Draußen Kännchen

Weshalb „Gottschalk Live“ auch am verqueren Selbstverständnis des Moderators scheiterte

Am Ende seiner vier Monate währenden Demontage wäre es es nicht überraschend gewesen, wenn Thomas Gottschalk auf dem Berliner Gendarmenmarkt Gummibärchen verteilt hätte. Mit dem Projekt „66 Wünsche“, der Ultima ratio für den letzten Monat von „Gottschalk Live“, war der Einschaltquotenrekord nach unten durchbrochen worden; sogar eine Wiederholung der „Schmunzelkrimi“-Reihe „Hubert und Staller“ zog vor Beginn der blondgelockten Trauerspiele mehr Zuschauer an.

Anstelle von 66 Wünschen hatte das Publikum nur noch einen: dass die Quatschbude des Mannes endlich geschlossen werden möge. Einen Tag zuvor hatte die Redaktion einen wirren Zusammenschnitt aus vergangenen Sendungen gezeigt; 115 Gäste waren ins Studio gekommen, darunter Anna Netrebko, Katarina Witt, Franz Beckenbauer, Katherine Heigl, Karl Lagerfeld, Heino, Kim Wilde, Rudi Völler, Duran Duran. Tom Buhrow klampfte und sang einmal sehr scheußlich „Don’t Get Me Wrong“, dann kam wieder dieser altkluge Bengel, der bei „Wetten, dass ..?“ die Titel der nicht erheblich verschiedenen Stücke von AC/DC erraten hatte und für sein sinnloses Gelärme auf der elektrischen Gitarre bejubelt wurde, als wäre ein neuer Mozart entdeckt worden. Gottschalk hatte alle durch, die in Berlin etwas zu tun hatten, und das letzte Aufgebot waren dann Kollegen und ehemalige Gäste, die man nur aus dem Fernsehen kennt.

Stimmt gar nicht: Das letzte Aufgebot waren cheerleadernde Hausfrauen, die 6.600 Euro für die Reise zur Cheerleader-Europameisterschaft nach Italien brauchten, und die Mutter eines behinderten Kindes, die einen Assistenzhund anschaffen wollte, und andere Bedürftige, die üblicherweise im Offenen Kanal auftreten oder bei lokalen Radiosendern. Womit Thomas Gottschalk endlich wieder in seinem Element war, denn die Hörfunksendungen bei Bayern 3 waren damals eine Wucht: Die inhaltslose, syntaktisch und logisch bizarre Laberei hörte man im Auto oder in der Küche, sie verbreitete gute Laune, denn der Thomas war immer fröhlich. Anders als sein zynischer, böser Antipode Harald Schmidt liebte er die Menschen von morgens bis abends und wusste, dass er deshalb auch geliebt wurde.

Der belehrende, soignierte Onkel hatte im Fernsehen der späten 70er-Jahre ausgedient: Peter Frankenfeld, Wim Thoelke, Robert Lembke und Hans Joachim Kulenkampff drehten ihre letzten Runden, es war nicht mehr in Mode, mokant die Garderobe von Frauen zu kommentieren, Zoten zu reißen, den Bildungsbürger zu geben und betulich Fragen zu stellen, deren Nichtbeantwortung fünf Mark einbrachte. Gottschalk war der neue Typus im Fernsehen, er hatte die Jugendsprache drauf, er ging in Turnschuhen und unmöglich angezogen, und er kannte die Popmusik der Zeit, weil er sie jeden Tag im Radio vorgestellt hatte. Mit Frank Elstner beerbte er 1987 einen Herrn der alten Garde, den sympathischsten und langweiligsten, ein Radio-Mann auch er. „Wetten, dass ..?“ funktionierte mit Gottschalk noch besser, denn Elstner moderierte wie ein intellektueller Versicherungsvertreter. Gottschalk drehte schnell ein paar peinliche Filme mit Mike Krüger und bewies, dass er jedes Niveau beherrscht; später erschütterte sein Auftritt (als er selbst) in Helmut Dietls Film „Late Night“: Gottschalk sagt seine Sätze auf wie auswendig gelernt und starrt tatsächlich in die Kamera, statt sein Gegenüber anzuschauen – so etwas hatte man im Kino selten gesehen.

Nachdem Gottschalk „Wetten, dass ..?“ zeitweilig an den ranschmeißerischen Ost-Unterhalter Wolfgang Lippert übergeben hatte, scheiterte er mit dem Late-Night-Format, Begündung: Es gebe in Deutschland nicht diese Stars wie in Amerika. Aber auch in Amerika gibt es natürlich nur drei Dutzend Stars, alle anderen sind Prominente, und die reichen für alle Shows. Einige der Stars, die es in Deutschland nicht gibt, kamen sogar in Gottschalks Plausch-Sendung. Das wahre Problem war: Der Dampfplauderer beherrscht das Interview nicht, sondern nur den Firlefanz; und alles, was er erzählt, ist autobiografisch und anekdotisch.

Bei der „Haus-Party“ auf Sat.1 machte Gottschalk seine Wirrnis erstmals zum Konzept: Eine „Villa in Grünwald“ (das Fernsehstudio also) war Schauplatz seiner freudlosen Fete; wenn es an der Tür klingelte, eilte der langbeinige Gastgeber schnell herbei. Unvergessen, wie der fast zur Unkenntlichkeit veränderte Burt Reynolds (noch vor „Boogie Nights“!) braungebrannt und mit Toupet auf einem Barhocker saß und sich fragte, was diese verdammte Sendung eigentlich soll.

Auch bei „Wetten, dass ..?“ faszinierte das Unverständnis ausländischer Gäste, die fassungslos vor dieser Hervorbringung des deutschen Geistes saßen: All die Bierdeckel-, Traktor- und Lastwagenwetten von Stammtischmännern, all die hohle Faktenhuberei zu Fußball und Autos, Briefmarken und Heimwerkerei bedeutete natürlich wieder einmal, eine Sache um ihrer selbst wegen zu tun.

Zum Ende von „Gottschalk Live“ schrieb der vorerst Gescheiterte einen Brief an „Bild“, in dem er die ARD von Schuld freisprach: Er habe sich immer eher als Kellner verstanden denn als Koch; als solcher habe er die Angewohnheit, das Servierte schönzureden – auch wenn die Gäste es nicht bestellt haben.

Ein merkwürdiges Restaurant.

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