ARS VITALIS jonglieren perfekt mit Musikstilen aller Couleur. Tun sie ihren Sprach-Dadaismus hinzu, tost der Spielwitz-Orkan

Köln, Comedia-Theater. Die Vorankündigung verheißt Höhepunkte aus dem Tourprogramm „Muzik makt nikt schmutzig“. Was die Bühne betrifft, könnte man allerdings an eine Strindberg-Inszenierung denken: leichenweiße Planen über dem Mobiliar für einen vermuteten Haufen Grufties.

Denkste: Unter dem Totentuch ruhen Schlagzeug und E-Gitarren, und die Grufties verströmen den knarzigen Charme von Altrockern, obwohl sie hochpomadisiert und in steifleinenen Fracks daherspazieren: Reinhard Sacher – glupschäugig und nackenstarr wie Freddie Frinton. Peter Wilmanns, hochgewachsen zwar, doch kurzsichtige Verdutzung im Antlitz, und Klaus Huber, der die Leichtfiißigkeit der Primaballerina perfekt auf seine kernige Zweizentnerfigur verteilt – der Mann fürs Schlagzeug – alles andere als nur der Mann fürs Grobe.

Ars Vitalis sind Komik und Klangartistik pur – Zwei-Stunden-Vollprogramm aus dem Universum der Töne.

Dadaistisch, fetzig, verspielt – die drei lassen’s lachen bis in die hinterste Tonleiterreihe des Publikums und behalten die Oberstimmen lässig im Griff. Erwartetes wird überboten, oder es werden der Erwartung so die Bebe weggezogen, daß man sich kugelt vor Lachen.

Das Konzept heißt „Muzik als Theater“, und es beginnt schon mit dem Einzug des Trios – als quäkende Schnabelwesen – die verdeckten Instrumente besetzend. Dann werden die Drums, noch unter der Plane, wachgerüttelt. Sacher greift in der Stoflhülle so zu seiner Gitarre, daß dies klingt wie eine streßgepeinigte Schweineherde – und Wilmanns läuft vom Bühnenrand kontrapunktisch in diesen orgiastischen Sound: das Saxophon in dem weißen Leinensack quasi als Kotztüte vor dem Mund, in die er hineinreihert – mit ca. 120 Dezibel. Die Soundmaschine läuft. Unterbrochen von Sprachartistik à la Hugo Ball oder Hans Arp. Die Töne jagen wie kleine Tiere über die Bühne, und das Trio jongliert mit seiner perfekten Artistik. Wenn sich z. B. ein Jazzrock-Szenario ein paar Takte lang in die Tonfülle von Symphonikern powert, um dann zurückzufallen in jazzigen Groove – wie sollte es überhaupt möglich sein, dieses quirlige Trio stilistisch festzulegen?

„Ars Vitalis“ sind Bühnenband oder Bühnensemble -je nachdem, welche Stilrichtung man bevorzugt. Und sie sind längst kein Geheimtip mehr. Im Herbst ging’s auf Japan-Tournee, zum zweiten MaL Doch es gibt Aufnahmen ihrer Kunst. Der Geheimtip: „Meret Becker &Ars Vitalis 1993-’95“. Hier injizieren die Musiker ihre skurrile Melodik mit Beckers unverwechselbarer Stimme u. a. in Stücke von Waits, Satie, The Residents und Holländec Es sind Stilrichtungen, die einige Jahrhunderte umfassen – mit solcher Leichtigkeit gespielt, daß ein Finale nach zwei Stunden Vollgas ihr gutes Recht wäre. Die drei aber straffen ihre Anzüge, hängen sich Gitarren um – und dann wird gerockt, bis die Bude wackelt. Thomas Krüger

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