Apokalypse contra Armani

Der Electric Ballroom in Londons funky-but-chic-Distrikt Camden ist schweißtreibend volL Ein Drittel Kids in Oasis-Gear, ein Drittel Twens in Anoraks, der Rest ältere Szene-Typen, frustrierte Rock’n’Roller zumeist, die sich noch schmunzelnd daran erinnern, wie düpiert sie damals waren, als The Jesus And Mary Chain vor fast 15 Jahren an derselben Stelle nach einer Feedback-Orgie von 20 Minuten unzeremoniell von der Bühne stolperten, ohne das Publikum je eines Wortes oder auch nur Blickes gewürdigt zu haben.

Heute brummein die Gebrüder Reid ein paar Ansagen und spielen eine Stunde netto. Der Lärmpegel ist freilich immer noch zwerchfellerschütternd und Dynamik wird für die Schotten wohl auf ewig ein Buch mit sieben Siegeln bleiben. Dafür haben sie die Bühne mit bunt blinkenden Lichtgirlanden behängt Das Schlagzeug sieht aus wie ein Weiluiachtsbaum und knallt wie die Apokalypse. Mitten im Set wird Reid-Schwester Linda zum Mikro geleitet, in das sie flach und tonlos „Mo Tucker singt, eine Ode an die Velvets-Trommlerin. Ein paar Songs müssen abgebrochen werden, einer fällt auf halbem Wege auseinander. Doch wenn die Band so richtig im Einklang sägt, fliegen die Späne. Das Publikum staunt und genießt.

„Es war nicht außerordentlich“, nickt Jim Reid anderntags zufrieden in einem Pub, nur einen Steinwurf entfernt vom Office ihres alten und neuen Labels Creation, „aber es war ein guter Gig.“ Jims Frühstück besteht aus Bier und klobigen, vom vielen Fett aufgeweichten French Fries (Pommes, wie der Kontinentaleuropäer sagt), die er mit beiden Händen in sich hineinstopft Meine hochgezogenen Augenbrauen quittiert er mit wieherndem Lachen. Da habe er schon ganz andere Substanzen schlucken müssen, grient er, hier wisse man doch wenigstens, woraus das Zeugs besteht Jim Reid ist ausnehmend gut gelaunt und hat allen Grund dafür. Das JAMC-Album „Munki“ gehört zum besten, was die musikalischen Kompromissen abgeneigten schottischen Radaubrüder seit etlichen Jahren zustandegebracht haben.

Alan McGee verstehe die Band halt, sagt Reid über ihren ehemaligen Manager und Creation-Supremo. Die Zeit dazwischen unter dem Logo der Warner Brothers verbuche man als Lehrjahre, „Vor allem haben wir gelernt, diese lächerlichen Figuren zu hassen, von denen wir uns abhängig gemacht haben“, erinnert er sich angewidert „Die sitzen in ihren Armani-Anzügen herum und erzählen dir bei sogenannten Briefings, was du besser ändern solltest, damit das Produkt in diesem oder jenem Land Anklang findet Ich kann bei der Schleimerei weghören, aber W31liam hat den Bastarden die Meinung gegeigt.“ Warner, wen wundert’s, ließ The Jesus & Mary Chain fallen wie eine heiße Kartoffel.

Zum Interview ist William Reid gar nicht erst erschienen. Er sei derzeit ohnehin kaum ansprechbar, entschuldigt ihn der jüngere Bruder, diese unglückselige, unbeständige Liebesbeziehung zu der Mazzy Star-Chanteuse Hope Sandoval würde ihn noch um den Verstand bringen. Neulich, in New York, rastete William vollends aus und überzog bei einer Pressekonferenz die anwesenden Journalisten mit Obszönitäten. „Das war sogar mir ziemlich peinlich“, gesteht Jim Reid, „obwohl ich für Leute, die am Tropf der Plattenfirmen hängen und ihre Platten nicht selbst kaufen, auch null Respekt habe.“ Verständlich. Ebenso wie die militante Botschaft ihrer beiden Singles „I Hate Rock’n’Roll“ und „I Love Rock’n’Roll“. „Die erste bezieht sich aufs Geschäft, die zweite auf Musik, so einfach“, weiß Reid, „und es kommt darauf an, das nie zu vergessen.“

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