Auf Goody Two Shoes durch die Lande

Im Wasserglas von „Guide“-Chefredakteur L. B. (nämlicher gibt die Richtung des 14-täglich erscheinenden Berliner „umsonst und drinnen“-Veranstaltungs-Blättchens besagten Namens im Augenpulver-Format 9,4 x 21 cm vor) dürfte jetzt wieder Windstärke 20 auf der nach oben offenen Beaufottskala herrschen: Wagt es sein Freund Gülden, in L. B.s Augen ja eigentlich „ein gestandener alter Hase“, doch erneut, sich des Themas Stoppok anzunehmen. Denn hatte der „Führer“-Führer L. B. im vergangenen Juli anlässlich eines Berliner Stoppok-Gigs nicht eindringlich vom Konzertbesuch abgeraten, wozu er eigens seine Geschmacks-Richterskala in Granit meißelte – „schlecht“: Dieter Bohlen, „schlechter“: Wolfgang Petry oder Pur, „am schlechtesten“: Stefan Stoppok und hatte L. B. sich nicht anschließend mit dem Autor einen erbitterten Federkrieg geleistet: vergebene Liebesmüh, denn jetzt reist der „gestandene alte Hase“ doch tatsächlich mit dem „Schlechtesten“ nach Amsterdam und das eigentlich auch nur, um dort Schuhe zu kaufen! Ja ist die Pop-Welt denn nun völlig aus den Fugen geraten? Ist plötzlich die Parole ^je-ka-mi“ angesagt? Prolls auf Prunk? OK, wenn etwa Liberace seine 793 outfib im TV in drei verschiedenen Variationen präsentieren durfte – von schlank über vollschlank bis vollfett – dann war das für alle Welt eindeutig erkenntlich camp, und die silbernen Schweißerbrillen von Elvis, die Rüschenhemden eines Townshend und die spitzen Boots der Beatles, das war, wurde und blieb bis heute Kult (wobei hier den peinlich bemühten Revivals der 60er, 70er und 80er Jahre die kollektive Missachtung von Künstler und Autor zuteil wird).

Aber ein Kohlenpott-Troubadour auf eigenen Pfaden und Füßen im Style-Labyrinth, das kann doch nur in einer Sackgasse nach der anderen enden. Wobei Stoppok dem Kohlenpott (nach neuester Diktion politisch korrekt „Ruhrpott“ oder „Revier“) längst den Rücken gekehrt und sein Domizil am Ammersee aufgeschlagen hat. Und zum Thema Style hat einer, der sich schon seit einigen Jährchen live auf der Bühne oder auf seinen Platten-Covern dem Publikum stellen muss, entweder eine ganz dezidierte Meinung, oder er hat gar keine. Stoppok, unter seinen Standesgenossen gewiss nicht der, bei dem eine einsame blonde Strähne am Hinterkopf, eine Trapperhutplus-Schanzenspringer-Brüle-Kombination oder gar eine Lederkombi cum Handtäschchen zu befürchten wären, hat natürlich eine. „Ich habe mich von jeher jeder Uniformierung verweigert, egal, ob das nun die Hippies odei; noch früher; die Teds waren. Und was davor in puncto Uniformierung lief, davon wollen wir besser schweigen.

Angesichts dieser Kleidungs-Gleichförmigkeit rnusst du dich heute wirklich mit jedem, der sich dir in irgendeiner Form nähert, erst einmal intensiv unterhalten, um zu checken, ob hinter dieser Rote-Brigaden-Fassade wirklich ein Individuum steckt. Was auch für unsere alternative nodb-Corona gilt; vor zehn Jahren kam man kollektiv in karierten Hemden und Jeans daher, heute säbelt man sich die Hosen kurz unterm Knie ab, lässt die T-Shirts bis zum Gehtnichtmehr schlabbern, rasiert sich die Schläfen ratzekahl und lässt es in der Mitte bis zum Arsch wallen. Das finde ich nun nicht so unbedingt erstrebenswert, denn irgendwie sollte das Äußere auch in einem gewissen Einklang mit der Person stehen.“ Wie wahr, wie wahr, und darum sitzt Stoppok jetzt im renommierten Amsterdamer Schuhhaus Meyer – vorne hat’s die handgenähten italienischen und englischen Edeltreter – im hintersten Eckchen auf einer roten Plüschbank und studiert das Angebot Das mit der Tiefe das Raumes in bislang kaum geahnte Schuh-Schrill-krsionen zu wachsen scheint All diese Plateau-Monstrositäten, auf denen anno dunnemals Sweet, Mud, Abba und Roxy Music über die Bühne zu staksen pflegten, sind hier noch im Angebot, doch die Schuhmachergilde hat seitdem natürlich nicht gepennt, ergo die Schraube in puncto besohlter Skurrilitäten noch ein paar Umdrehungen weiter gedreht Schickte man Otto Normalverbraucher mit einem Paar solcher Treter vor die Tür, er müsste befürchten, nach drei Schritten von seinen Nachbarn geteert und gefedert zu werden.

