisschen Gesang dort -, aber die Wirkung war immens.“

Die ersten vier Eno-Soloalbum seien für ihn als aufstrebender Musiker befreiend gewesen, sagt Pallett. „Er war furchtlos, was seine Texte und seine Stimme anging. Ich mag meinen Gesang auf Platte nicht, und ich mag auch Enos Gesang nicht – aber gleichzeitig liebe ich ihn. Er ist kein guter Sänger, aber er ist der beste Sänger für seine Songs.“ Die Scheu vor der eigenen Stimme ist mittelbar auch eines der Themen von „In Conflict“, denn die neuen Songs handeln von Störungen und Verzerrungen in der Selbstwahrnehmung. „Ich habe anfangs versucht, autobiografisch zu schreiben, aber wenn ich die Texte später noch mal gelesen habe, hatte ich das Gefühl, sie handelten von jemand anderem“, erklärt Pallett. „Ich trinke jeden Morgen galonenweise Kaffee und jeden Abend galonenweise Wein, mein Bewusstsein geht also kontinuierlich durch verschiedene Zustände. Wenn ich ein Video von mir von vor einer Woche sehe, erkenne ich mich nicht wieder, und wenn ich irgendwas lese, was ich vor Kurzem gesagt habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass das von mir ist. Ich weiß, ich klinge wie ein Teenager „

Er habe gelesen, dass solche bipolaren Störungen bei K reativen durchaus üblich sind. „In meinen produktiven Phasen bin ich selbstzerstörerisch und neige zu Selbsthass. Mein neues Album ist quasi ein Liebesbrief an diesen Zustand, der schmerzhaft sein kann, aber auch sehr schön -ich muss lernen, das zu akzeptieren.“ Trotzdem gut, dass er mal eine Pause eingelegt und die Stube verlassen hat. Seit sieben Monaten war er nicht zu Hause. Er ist in der Zeit ein anderer Mensch geworden.

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