Arne Willander – Wer, wenn nicht sie?

Denker, Seher, Deuter und Interpreten allerorten: die Fernseh-Köpfe des Katastrophen-Jahres 2011

Hätte er denn nur selbst immerzu in allen Talkshows gesessen, in denen über ihn geredet wurde: Baron Karl-Theodor zu Guttenberg wäre der Spitzenplatz auch in dieser Rangliste sicher gewesen! Doch bei „Beckmann“ saß bloß der alte Enoch zu Guttenberg, dessen betuliches Gehabe den Sohn erahnen ließ: dieselbe als Bescheidenheit getarnte Bramsigkeit, dieselbe pomadige Pseudo-Bedächtigkeit, dieselbe Medien- und Politikerschelte, der Gestus des elitären Waidmannes, das Flair von Auserwähltheit und splendider Isolation. Ute Ohoven hätte gut dazu gepasst, die laute Spendentante, die bei „Maischberger“ in ihrer Handtasche kramte, als ihr Telefon klingelte. Ungeniert las sie dann die SMS – wahrscheinlich hatte die Kanzlerin eine Nachricht geschickt oder Bono.

Thomas Gottschalk ist natürlich die Medienfigur des Jahres – er zelebrierte den längsten Abschied der Fernsehgeschichte, ein komplettes Jahr, und versicherte sich seiner absoluten Unersetzbarkeit; dazu inszenierte er sich als laizistischer Katholik und Vertreter der Religion-to-go-Mentalität, für dessen Zweifel an der Amtskirche es bereits seit bald 500 Jahren eine Lösung gibt: den Protestantismus.

Wieder auf der Liste steht Papst Benedikt XVI.: Mit einer salbungsvollen Rätselrede nach der anderen forderte er diejenigen, die es verstehen wollten, zum Sprung in die Mystik auf, zum Verzicht auf Besitzstand und Privilegien; missverständlich waren auch seine Einlassungen zum Naturrecht: ein Konglomerat aus absichtlich nebulös und ungeschickt verbrämt Formuliertem von einem spintisierenden, weltabgewandten Theologie-Sophisten, dessen Dünkel mit der üblichen Verzückung und Naivität der deutschen Gemeinde beantwortet wurde. Mit Helmut Kohl traf der Pontifex einen anderen deutschen Mystiker, der sein Gesetz über das allgemein gültige stellte.

Bei den Journalisten behauptet sich der tutige Provokateur Henryk M. Broder knapp gegen den thesenstarken Positivisten Hans-Ulrich Jörges und den sehr aufgeregten Reporter Matthias Matussek; der oft entrückt wirkende konservative Publizist Arnulf Baring schoss regelmäßig aus seiner Euro-Kanone. Bei den Politikern siegte Gregor Gysi wie üblich mit unterhaltsamem Polemik-Gemenge gegen den prinzipientreuen CDU-Ausputzer Wolfgang Bosbach und die hartleibige Ministerin Ursula von der Leyen, dicht gefolgt von den Knalltüten der Piratenpartei, den sinnlichen Lippen des CDU-Fraktionsvorsitzenden Peter Altmaier und dem schmallippigen Geraune des FDP-Mannes Daniel Bahr.

Der Preis für das Lebenswerk (und für seine bloße Anwesenheit) gebührt auch in diesem Jahr Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der in Peer Steinbrück einen neuen „Schmidt Schnauze“ erkannte und den forschen Schwadroneur gleich bei „Günther Jauch“ und im „Spiegel“ inthronisierte.

Im Bereich des Boulevard obsiegt Gaby Küster souverän – jahrelang verhinderte sie Berichterstattung über ihren Schlaganfall, um dann in einer konzertierten Aktion per Buch, „Bild“, „stern-tv“ und „Markus Lanz“ ihr Schicksal auszubreiten. Ihr Erfahrungsbericht „Ein Schnupfen hätte auch gereicht“ überflügelte medial sogar die ausgesuchten Auftritte der Narzisstin Charlotte Roche, die sich für ihre „Schoßgebete“ diesmal auch als Literatin feiern ließ: Wer schon zwei Bücher geschrieben hat, der verdient es, als Schriftstellerin wahrgenommen zu werden.

Der Koch Alfons Schuhbeck hat mehr Bücher über Gewürze geschrieben als Edgar Wallace über Verbrechen – immer wieder sitzt er in Talkshows und salbadert über die Wunderwirkung des Korianders; dasselbe veranstaltet er wöchentlich bei „Lanz kocht“, verzweifelt belächelt von den hilflosen Beiköchen, die schon die Augen verdrehen, wenn Schuhbeck davon berichtet, wie er erst kürzlich sechs Stunden mit einem Yogi auf dem Markt von Marrakesch über die Abführwirkung des Kreuzkümmels gefachsimpelt hat – wahrscheinlich in seinem bayerischen Idiom. Bei den kochenden Nervensägen folgen ihm die näselnde Kaltmamsell Claudia Poletto, der sabbelnde Zwirbelbart Horst Lichter und sein dumpfdreister Spießgesell Johann Lafer. Sie alle wünscht man in den Topf.

Es wurde nicht genau deutlich, warum eigentlich – aber Deutschlands intelligenteste Frau, Dr. Gertrud Höhler, überholte sogar die notorische Plaudertasche Alice Schwarzer an Präsenz. Höhler bereicherte die Lanz-Sendung sauertöpfisch um das nicht eingeforderte Geständnis, dass sie einst unverheiratet Mutter eines Kindes wurde – und dennoch studierte und zu Deutschlands intelligentester Frau wurde! Von diesem Schlag werden sich die Feministinnen lange nicht erholen! Es war ein bisschen, als hätte Gertrud Höhler zugegeben, ihr Kind in einem Weidenkörbchen auf dem Nil ausgesetzt zu haben oder Mutter eines Klons aus dem Weltall zu sein. Die Höhler hat ein neues Buch mit Warnungen an die Politik geschrieben, sie wirft Angela Merkel vor, den Vertrag mit der Atomindustrie gebrochen zu haben, jenen Kontrakt, der für die Betreiber die Lizenz zum Geldscheffeln bedeutete. Von diesem Geld wurden auch Vorträge bezahlt, wie Dr. Gertrud Höhler sie gern hält.

Der auf allen Kanälen herrschende Universalgelehrte aber war Richard David Precht. Dieser neben Frank Schätzing schönste Philosoph des Landes wusste alles, er erklärte die Vergangenheit, deutete die Zukunft und machte sogar aus der kratzigen Wirklichkeit etwas Geschmeidiges, Hippie-Eltern-Mäßiges – Wohlfühlosophie.

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