Was Stoppok, inzwischen ja im tiefschwärzesten Landstrich unserer Republik ansässig (wer’s nicht weiß, der Ammersee wogt im tiefsten Bayern), nicht die Bohne kratzt, denn mit geschmackssicherer Hand trennt er die von den devoten ferkäufern herangeschleppte Schuhspreu vom Schuhweizen – und verrät so en passant: „Du, die kennen mich hier inzwischen gut. Ich

war schließlich schon x-mal hier, und ich glaube, ich bin bis heute mit rund 100 Paar hier rausgelatscht. Meyer ist einfach Kult“

Unserem zuvorkommenden Meyer-Personal ist das durchaus bewusst, für Mijnheer Stoppok überzieht man die Ladenschlusszeit liebend gern um ein halbes Stündchen, denn schließlich hat der Mann sich ja in gleich drei Stiefel-Highlights vernarrt: ein weißes Paar mit leuchtend roten Spitzen, ein lindgrünes Paar mit changierenden Lederflicken – „von diesem Modell hab ich noch zwei weitere Paare, allerdings in anderen Farben“ – und crown ofcreation – ein Paar bunte high heels, die allerdings komplett aus Gummi. „Sind sicher nix für den Bühneneinsatz“, gesteht Stoppok, „die müsste man wohl nach jedem zweiten Song entleeren.“

Stichwort „Bühneneinsatz“. Was ist von unserem brillanten „Schlechtesten“ diesbezüglich zu erwarten? „Auf Platte zunächst mal nichts, denn mit fleues aus La-La-Lana“ und ,Stoppok auf Bühne – La-La-Live ’99‘ habe ich mein Pensum fürs letzte Jahr wohl hinreichend erfüllt Jetzt geht’s im Februar erst mal wieder auf Tour (Daten siehe Tourneekalender), und dann macht man sich so langsam an das nächste Album ran. Das wird aber erst 2001 erscheinen, denn zwischenzeitlich möchte ich unbedingt mit Danny (Dziuk) und Reggie (Worthy) ein paar akustisehe Gigs absolvieren. Das kommt immer gut an und schafft einen stets neuen und ganz anderen Kontakt zum Publikum.“

Stoppok unplugged? „Nee, nee, bitte nicht! Akustisch ja, aber diesen Begriff „unplugged , den wollen wir doch besser vermeiden. Das ist eher was für die Abteilung Eagles oder Kiss. Und was das nächste Album anbelangt, da bin ich wie immer mein härtester Kritiker. Egal, wie das Lob fürs letzte ausfiel, ich will mich mal wieder ganz ins Zeug legen und noch eine rundere Scheibe als die letzte hinlegen. Ist ja wohl ein selbstverständliches Bedürfnis.-„

Für Sie ja, Herr Stoppok, und die neuen Gummilatschen dürften Ihren Song-Entwürfen garantiert Pegasus-Flügel verleihen. Aber eine brennende Frage quält einen neugierigen Reporter denn doch noch: Wie lebt es sich als fahrender Musikant, als Meister Kunterbunt par excellence, inmitten von sittenstrengen, glaubensfürchtigen Bajuwaren? Keine Angst, geteert und gefedert zu werden?

„Nee, ganz im Gegenteil: Ich fühle mich hier inzwischen sauwohl. Ich hab im Dorf sogar ein paar Kumpels, mit denen sich ganz verzüglich aufspielen lässt, und die ,Resi‘ (Stoppoks bayerischer Ulk-Bonus-Song auf dem letzten Album) ist hier ein lokaler Kult-Hit. Unlängst hab ich mir sogar eine Zither zugelegt, ein verdammt kompliziertes Instrument Doch wenn du das mal beherrschst, dann bist du hier der King. Ich arbeite noch dran, aber wie gesagt, verdammt kompliziert“

„Als Naturtalent hab ich mit diesen 3/4-Takt-Dingern, die hier gespielt werden, eher wenig Probleme. Doch wenn es mit den Jungs aus der Nachbarschaft zur Sache geht, dann natürlich alternativ. Denn auch in der Volksmusik sollte man alternativ bleiben. Man will ja nicht eines Tages mal bei Karl Moik im JMusikantenstadl‘ landen»“

Gott bewahre, schließlich gab es ja auch solch bajuwarische Lichtgestalten wie Ernst Mosch. Ich erinnere mich, dass just der mal von einem Journalisten der ganz alternativen Provenienz vom Muff der Yblksmusik-Mottenkiste befreit und auf eine Ebene mit den größten US-Big Band-Maestros gehievt wurde™ „“und das ganz zu Recht, denn wenn du mal dieses Humpta-Humpta, das sie dir im Fernsehen als die Volksmusik andrehen wollen, aus dem Kopp gekriegt hast und mal vor Ort hinter die Kulissen schauen durftest, dann kannst du vor einigen der hiesigen musizierenden Herrschaften nur ehrfurchtsvoll deinen Hut ziehen. Nee, der Umzug aus dem Ruhrgebiet nach hier war Augen öffnend. Da gibt es noch viel aufzuarbeiten…“

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